Aus der weiten Welt

Warum China Indien abhängt

Klaus Methfessel Ehem. Leiter der Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten und ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Global

Indien und China stehen für die Konkurrenz zweier Systeme: Demokratie versus Diktatur. Paradoxerweise schneidet das autoritäre China dabei wirtschaftlich besser ab als Indien. Nur bei den Superreichen hängt Indien China ab.

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Stärken und Schwächen der BRIC-Staaten
Die Skyline der Millionen-Metropole Shanghai, China Quelle: REUTERS
Leute shoppen auf den Straßen von Sao Paulo, Brasilien Quelle: dapd
Der ehemalige brasilianische Präsident Lula da Silva mit ölverschmierten Händen auf einer Ölplattform vor Bacia De Campos Quelle: dpa
Indien befindet sich laut einer Studie der Weltbank zu den Rahmenbedingungen für unternehmerische Tätigkeiten nur auf Platz 132. Genehmigungen, Kredite bekommen, Vertragseinhaltung - alles ist auf dem Subkontinent mit erheblichen Aufwand und Unsicherheiten verbunden. Hinzu kommt Korruption, eines der größten Probleme für das Land. Transparency International listete Indien im Jahr 1999 noch auf Patz 72, elf Jahre später ist das Land auf Platz 87 im Korruptionsindex abgerutscht. Nicht nur für die ausländischen Unternehmen ist Korruption ein Ärgernis, weil sie stets fürchten müssen, dass Verträge nicht eingehalten werden. Korrupte Beamte und Politiker sind auch eine enormes Problem für die mittleren und unteren Schichten, denen schlicht das Geld zur Bestechung fehlt. Um öffentliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die den Bürgern per Gesetz zustehen, müssen laut Transparency International mindestens 50 Prozent ihrer Befragten Bestechungsgelder zahlen. Der volkswirtschaftliche Schaden ist immens. Analysten gehen davon aus, dass die Direktinvestitionen in Indien um ungefähr 31 Prozent zurückgegangen sind und aus dem indischen Aktienmarkt etwa 1,4 Milliarden Euro abgezogen worden sind. Besonders brisant: nach einer Studie der Washingtoner Global Financial Integrity Organisation leitete die Liberalisierung und Markt-Deregulierung im Jahr 1991 die Hochzeit der Korruption und des illegalen Geldtransfers ein. Im Bild: Der Antikorruptions-Aktivist, Anna Hazare, im August 2011 in Neu Delhi. Hazare ging für zwölf Tage in einen Hungerstreik, um gegen die grassierende Korruption seines Landes zu protestieren. Tausende Sympathisanten unterstützen den Aktivisten bis zum Schluss seiner Aktion. Quelle: dapd
Verkehrsstau auf dem Delhi-Gurgaon Expressway, in Neu Delhi, Indien. Quelle: AP
Im Bild: eine Fabrikarbeiterin in einer Textilfabrik aus der Provinz Anhui, China. Quelle: REUTERS
Im Bild: Ein Eierverkaufsstand in Jiaxing, Zhejiang Provinz. Quelle: REUTERS

Die beiden asiatischen Großmächte China und Indien liefern sich einen scharfen Wettbewerb. – in Politik und Wirtschaft. Indien sieht sich selbst gern als größte Demokratie der Welt, spielt ökonomisch gegenüber China aber meist nur die zweite Geige. Im Wirtschaftswachstum haben die Chinesen die Inder in den vergangenen Jahrzehnten regelmäßig abgehängt. Trotz ähnlicher Ausgangsbedingungen erwirtschaften die 1,35 Milliarden Chinesen mit nur gut 100 Millionen Einwohnern mehr ein ungefähr viermal so hohes Bruttoinlandsprodukt. Kaufkraftbereinigt ist das Pro-Kopf-Volkseinkommen der Chinesen immer noch doppelt so hoch wie das der Inder. Dass China wirtschaftlich attraktiver ist, bestätigen auch die Investitionsentscheidungen der ausländischen Unternehmen, in deren Gunst sich Indien mit einem zweiten Platz begnügen muss - nach China.

