Aus der weiten Welt

Südkorea behütet seine Wirtschaft

Klaus Methfessel Ehem. Leiter der Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten und ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Global

Mit Ausnahme von China hat kein Land in Asien so sehr von der Globalisierung profitiert wie Südkorea. Aber genauso wie die Chinesen interpretieren die Südkoreaner Globalisierung einseitig.

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Jedes Jahr ein neues Handy - Südkoreanische Models posieren mit dem Samsung Galaxy S Androidphone in Seoul. Quelle: REUTERS

Genau wie die Chinesen nehmen die Südkoreaner in Sachen Globalisierung die Vorteile gerne für sich in Anspruch, die die freie Bewegung von Waren, Informationen und Kapital mit sich bringt. Gleichzeitig zeigen sie aber nur wenig Verantwortung dafür, dass die Globalisierung für alle Früchte trägt. Das zeigt sich bei dem Freihandelsabkommen, das die EU mit Südkorea abgeschlossen hat und das Brüssel als beispielhaft für weitere Abkommen ansieht. Doch bei dem Vertragswerk hat die Kommission die nichttarifären Handelshemmnisse übersehen, mit denen die Asiaten ihren Automarkt weiter abzuschotten versuchen.

Zurzeit besuche ich mit den Volontären der Georg von Holtzbrinck-Schule Seoul. Wir schauen uns die Erfolgsgeschichte Südkoreas an, die von vielen der vor allem auf China fixierten deutschen Unternehmen noch unterschätzt wird. Schon ein Spaziergang durch die Straßen der Zwölf-Millionen-Einwohner-Stadt Seoul gibt einen ersten Eindruck von dem rapiden technologischen Fortschritt des Landes und dem wohl schnellsten wirtschaftlichen Aufholprozess, den ein Land im Zeitalter der Globalisierung je an den Tag gelegt hat.

Unmittelbar neben den mittelalterlichen Königspalästen im Zentrum Seouls ragen ultramoderne Wolkenkratzer in den Himmel, an deren Glasfassaden riesige Flachbildschirme bunte Werbebotschaften oder Comics ausstrahlen. Unzählige Coffeeshops mit exzellentem Latte Macchiato laden zum Verweilen ein, alle mit Wi-fi und kostenlosem Internetzugang ausgestattet. Überall stößt man darauf, das Korea in einem neuen Zeitalter ankommt, manchmal geradezu im wörtlichen Sinne: Auf den Straßen muss man aufpassen, nicht mit einem der vielen jungen Koreaner zusammenzuprallen, die, ständig online, versonnen auf ihr Smartphone stieren. Einfache Handys nur zum Telefonieren hat kaum noch jemand: Rund 80 Prozent der verkauften Mobiltelefone sind Smartphones, im Schnitt kaufen sich Koreaner jedes Jahr ein neues.

Bis 2024 weitere 14 Atomkraftwerke

Der Kernreaktor Gori in Busan, 450 km südöstlich von Seoul. Quelle: REUTERS

Korea hat eines der modernsten Kommunikationssysteme in der Welt aufgebaut und mit Samsung, Hyundai und LG gleich drei global erfolgreiche Weltkonzerne hervorgebracht, die ihre Wettbewerber auf den internationalen Märkten das Fürchten lehren. Mit einem Handelsvolumen von 26 Milliarden US-Dollar hat sich Südkorea zu Deutschlands drittgrößtem Handelspartner in Asien aufgeschwungen, noch vor Indien. Korea exportiert heute mehr als Italien oder England und fast so viel wie Frankreich, unser wichtigster Handelspartner. 70 Prozent ihres wirtschaftlichen Wachstums generieren die Koreaner durch den Export.

