Aus der weiten Welt

Auf der Suche nach der sportlichen Zukunft

Seite 3/4

Staatliche Förderung versickert

Eine Karriere durch Sport ist nur begrenzt möglich und häufig verfehlt die Förderung ihren Sinn. Gewinnt in Indien ein Sportler, der sich bis dahin selbst finanziert hat, eine Medaille in einem wichtigen Wettbewerb, erlangt er einen Vorzugsstatus bei der Vergabe von Regierungsjobs, etwa bei der staatlichen Eisenbahn, erzählt Johanna Simmons.

Dazu fördert das Militär bei seinen Angehörigen Sportarten wie Reiten, Schießen, Ringen und Boxen – auf diesen Disziplinen ruhen denn auch die größten Medaillenhoffnungen.

Immerhin hat Indien in den vergangenen 16 Monaten in den Leistungssport mit Blick auf London 50 Millionen Dollar investiert, zehnmal so viel wie noch im Jahr 2000. Das ist zwar nicht so viel wie in China, das in den zehn Jahren vor den Spielen in Peking 450 Millionen Dollar jährlich für seine Leistungssportler ausgab. Aber immerhin ein Anfang.

Doch haben es die Verantwortlichen in Neu Delhi versäumt, die Sportverbände zu reformieren und in die neue Zeit zu führen. Die Politiker können es vermutlich gar nicht, denn die Sportverbände sind von den gleichen Übeln durchdrungen wie das politische System.

Die Hälfte der 25 olympischen Sportverbände wird von Politikern beziehungsweise früheren Politikern geführt, in vielen Sportarten sitzen unfähige Funktionäre seit Jahrzehnten in den Entscheidungsorganen. Ehemalige Sportler oder international erfahrene Sportmanager haben da nur wenig zu sagen.

Korruption und Nepotismus sind verbreitet. Ein Großteil der staatlichen Fördergelder versickert, bevor es die Sportler erreicht. Der Präsident des Indischen Olympischen Komitees beispielsweise ist angeklagt wegen Korruption im Zusammenhang mit den Commonwealth-Spielen 2010 in Neu Delhi. Bislang konnte er seine Abwahl erfolgreich verhindern.

Aber im Kricket ist Indien Weltmeister

Dass es auch anders geht, zeigt Kricket, das in Indien wie „eine Religion“ ist, sagt Johanna Simmons. Indien ist in dieser Sportart Weltmeister (2011 gegen Sri Lanka), erfolgreiche Spieler werden wie Nationalhelden verehrt. „Keine andere Sportart verzeichnet in einem Land so viele Anhänger, obwohl Kricket lange Zeit ein Zöglingssport der Kolonialherren war“, wunderte sich auch Schriftsteller Trojanow.

Der kleine, aber entscheidende Unterschied: Kricket ist nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen. Hier existiert ein gut ausgebautes privates Fördernetz, die Spiele werden breit im TV übertragen, die IPL (Indian Premier League) ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Sponsoren- und TV-Gelder, Eintrittskarten und Merchandising kommen auf 3,7 Milliarden Dollar jährlich – gut Zweidrittel mehr als die Bundesliga erwirtschaftet.

Dass Kricket in Indien trotz der kolonialen Wurzeln so populär wurde, erklärt Trojanow mit der Geschichte der Sportart. Seinen Wurzeln nach ist es ein Sport der Oberschicht. Nach dem ersten Weltkrieg wurde diese Gentleman-Spiel unter den einheimischen Adligen populär, die mit Vorliebe allerdings nur den Schläger schwangen. Die anderen Aktivitäten überließen sie den Domestiken, schließlich, so Trojanow, war es eines Herrschers unwürdig, einem Ball hinterherzulaufen.

Nach der Unabhängigkeit übernahmen die Unternehmen dann die Prinzenrolle und leisteten sich eigene Teams – so bot Kricket die Chance zum sozialen Aufstieg. Die Mittelschicht erhielt Zugang zu den Eliteschulen, die Kricket unterrichteten und so zum Talentpool wurden. Wohl deshalb kommen die meisten Nationalspieler aus der Mittel- und Oberschicht.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%