China hat bessere Sozialbilanz

Auch in der Sozialbilanz schneidet China in fast allen Punkten besser ab. Zwar hat nach drei Jahrzehnten Staatskapitalismus die Einkommensungleichheit dramatisch zugenommen. Mit einem Gini-Koeffizienten von 41,5 verzeichnet das offiziell noch immer sozialistische Land inzwischen eine höhere Einkommensungleichheit als das Mutterland des Kapitalismus USA mit 40,8 und Indien mit 36,8. (Bei einem Wert von Null wären die Einkommen total gleich, bei einem Wert von 100 total ungleich verteilt, in Deutschland beträgt der Gini-Koeffizient 28,3.)
Beim Human Development Index der Uno, der 187 Länder vergleicht, liegt das Reich der Mitte jedoch mit Platz 101 weit vor Indien mit Platz 134. In China können 94 Prozent der Menschen lesen und schreiben, in Indien nur 63 Prozent. Mit durchschnittlich 73,5 Jahren leben Chinesen im Schnitt acht Jahre länger als Inder. In Indien sterben 66 von 1000 Kindern vor ihrem fünften Geburtstag, in China 19. Armut ist in Indien stärker verbreitet: 41,6 Prozent der Inder, mehr als eine halbe Milliarde Menschen, leben von weniger als 1,25 Dollar am Tag. In China sind es 15,9 Prozent – gut 200 Millionen.

48 indische Milliardäre

Aber auch wenn in Indien die Armut größer und die Einkommensverteilung weniger krass ist – in der Kategorie der Superreichen sind die Inder nicht zu schlagen. Zwar bringen es nur 48 Inder auf die jährlich vom amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes erstellte Liste der Vermögensmilliardäre. Das ist ziemlich genau die Hälfte der 95 Milliardäre aus der Volksrepublik.

Indien hat die gleiche Milliardärsquote wie die USA

Die größten deutschen Arbeitgeber in China
Knorr-Bremse Quelle: Screenshot
Heraeus Quelle: Foto: Heraeus
Henkel Quelle: Pressebild
Evonik Quelle: Pressebild
Bertelsmann Quelle: dapd
Schenker Quelle: dapd
Freudenberg Quelle: Pressebild

Doch der Vergleich der absoluten Zahl sagt relativ wenig. Aussagekräftiger ist es, wenn wir fragen, auf wie viele Milliardäre eine Volkswirtschaft je Einheit Bruttoinlandsprodukt kommt. Um nicht mit so vielen Stellen hinter dem Komma rechnen zu müssen, setze ich die Zahl der Milliardäre in Relation zu einer Billion Dollar Bruttoinlandsprodukt – dies könnte man die Milliardärsneigung einer Volkswirtschaft nennen. Dann kommt China bei einem BIP von sieben Billionen Dollar auf eine Milliardärsquote von 13,6. Indien verzeichnet bei einem Viertel des chinesischen BIP 48 Milliardäre – ergibt eine Quote von 26,7. Indiens Wirtschaft und Gesellschaft hat also eine fast doppelt so hohe Neigung, Milliardäre zu produzieren, wie die Chinas.

Reiche Chinesen ziehen nach Hongkong

Indien befindet sich damit in etwa auf dem Niveau der USA, die auf eine Milliardärsquote von 28 kommen. Deutschland liegt mit einer Quote von 15,3 knapp vor China. Man könnte einwenden, dass die chinesische Quote etwas zu niedrig ausgefallen sei, da viele Reiche aus der Volksrepublik nach Hongkong gezogen sind und so nicht in China erfasst sind. Aber selbst wenn man alle in Hongkong lebenden 38 Milliardäre China hinzurechnet, wäre die Quote mit 18,3 noch weit geringer als die indische.