Aufgeschlossen gegenüber Forschung und Technologie

Korea stand über Jahrtausende hinweg im Schatten seiner großen Nachbarn, zuerst von China, dann war es japanische Kolonie. Anfang der 50er Jahre wirtschaftlich auf etwa dem Entwicklungsniveau wie Ägypten oder Ghana, hat das Land seine ganze Kraft auf das wirtschaftliche Aufholen konzentriert. Heute ist Korea bei einer Bevölkerung von 50 Millionen die dreizehntgrößte Wirtschaftsnation weltweit, die viertgrößte in Asien und selbstbewusstes Mitglied der G20. Eingekeilt zwischen den Riesen China und Japan, in seiner Sicherheit ständig bedroht durch das aggressive Regime im Norden, behauptet sich Südkorea durch einen unbedingten Willen zur Modernisierung.

Die Südkoreaner erzielen inzwischen ein durchschnittliches Einkommen, das schon halb so hoch ist wie das deutsche, aber viel schneller wächst. Wenn wir in Seoul mit der sauberen und modernen U-Bahn fahren, frage ich mich unwillkürlich, was für ein Bild von Deutschland sich umgekehrt ein Südkoreaner macht, der sich in Berlin in die schmutzige, rumpelnde U- oder S-Bahn verirrt?

Es ist diese Aufgeschlossenheit für Forschung und moderne Technologien, die bei der Weltausstellung im Sommer dieses Jahres wieder zu sehen sein wird, die einem Respekt abverlangt, einen gelegentlich aber auch erschaudern lässt. Etwa wenn Südkoreaner die Atomkatastrophe im nur wenige hundert Kilometer entfernten Fukushima eher als Gelegenheit begreifen, nun einen Wettbewerbsvorteil für den Export ihrer AKWs realisieren zu können, nicht aber als Anlass, ihr eigenes Atomprogramms zu hinterfragen. So wollen sie in ihrem kleinen Land bis 2024 weitere 14 Kernreaktoren im Land aufstellen - zusätzlich zu den 21, die sie jetzt schon haben.

Beste Beziehung zu Regierung und Verwaltung

Der Hauptsitz von Samsung Electronics Co in Seoul, Südkorea. Quelle: dpa

Was aber auch auffällt, wenn wir durch Seoul gehen: Auf den Straßen fahren fast ausschließlich koreanische Autos, vor allem der Marken Hyundai und Kia, wobei letztere auch zum Hyundai-Konzern gehört. Den Eindruck bestätigen Statistiken. Danach beherrscht Hyundai mit diesen beiden Marken den südkoreanischen Markt zu 75 Prozent. Der Rest läuft unter ferner liefen: Der zweite südkoreanische Hersteller Ssangyong kommt auf 2,4 Prozent, GM Korea, das zu General Motors gehört und in das Daewoo eingegangen ist, auf neun und ein Joint Venture zwischen Renault (80 Prozent) und Samsung auf sieben Prozent. Unvorstellbar: Die koreanische Autoindustrie, heute die fünftgrößte der Welt gemessen am Produktionsvolumen und die sechstgrößte gemessen am Export, besteht vor allem aus Hyundai.

Ausländische Automarken sind in Korea dagegen kaum vertreten. Alle Ausländer zusammen erreichten 2011 gerade mal einen Marktanteil von 7,4 Prozent der 1,2 Millionen in Südkorea abgesetzten Fahrzeuge. Zum Vergleich: In Deutschland ist jedes dritte Auto ein Importfahrzeug. Da mag es uns trösten, dass man am ehesten noch deutsche Autos auf Koreas Straßen sieht, vor allem die Marken BMW und Mercedes, die bei der wachsenden wohlhabenden Mittelschicht als Statussymbole gelten. Fast 70 Prozent der 2011 importierten Fahrzeuge waren deutsche Marken. Die Luxushersteller aus München und Stuttgart erreichten zusammen etwa 40 Prozent, Volkswagen, das in Korea auch zur Kategorie der Nobelmarken zählt, und Audi kamen zusammen auf 20 Prozent.

Was aber ist der Grund für das Quasi-Monopol von Hyundai auf dem koreanischen Automarkt? Warum sind die Ausländer dort so schwach, und ändert daran das vor einem Jahr in Kraft getretene Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südkorea etwas?

