Arbeitsmarktreform Generalstreik legt Frankreich lahm

Zugführer, Piloten und Lehrer in Frankreich streiken. Sie protestieren gegen die geplante Arbeitsmarktreform, die Unternehmen Entlassungen erleichtern wird. Die neuen Regeln sind unter Ökonomen umstritten.

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In Frankreich ist der Widerstand gegen die geplante Arbeitsmarktreform groß. Quelle: AFP

Paris Aus Protest gegen eine Arbeitsmarktreform sind Zugführer, Lehrer und andere Beschäftigte in Frankreich am Donnerstag in einen Streik getreten. Rund um Paris und teils auch in der Provinz kam es zu großen Verkehrsbehinderungen. Die Verkehrswacht sprach am Vormittag von rund 430 Kilometer langen Staus, an normalen Wochentagen sind sie nur halb so lang.

Auch im Bahn- und Flugverkehr gab es Einschränkungen. Vom Streik betroffen sind auch öffentliche Krankenhäuser und staatliche Rundfunkanstalten. Das Land ist allerdings weit davon entfernt, lahm gelegt zu sein, wie es die zum Arbeitskampf aufrufenden Gewerkschaften gerne sehen würden.

Anlass des Streiks ist, dass in der kommenden Woche das neue Arbeitsgesetz ins Parlament kommt. Dabei hat die Regierung es bereits verwässert, nachdem es in den vergangenen Wochen bereits mehrfach Proteste gegeben hatte. Die ursprünglich vorgesehene feste Abfindungsdeckelung bei Entlassungen entfällt. Stattdessen soll es nun ein Raster geben, an dem sich die Arbeitsrichter orientieren. Wichtigste Neuerung bei der Arbeitsmarktreform ist, dass Unternehmen leichter Mitarbeiter entlassen können, wenn sie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken.

Weitere Änderungen: Wenn Unternehmen Gewinne im Ausland erwirtschaften, sollen diese künftig kein Hinderungsgrund mehr für Entlassungen in Frankreich sein. Geplant ist außerdem, dass die betriebliche Ebene in Verhandlungen gestärkt wird. Das geht zulasten der Gewerkschaften, die heute noch starke Einflussmöglichkeiten in Unternehmen haben.

Die französische Regierung war den Gewerkschaften entgegengekommen und hatte am ursprünglichen Arbeitsgesetzentwurf mehrere Änderungen vorgenommen. Doch damit zog sie sich den Zorn der Unternehmerverbände zu. Vor allem die Vereinigung der kleineren und mittelgroßen Unternehmen war wütend und drohte damit, sich den Protesten anzuschließen. Arbeitsministerin Myriam El Khomri verhandelt nun mit den Unternehmensverbänden über Nachbesserungen in deren Sinn. Die Ministerin muss einen komplizierten politischen Slalomlauf absolvieren.


Viele Flüge wurden gestrichen

Betroffen vom Streik ist auch der Pariser Flughafen Orly, wo wegen eines Ausstands der Fluglotsen rund 20 Prozent der Flüge ausfallen. Der größere Pariser Airport – der Flughafen Charles de Gaulle – ist wohl nicht vom Streik betroffen. In Marseille dagegen wurden 30 Prozent der Flüge gestrichen.

Air France will auf den internationalen Strecken keine Flüge streichen. Dagegen verzichtet Ryanair auf 91 Starts. Die Fluggesellschaft hatte am Mittwoch kritisierte, dass die französischen Fluglotsen den 43. Streik in sieben Jahren organisierten und den zweiten in zehn Tagen. Hunderttausende von Passagieren seien durch „egoistische Streiks“ betroffen. Es sei an der Zeit, dass die EU-Kommission die „Interessen der Fluggäste schützt vor den französischen Gewerkschaften.“

Bei der Bahn fand der komplette Verkehr auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken (TGV) statt, nur im Norden gab es Einschränkungen. Dagegen fiel einer von zwei Regionalzügen im Großraum Paris aus. Auch bei den S-Bahnen (RER), die morgens einen großen Teil der Pendler in die Metropole bringen, war der Verkehr teils zu 50 Prozent oder mehr beeinträchtigt.

Bei der Métro dagegen fuhren neun von zehn Zügen. Viele Zeitungen erschienen nicht in gedruckter Form, weil die Druckereien bestreikt wurden. Auch Schüler und Studenten beteiligen sich an der Auseinandersetzung.


Was Ökonomen von der Arbeitsmarktreform halten

Im Lauf des Tages soll es rund 300 Demonstrationen geben, an der Beteiligung wird man ablesen können, ob die Proteste ein größeres Echo haben als in den vergangenen Wochen. Bislang jedenfalls sind die Streiks keine ernsthafte Gefahr für die Regierung, zumal diese wie bei jeder ihrer bisherigen Reformen sofort reagierte und Abstriche machte. Mit dem neuen Arbeitsrecht will die Regierung gut ein Jahr vor den nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen noch einmal beweisen, dass sie Frankreich voranbringt.

Die französischen Ökonomen sind gespalten in ihrer Einschätzung der Reform: Rund die Hälfte derer, die sich zu Wort melden, hält die geplanten Änderungen für einen sozialen Rückschritt, der den Arbeitsmarkt nicht beleben werden. Zu diesem Lager gehört der Ökonom und Erfolgsautor Thomas Piketty. Die anderen Ökonomen erwarten durch die Reform eine Belebung des Arbeitsmarktes. In einem sind sich alle einig: Niemand versteht, warum die Regierung unter François Hollande erst gegen Ende ihrer Amtszeit mit einer Reform kommt, deren Wirkung sich nur mit erheblicher Zeitverzögerung einstellen wird.

Hollande hatte erst am Mittwoch eine schwere politische Schlappe erlitten, weil er auf die geplante Verfassungsänderung verzichten musste. Die Opposition verweigerte ihm die nötige Unterstützung und die eigenen Sozialisten streiten über seine Pläne, Terroristen mit Migrationshintergrund die französische Staatsbürgerschaft zu entziehen.

Weil Hollande eine Mehrheit von drei Fünfteln im Kongress benötigt, zu dem er Nationalversammlung und Senat einberufen kann, fällt sein seit Monaten betriebenes politisches Großvorhaben komplett ins Wasser. Die Medien bescheinigen dem Präsidenten am Donnerstag eine peinliche Niederlage, die Ausdrücke reichen von „Fiasko“ bis „Waterloo“.

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