Anschlag in St. Petersburg Putin muss sich neu erfinden

Der Attentäter von St. Petersburg kam aus Kirgisien. Der Mann war als Gastarbeiter in Russland wie Millionen andere – darunter auch viele Dschihadisten. Sie zu bekämpfen wird für Putins Regierung schwierig. Eine Analyse.

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Nach dem Anschlag an einer U-Bahn-Station in St. Petersburg herrschen in Russland Trauer und Entsetzen. Der mutmaßliche Attentäter kam aus Kirgisien und war als Gastarbeiter im Land. Er hat sich offenbar unbemerkt radikalisiert. Quelle: AP

Berlin Smertnik – ein dem Tod Geweihter, zu allem bereit. So nennen sie in Russlands Medien jetzt Akbarschon Dschalilow, der 22-jährige Mann aus dem kirgisischen Osch, der sich am Montagnachmittag in St. Petersburg mit einer Bombe im Metro-Zug in die Luft jagte, dabei mindestens 13 Menschen mit in den Tod riss und 50 Opfer so schwer verletzte, dass sie im Krankenhäusern um ihr Leben kämpfen. Ein perfider Anschlag, da, wo Russland am empfindlichsten ist. Denn nicht nur die U-Bahn als Anschlagsort, wie schon leider oft, ist für die Sicherheitskräfte kaum zu schützen.

Auch dass es einer aus dem Millionenheer der Gastarbeiter ist, die aus den zentralasiatischen oder kaukasischen früheren Sowjetrepubliken kamen und in Russland ihr Geld verdienen, macht machtlos. Dschalilow mit seinem asiatischen Äußeren passte perfekt in eine Sushi-Bar in St. Petersburg, wo er seit ein paar Jahren als Koch arbeitete.

Ohne die Millionen Menschen aus Zentralasien und dem Kaukasus, die von russischen Rassisten als „Schwarzärsche“ verunglimpft werden, liefe nichts in Sachen Gastronomie im Riesenreich, wären die Olympia-Bauten in Sotschi nie fertig geworden, würde der Müll nicht abgefahren und würden die Stadien und Hotels für die Fußball-WM im kommenden Jahr nicht gebaut. Dass sie jetzt zu einem Sicherheitsrisiko werden, ist eine Tragödie.

Dabei ist Osch ein bekannt heißes Pflaster: bürgerkriegsähnliche ethnische Unruhen zwischen Kirgisen und Usbeken haben die Stadt schon einmal schwer erschüttert. Und das Fergana-Tal, an dessen Ende Osch inmitten eines malerischen Hochgebirges liegt, ist berüchtigt als Brutstätte des Terrorismus. Unterdrückt von einem brutalen Diktator lehnten sich Jugendliche massenhaft gegen die Staatsgewalt auf, landeten in Moscheen bei radikalen Hasspredigern. Religion war oft der einzige Rückzugsort inmitten eines brutalen Staatsapparats.

Viele junge Männer aus Zentralasien und dem Kaukasus – auch dem russischen Teil davon – sind längst als Dschihadisten unterwegs im angeblich Heiligen Krieg in Syrien, Irak, Libyen als Kämpfer für den Islamischen Staat (IS) und andere Terrorgruppen.

Das ist die riesige Gefahr für Russland: „Tausende sind als Terroristen im Dschihad und wollen dann zurück nach Russland und hier Terror verbreiten. Sie müssen wir unerbittlich jagen und dort vernichten“, hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow den Einstieg seines Landes in den Syrien-Krieg vor ausländischen Journalisten begründet. Doch die russischen Kampfjets mit tausenden Toten durch ihre Bomben hat die jungen Dschihadisten noch radikaler gemacht, noch mehr Hass gesät – auf Russland.


Herausforderung für den harten Putin

Und Putin? Russlands Präsident trauert und spricht seinem Volk Mut zu. Wladimir Wladimirowitsch gebe es „natürlich zu denken, dass der Anschlag ausgerechnet an einem Tag stattgefunden hat, an dem er politische Termine in seiner Heimatstadt St. Petersburg wahrnahm“, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag. Tatsächlich wird der starke Mann, der Judoka-Kämpfer mit der eisernen Faust, durch einen erneuten Terroranschlag massiv herausgefordert, seine Macht und Autorität angegriffen.

Das ist besonders hart für einen angeblich so besonders starken Mann. Der Terroranschlag ein Jahr vor der Fußball-WM und knapp ein Jahr vor Putins angestrebter Wiederwahl trifft ihn hart. Denn sein Markenkern war bisher Stabilität und Sicherheit, die hat er seinem Volk nach den Jelzin-Chaosjahren gebracht. 

Jetzt steckt Russland wieder, wie schon zu Putins Amtsübernahme 1999, inmitten einer Terrorwelle. Politisch geschwächt wird Putin zudem durch eine jugendliche Bewegung, die öffentlich gegen die massive Korruption demonstrieren. Die den ungeheuerlichen Reichtum, durch Bestechung und Machtmissbrauch erwirtschaftet, in Putins engstem Umfeld nicht weiter hinnehmen wollen.

Der Präsident wird wieder eine harte Hand beweisen müssen, aber an der richtigen Stelle: Hart und entschlossen gegen den Terror und gegen die Korruption, nicht aber gegen die Demonstranten und auch nicht gegen das syrische Volk. Putin muss seinen Syrien-Einsatz neu justieren, endlich eine politische Lösung zulassen, die nicht nur die totale Machtübernahme durch den Assad-Clan in Damaskus bedeutet.

Und er wird neue Konzepte im Kampf gegen den Terror brauchen. Ebenso wie einen vernünftigen Umgang mit den mindestens zehn Millionen Moslems in Russland, die von einer immer stärkeren Vormachtstellung der christlich-orthodoxen Kirche dominiert und von großen Teilen der slawisch-russischen Bevölkerung verachtet werden. Das fragile Verhältnis zu Russlands Moslems darf nun ebenso wenig eskalieren wie zu den Millionen zumeist moslemischen Gastarbeiter.

Kopf und starke Hand sind jetzt gefragt, und vor allem: Ausgleich. Es scheint, als müsse sich Wladimir Putin einmal neu erfinden.

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