Kanzlerin Angela Merkel hat ihren Antrittsbesuch bei US-Präsident Donald Trump nach Einschätzung in- und ausländischer Medien mit Erfolg über die Bühne gebracht. In deutschen Pressekommentaren wird vor allem gelobt, dass Merkel die Bedeutung offener Grenzen und eines freien Welthandels zum Thema machte. Ausländische Medien stellen das Treffen in einen wesentlich größeren Zusammenhang.
Die liberale und Trump gegenüber kritische Zeitung „New York Times“ kommentierte: „Der große Zerstörer tritt der letzten Verteidigerin der liberalen Weltordnung gegenüber.“ In dieselbe Kerbe hieb der liberale britische „Guardian“: „Hier stieß eine ruhige, bedächtige und passionierte Europäerin mit einem Mann zusammen, dessen Unwissenheit über Außenpolitik bodenlos zu sein scheint.“
Das US-Magazin „The Atlantic“ griff Trumps frühere Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik auf. „Was Merkel angeht, nutzte sie ihr eigenes Statement für eine versteckte Schelte für Trump, der in der Vergangenheit gesagt hatte, sie „ruiniere“ Deutschland mit dem „katastrophalen Fehler“ einer Politik der offenen Tür für Flüchtlinge.“ Merkel habe betont, es sei besser, miteinander zu reden als übereinander. Fraglich sei aber, so die Zeitung, ob die beiden wirklich miteinander gesprochen hätten. Während Trump bei der Pressekonferenz „aus der Hüfte geschossen“ habe, sei Merkel bemüht gewesen, die Lage zu beruhigen oder sich rauszuhalten.
Konfliktfelder der US-Regierung mit Deutschland
Die neue US-Regierung hat frühere Äußerungen von Trump, dass die Nato "obsolet" sei, mittlerweile korrigiert. Die neue Konfliktlinie verläuft entlang der Selbstverpflichtung der Nato-Staaten, bis 2024 zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Sicherheit auszugeben. Die USA geben wesentlich mehr aus, Deutschland sehr viel weniger. Trump wird Merkel drängen, die Ausgaben schneller anzuheben als sie versprochen hat.
Die Sorge über eine zu starke Hinwendung Trumps zu Russlands Präsident Wladimir Putin sind verflogen. Dennoch besteht große Unsicherheit über den amerikanischen Russland-Kurs, der sich auf viele Konflikte von Syrien bis zur Ukraine auswirken kann.
Während Trump vor allem den Anti-Terrorkampf gegen Islamisten betont, geht es Deutschland stärker um die Stabilisierung von Ländern - auch mit Blick auf künftige Flüchtlingsbewegungen. Die US-Regierung hat sich zum Engagement in Afghanistan bekannt, was Merkel lobte. Was Trump in Libyen und Syrien genau will, ist bisher unbekannt.
Ein zentraler Streitpunkt könnte der Umgang mit dem aus der EU ausscheidenden Großbritannien werden. Trump hat den Brexit als Vorbild auch für andere EU-Staaten bezeichnet. Merkel betont die Einheit der EU - auch in Handelsfragen.
Führende Vertreter der Trump-Regierung haben angekündigt, auch wirtschaftliche Probleme mit EU-Staaten bilateral klären zu wollen - ungeachtet möglicher EU-Zuständigkeit. Die Bundesregierung lehnt dies ab.
Dies betrifft etwa den deutschen Leistungsbilanzüberschuss. Der Vorwurf der US-Regierung lautet, dass Deutschland etwa den niedrigen Euro-Kurs ausnutzt und dadurch mehr Waren in den USA absetzen kann als die USA etwa in Deutschland. Die Bundesregierung verweist dagegen auf die Zuständigkeit der EU (Handel) und der EZB (Währung).
In Washington wird die Einführung einer Grenzausgleichssteuer ("Border Adjustment Tax", BAT) zur Gegenfinanzierung der von Trump angekündigten Steuersenkungen diskutiert. Für die Exportnation Deutschland wäre das ein schwerer Schlag, weil es deutsche Produkte in den USA verteuern würde. Merkel hat bereits angedeutet, dass die EU entsprechend reagieren werde.
Trump hat sich bisher generell für protektionistische Ideen stark gemacht und selbst das nordamerikanische Nafta-Abkommen infrage gestellt. Ob er wie sein Vorgänger Barack Obama das angestrebte und von der Kanzlerin befürwortete Wirtschaftsabkommen TTIP mit der EU unterstützen wird, gilt als unsicher.
Trump hat sich mehrfach kritisch zu internationalen Vereinbarungen wie etwa zum Klimaschutz geäußert. Noch immer ist unsicher, ob die USA ihre Verpflichtungen etwa aus dem Pariser Klimaabkommen umsetzen werden.
Trump hat sich generell sehr skeptisch zur multilateralen Zusammenarbeit geäußert. Aus seiner Regierung kamen bereits Drohungen, die Zahlungen an die UN zu kürzen, die ihren Hauptsitz in New York hat. Auch humanitäre UN-Programme sollen gekürzt werden. Merkel plädiert dagegen für eine viel stärkere internationale Zusammenarbeit in einer Vielzahl von Politikfeldern.
