Der wichtigste Feiertag ist in Vietnam das Tet-Fest – die Vietnamesen feiern wie die Chinesen traditionell das Neujahrsfest nach dem Mondkalender. Doch vor dem Beginn des Jahrs der Schlange am 10. Februar ist vielen Arbeitern und Angestellten gar nicht nach Feiern zumute. Der Grund: Normalerweise erhalten sie zu dem Fest ihren jährlichen Firmenbonus. Doch der fällt in diesem Jahr häufig niedriger als im Vorjahr oder sogar völlig aus.
Dabei geht es nicht um Kleckerbeträge. In der Vergangenheit machte der Bonus häufig ein Monatsgehalt oder mehr aus – ein wichtiges Motivationsmittel. Zum diesjährigen Tet-Fest können sich aber nur wenige Unternehmen solche Beträge leisten. Probleme haben insbesondere viele unter Finanzschwierigkeiten leidende Staatsbetriebe. Hier bekommen die Beschäftigen ihre Boni häufig nur in Form von Sachleistungen. Da werden sie dann mit Ziegelsteinen, Reis, Kleidung oder Telefonkarten abgespeist.
Investitionsruinen und leere Verkaufsräume
Verantwortlich dafür ist das Wachstumsloch, in das Vietnam gefallen ist. Nur noch wenig zu spüren ist von der einstigen Dynamik, aufgrund derer das Land von den Goldman-Sachs-Ökonomen zu den „Next Eleven“ gezählt wurde, deren Wachstumsstory nach dem Vorbild der BRIC-Staaten verlaufen sollte. Zum Jahreswechsel war ich jetzt zum zweiten Mal in Vietnam. Mein Eindruck: Zwar pulsiert das Leben auf den Prachtstraßen der großen Städte, und es ist noch immer beeindruckend, wie jung und zukunftsträchtig diese Gesellschaft wirkt. Doch fallen auch etliche Investitionsruinen ins Auge: unvollendete Bauprojekte, die an die Asienkrise 1997 erinnern. Vielen Bauherren ist offenbar das Geld ausgegangen.
Auch aus den Unternehmen ertönen viele Klagen. Die Verkäufer von Motorrädern sitzen auf großen Lagerbeständen – derzeit verirren sich nur wenige Kaufinteressenten in ihre Läden. Dazu muss man muss wissen, dass in Vietnam das Motorrad das wesentliche Massenverkehrsmittel ist. Die Vietnamesen sind im vergangenen Jahrzehnt vom Fahrrad aufs Motorrad umgestiegen. Bislang kommen erst 13 Autos auf 1000 Einwohner - Vietnam ist noch keine automobile, sondern eine Biker-Gesellschaft.
Vor allem japanische, koreanische und chinesische Hersteller haben von dem Trend zum motorisierten Zweirad profitiert. Nun jedoch scheint der Boom gebrochen. Etliche Hersteller klagen, dass die Verkaufszahlen 2012 um 25 bis 30 Prozent gefallen sind. Nicht weil die Vietnamesen aufs Auto umsteigen, sondern weil sie kein Geld haben. Wenn die Vietnamesen keine Motorräder mehr kaufen, ist das genauso ein Alarmzeichen für die Wirtschaft wie sinkende Autozulassungszahlen in Deutschland.