Indiens Milliardäre sind zudem reicher als die chinesischen. Insgesamt verfügen vier Inder über ein größeres Vermögen als der reichste Chinese. Reichster Inder ist Mukesh Ambani, dem die Petrochemie-Firma Reliance Industries gehört, mit einem Vermögen von 22,3 Milliarden Dollar. Reichster Chinese ist Robin Li, der Eigner der Suchmaschine Baidu, mit einem geschätzten Vermögen von 10,2 Milliarden Dollar. Li hat den Vorjahressieger Liang Wengen, Eigner des auch in Deutschland bekannten Baumaschinenherstellers Sany, vom ersten Platz verdrängt. Sany hat Anfang des Jahres den schwäbischen Betonpumpenhersteller Putzmeister gekauft.

Acht weibliche Milliardäre in China

Was die Emanzipation der Frau betrifft, scheint sie auch bei den Milliardären in China weiter vorangeschritten zu sein als in Indien. Unter den 95 Milliardären Chinas befinden sich acht Frauen. Dagegen schaffen es nur zwei Frauen auf die indische Milliardärsliste. Reichste Frau Chinas ist die Immobilienunternehmerin Wu Yajun mit einem Vermögen von 6,6 Milliarden Dollar auf Platz 7. Während viele Milliardärinnen ihr Vermögen ererbt haben, hat sich Wu ihr Vermögen selbst erarbeitet. Laut dem chinesischen „Hurun Report“ sind elf der 20 weltweit reichsten Selfmade-Frauen Chinesinnen.

Chinas Aufschwung hält nicht an

Maschinenbau macht Kasse in China
Voith Quelle: dpa
Knorr-Bremse Quelle: dpa
Schuler Quelle: dpa
Manz Quelle: PR
Waldrich Siegen Quelle: Screenshot
MAG

Die unterschiedliche Ausprägung von Reichtum und Armut zwischen Indien und China passt nicht ganz in das Bild, wonach autoritäre Gesellschaften ökonomisch weniger erfolgreich und sozial ungleicher sind als demokratische. In diesem Sinn haben kürzlich zwei amerikanische Ökonomen, Daron Acemoglu und James Robinson, ein interessantes Buch veröffentlicht: „Why Nations Fall. The Origins of Power, Prosperity, and Poverty". Ihre These: Langfristig entscheiden nicht die geografische Lage oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur über den Wohlstand einer Gesellschaft, sondern die politischen Institutionen eines Landes.

Die Autoren unterscheiden zwischen zwei institutionellen Formen: In Ländern mit extraktiven Institutionen kann sich eine kleine Elite dank autoritärer Strukturen auf Kosten der Mehrheit bereichern; Länder mit inklusiven (demokratischen) Institutionen dagegen bieten allen Mitgliedern der Gesellschaft die Möglichkeit zur freien Entfaltung und ermöglichen damit Innovationen und Fortschritt.

Wann bricht der Aufschwung ein?

In ihrer Prognose zu China sind sich die Autoren sicher: Chinas wirtschaftlicher Aufschwung könne nicht anhalten. Das Land werde den Weg der Sowjetunion gehen, wenn es seine Institutionen nicht grundlegend reformiert und von der Einparteienherrschaft abkehrt. Damit haben die Autoren vermutlich Recht – die Frage ist nur, wann Chinas Dynamik einbricht. Oder ob die KP lernfähig ist und Erschütterungen wie der aktuelle Skandal um Bo Xilai sie zu Reformen veranlasst.

Schade jedoch, dass die Autoren Indien nur mit seiner kolonialen Vergangenheit in ihre Untersuchungen einbezogen haben, nicht aber sich zu Indiens Entwicklung äußern. Aber wenn ihre These richtig ist, dann ist die Demokratie, auf die viele Inder so stolz sind, vermutlich nur ein Firnis, der tiefliegende archaische, autoritäre Strukturen verdeckt.

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