Die Antwort auf die erste Frage findet sich in den Besonderheiten der koreanischen Wirtschaftsstruktur, die von den sogenannten Chaebols dominiert wird, wirtschaftlichen Konglomeraten, die einflussreichen Familien mit besten Beziehungen in Regierung und Verwaltung gehören. Im Zuge der Asienkrise 1997 wurden diese Chaebols zwar etwas beschnitten, doch Hyundai wurde noch mächtiger, indem es trotz seiner starken Position den klamm gewordenen Konkurrenten Kia übernehmen konnte, während der ebenfalls damals unter die Räder geratene Daewoo-Konzern über einige Umwege an GM fiel. Was in Deutschland mit Sicherheit das Kartellamt auf den Plan gerufen hätte, um eine marktbeherrschende Stellung zu verhindern, traf in Korea eher auf wohlwollendes Verhalten bei Regierung und Administration. Im Ergebnis bewirkte die Asienkrise, dass das frühere Oligopol auf dem koreanischen Automarkt zum Quasi-Monopol von Hyundai gerann.

Schikane schützt vor Konkurrenz aus dem Ausland

Ein Hyundai Wagen, Model Avante: in Südkorea müssen sich die Autos an die physischen Maßstäbe von Hyundai-Wagen anpassen - auch ausländische Kleinwagen. Quelle: REUTERS

Ausländische Hersteller konnten die Funktion eines Korrektivs im Wettbewerb nicht übernehmen. Grund für die mangelnde Präsenz der Ausländer sind die nichttarifären Handelshemmnisse, mit denen die Südkoreaner ihren eigenen Markt schützen. Daran ändert auch das von der Brüsseler Kommission als Vorbild für weitere Verträge gefeierte und im vergangenen Juli in Kraft getretene Freihandelsabkommen mit der EU nur wenig. Die Zölle auf Importautos waren vor dem Abkommen mit acht Prozent zwar nicht unerheblich, aber nicht wirklich ausschlaggebend dafür, dass nur wenige ausländische Modelle auf Südkoreas Straßen fahren. Den Ausländern machen vielmehr nichttarifäre Handelshemmnisse zu schaffen, sehr spezielle Sicherheitsstandards und Umweltschutzvorschriften, die teure Nachrüstungen erfordern.

Das sind zumeist schikanöse Vorschriften, deren Sinn nicht etwa darin liegt, den koreanischen Verbraucher besser zu schützen, sondern Hyundai vor ausländischer Konkurrenz. So erkennen die Südkoreaner europäische Crashtests nicht an, obwohl die koreanischen nach Meinung von Experten keineswegs höhere Anforderungen stellen. Ändert sich nur etwas am Design oder auch nur die Farbe, müssen sich die europäischen Autobauer neuen Zulassungsverfahren unterziehen.

Der Massenmarkt soll im Griff von Hyundai bleiben

Der Sinn der vielen Vorschriften besteht allein darin, die Kosten für die ausländischen Konkurrenten nach oben zu treiben und sie dadurch vom Marktzutritt abzuschrecken. So müssen die Europäer die elektronischen Türschlösser und die Motorsteuerung ihrer Modelle für den Import nach Südkorea auf andere Frequenzen umrüsten. Es gibt spezielle Vorschriften für die Größe von Autositzen, den Abstand zwischen Vorder- und Rücksitzen und die Bodenfreiheit (mehr als zwölf Zentimeter im unbeladenen Zustand), die es so weder in den USA noch Europa gibt, die aber zufällig genau der Konstruktionsweise eines Hyundai entsprechen. Der Automarkt ist ein krasses Beispiel dafür, wie Korea funktioniert: Staatliche Politik als Fortsetzung dessen, was die großen Chaebols planen.

Einzelne Modelle verteuern sich so schnell um einige Tausend Euro. Diese Summen fallen bei den als Statussymbolen gefragten Premiummarken weniger ins Gewicht. Umso mehr aber bei den Fahrzeugen des unteren und mittleren Preissegments, bei denen der Preis ein wichtiges Kriterium für die Kaufentscheidung ist, zumal der koreanische Markt mit einem Absatz von gut einer Million Fahrzeugen relativ klein ist. Von diesem Protektionismus sind deshalb die italienischen und französischen Hersteller Fiat, Peugeot und Renault, die den Massenmarkt bedienen, besonders hart getroffen.