Trump hat Merkels Flüchtlingspolitik auch nach seiner Wahl noch scharf kritisiert und will selbst eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen. Merkel wiederum hat Abschottungspläne der USA mehrfach entschieden kritisiert.
Deutsche Medien heben mehr auf die wirtschaftlichen Aspekte des Besuchs ab. „Wenn die Bilder vom Treffen mit Wirtschaftsvertretern und die ersten Nachrichten nicht täuschen, dann hat die deutsche Delegation alles richtig gemacht“, schrieb das „Flensburger Tageblatt“. Beim Geschäft würden sich alle verstehen, offenkundig besonders bei der Frage der dualen Ausbildung. Und wenn sonst zwischen Trump und Merkel nicht viel zusammenpasse - die gemeinsamen Interessen seien immer das stärkste Argument. „Es war keinesfalls herzlich, aber besser als befürchtet“, lautet das Fazit der Zeitung.
Wie wichtig die USA für die deutsche Wirtschaft sind
2015 wurden die USA der wichtigste Exportkunde der deutschen Unternehmen, nachdem über mehr als sechs Jahrzehnte Frankreich diese Position innehielt. 2016 behaupteten die Vereinigten Staaten ihre Spitzenposition: Waren im Wert von rund 107 Milliarden Euro wurden damals dorthin verkauft - vor allem Fahrzeuge, Maschinen und chemische Produkte. Das entspricht einem Anteil von etwa zehn Prozent an den gesamten Ausfuhren. Umgekehrt importierte Deutschland Waren im Wert von knapp 58 Milliarden Euro aus den USA, was sechs Prozent aller deutschen Einfuhren entspricht.
Mehr als eine Million Jobs in Deutschland hängen direkt oder indirekt von den Exporten in die USA ab. Weitere 630.000 Arbeitsplätze gibt es in Betrieben, die von US-Firmen kontrolliert werden. Allein McDonald's Deutschland zählt etwa 58.000 Mitarbeiter, der Personaldienstleister Manpower 27.000 und die Ford-Werke gut 25.000.
Umgekehrt schaffen deutsche Unternehmen in den USA ebenfalls Hunderttausende Stellen. Zu den größten deutschen Arbeitgebern dort gehören die Deutsche-Post-Tochter DHL mit rund 77.000 Beschäftigten, Siemens (50.000) und Volkswagen (60.000).
Die deutschen Unternehmen haben mehr als 271 Milliarden Euro an Direktinvestitionen in den USA - etwa Fabriken und Immobilien. Mehr als 3700 Unternehmen sind in den Vereinigten Staaten tätig. Allein die 50 größten deutschen Firmen dort kommen auf einen Jahresumsatz von 400 Milliarden Dollar.
Auch US-Unternehmen haben erhebliche Beträge in Deutschland investiert: Der Bestand summiert sich auf rund 27 Milliarden Euro. 2015 wurden 252 neue Projekte hierzulande von US-Firmen gestartet, von Neuansiedlungen auf der grünen Wiese über Erweiterungen bis hin zu Standortwechseln. Nur chinesische Unternehmen waren aktiver. Die 50 größten US-Unternehmen kommen in Deutschland auf einen Jahresumsatz von rund 170 Milliarden Euro.
Die „Lausitzer Rundschau“ bescheinigt Merkel ein „gesundes Selbstbewusstsein“. Der Antrittsbesuch könne dann als Erfolg bezeichnet werden, wenn Trump zumindest eine Ahnung davon bekommen habe, dass sein „America First“ riskanter sein könnte als Kooperation mit einer so starken Wirtschaftsmacht wie es die EU ist. „Trump soll etwas lernen: Aus „America First“ könnte schnell „America Alone“ werden, eine ungeahnte Einsamkeit Amerikas, mit fatalen Folgen für die US-Wirtschaft“, kommentiert die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“.
Das „Göttinger Tageblatt“ schreibt angesichts der engen wirtschaftlichen Verflechtung beider Länder: „Es sich mit den Deutschen zu verscherzen, könnte für die USA sehr unklug sein.“ Wenn Trump in den nächsten Wochen und Monaten keinen Handelskrieg anfängt, habe Merkel schon viel erreicht, betont die „Märkische Allgemeine“.
Die Zukunft der deutsch-amerikanischen Beziehungen hängen nach Meinung des „Darmstädter Echos“ davon ab, ob es Merkel wie bei Bush und Obama schaffe, eine belastbare Arbeitsbeziehung zu etablieren. Ob das gelingt, sei offen. Aber Trump brauche Merkel, weil sie Wladimir Putin und andere Staatschefs viel besser kennt als er. „Das Justieren und Taxieren hat also gerade erst begonnen.“
Auch die konservative tschechische Zeitung „Lidove noviny“ sieht Merkel und Trump noch ganz am Anfang. „Als der damalige US-Präsident George W. Bush in Europa angefeindet wurde, verstand sich die Kanzlerin überraschend gut mit ihm“, schrieb die Zeitung. „Davon zeugen Bilder, wie Bush sie mit dem Jeep auf seiner Ranch herumfuhr. (...) Dafür, dass Trump Merkel zu sich nach Florida einlädt, ist es noch zu früh.“