Der Verdacht drängt sich auf, dass die Koreaner da, wo sie schwach sind, nämlich im Premiummarkt, Importe zulassen, beim Massenmarkt aber peinlich genau darauf achten, dass der Massenmarkt im Griff von Hyundai bleibt. "Bei 100 000 Importautos geht bei mir das rote Licht an", soll angeblich der Hyundai-Chef gesagt haben, erzählt man sich bei der deutsch-koreanischen Kammer für Handel und Industrie in Seoul.

Die Kaufentscheidung ist patriotisch korrekt

Demonstranten protestieren gegen die WTO in Seoul, im Jahr 2005. Quelle: REUTERS

Dazu passt, dass die Koreaner unterschwellig immer noch eine Mentalität der patriotisch korrekten Kaufentscheidung pflegen. Zwar nicht mehr so ausgeprägt wie in den 90er Jahren, als Koreanern, die ein ausländisches Auto fuhren, schon mal die Steuerfahndung an den Hals gehetzt wurde. (Weshalb diejenigen, die es sich leisten konnten, die Autos lieber leasten, weil sie dann nicht als Eigentümer galten.) Doch im Geschäftsleben besteht nach wie vor ein gewisser sozialer Druck: Bei offiziellen Geschäftstermin fährt man politisch korrekt mit dem Equus von Hyundai oder dem Chairman von Sangyong vor, die Ehefrau dagegen hat einen BMW oder Mercedes. Und für den Staat ist patriotischer Protektionismus unverändert selbstauferlegte Pflicht: Regierung und Staatskonzerne kaufen ausschließlich koreanische Modelle.

Wer sich dann noch wundert, warum nicht nur die öffentlichen Verkehrsbetriebe keine Busse von Daimler oder Fiat einsetzen, sondern auch private Firmen nur koreanische nutzen, findet die Erklärung in einer kleinen technischen Vorschrift: Danach haben die Busse hier fünf Zentimeter schmaler zu sein. Einen Sinn hat diese Norm nicht, sie dient weder der Sicherheit der Fahrgäste noch dem Schutz der Umwelt, sondern lediglich dazu, ausländische Anbieter abzuschrecken und den Markt allein Hyundai & Co. zu überlassen. Umgekehrt kann aber Hyundai seine schmaleren Busse nun in Europa vertreiben - zollfrei und ohne zusätzlichen technischen Aufwand.

Diese Ungleichbehandlung ist Ergebnis davon, dass die EU in dem Freihandelsabkommen auf die gegenseitige Anerkennung technischer Normen und Vorschriften, ein sogenannte "Mutual Recognition Agreement" (MRA) verzichtet hat. Im Abkommen findet sich lediglich ein Konfliktlösungsmechanismus mit dem Ergebnis, dass man mit den Koreanern über solche Streitpunkte mühsam einzeln verhandeln und sie zu Kompromissen überreden muss. Und in der Erfindung solcher Normen sind die Koreaner äußerst kreativ. Schon geht bei der Europäischen Handelskammer in Korea die Sorge um, dass die Koreaner für Elektroautos ebenfalls spezielle Normen vorlegen werden, die mit den europäischen nicht kompatibel sind.

Was lehrt uns das, auch im Hinblick darauf, dass die EU auch mit anderen Staaten wie Japan und Indien Freihandelsabkommen abschließen will, weil die WTO-Verhandlungen zur Doha-Runde in einer Sackgasse stecken? Erstens sind solche Freihandelsabkommen nur die zweitbeste Lösung, weil Handelserleichterungen immer nur den beteiligten Ländern zugute kommen. Dann droht ein handelspolitischer Flickenteppich zu entstehen, der den Welthandel verkompliziert, weil überall andere Vorschriften gelten. Zweitens geht es nicht ohne MRA, insbesondere bei Ländern, die wie Korea massiv Industriepolitik zugunsten ihrer nationalen Konzerne betreiben. Alles andere ist naiv.

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