Ausländische Investoren Gefangen in Tiflis

Seite 4/5

Durch die Rosenrevolution – so genannt nach den Blumen, die Demonstranten auf dem Freiheitsplatz von Tiflis trugen – wurde Schewardnadse im November 2003 der Wahlfälschung bezichtigt und aus dem Amt vertrieben. Nun schlug die Stunde des Micheil Saakaschwili. Der Englisch sprechende Oppositionsführer, der an der Columbia University Jura studiert hatte und bei der New Yorker Kanzlei Patterson Belknap Webb & Tyler gearbeitet hatte, wurde 2004 zum Präsidenten gewählt. Seitdem bemüht er sich darum, die Rechtsstaatlichkeit zu stärken – indem er beispielsweise mit Schmiergeldern für Richter aufräumte. Für Fuchs und Kardassopoulos bekundete er bisher jedoch keine öffentliche Sympathie.

Unter Berufung auf Verträge zwischen ihren Heimatländern und Georgien brachten die Geschäftsmänner ihre Beschwerde 2005 vor das ICSID. Fuchs konnte den deutschen Allianz-Konzern  als Investor für den Rechtsstreit gewinnen. Die 218 Seiten starke Begründung der ICSID-Entscheidung von vergangenem März lieferte den beiden Klägern einen fundierten Herausgabeanspruch. Die zugesprochene Summe von 98 Millionen Dollar – die inzwischen Fuchs’ Anwälten zufolge mit Zinsen auf 102 Millionen Dollar gestiegen ist – soll entgangenen Gewinn und beträchtliche Rechtskosten abdecken. „Die Zurückweisung jeglicher Haftung gegenüber den Klägern durch den georgischen Staat“, schloss die Kommission, „bedeutete eine klare Verletzung ihrer durch internationale Bestimmungen garantierten Rechte.“

Nach der Niederlage im Schiedsverfahren engagierte Georgien eine neue Anwaltskanzlei, Dewey & LeBoeuf aus New York, und versuchte, das ICSID dazu zu bewegen, die Entscheidung aufzuheben. Zudem trat Dewey mit Fuchs’ Anwälten im Londoner Büro von Skadden Arps in Verhandlung. Einen internationalen Schiedsspruch anzufechten ist nur begrenzt möglich, aber die Anwälte Georgiens gaben zu verstehen, dass sie bis zum Ende kämpfen würden – es sei denn, Fuchs und sein Partner akzeptierten eine deutlich niedrigere Vergleichssumme. Fuchs war jedoch war angesichts der für ihn günstigen Entscheidung nicht gewillt, sich mit Pennies statt Dollars zufriedenzugeben.

Georgien genügte es aber offenbar nicht mehr, hochbezahlte Anwälte auf die Sache anzusetzen. Während nach außen juristische Geplänkel liefen, nahm die Regierung in Tiflis direkten Kontakt mit Fuchs auf. Im August beauftragte das Finanzministerium den 30-jährigen Beamten Avtandil Kharaidze, Verbindung herzustellen. In einer eidesstattlichen Erklärung vom 2. September 2010 sagt Kharaidze aus, er habe einen „jüdischen Geschäftsmann in Georgien“ ausfindig gemacht, „der enge Beziehungen zu Rony Fuchs besaß“. Dieser Mittelsmann war Ze’ev Frenkiel, der als Angestellter für Fuchs in Georgien gearbeitet hatte. Kharaidze traf sich mit Frenkiel, der sich auf die Rolle des Vermittlers einließ. Laut der Erklärung des Georgiers, sagte Frenkiel zu ihm: „Rony war bereit, mir 5.000.000 US-Dollar als Bestechungsgeld zu zahlen, vorausgesetzt, dieses Geschäft nimmt einen für ihn vorteilhaften Ausgang.“ Bei dieser Aussage habe Frenkiel ihm die fünf Finger der offenen Hand gezeigt. Weiter sagte Kharaidze: „Ich habe Ze’ev Frenkiel zum Schein zugestimmt und ihm gesagt, wenn er mir helfen würde, dieses Schmiergeld zu erhalten, würde ich ihm die Summe von 500.000 Dollar für seine Mittlerdienste geben.“

Kharaidze beschloss die Erklärung, die an den georgischen Generalstaatsanwalt adressiert ist, mit dem Angebot, als verdeckter Ermittler zu fungieren. „Ich bin bereit, an den Ermittlungen mitzuwirken“, heißt es dort, „und dabei zu helfen, die Leute, die die Straftat begehen, bloßzustellen.“ Die Auszüge stammen aus einer englischen Übersetzung georgischer Gerichtsunterlagen, die Bloomberg Businessweek von Archil Kbilashvili erhalten hat, der sowohl Fuchs als auch Frenkiel vertritt. Kbilashvili ist Partner der Tifliser Kanzlei für Unternehmensrecht Mgaloblishvili, Kipiani & Dzidziguri, und nach seinen Worten hat Fuchs Frenkiel nie erlaubt, Bestechungsgeld anzubieten. „Es ist eine Lüge“; sagt der Verteidiger. Frenkiel beharrt darauf, Kharaidze habe das Thema Schmiergeld aufgebracht – und dann eine Vermittlergebühr von zehn Prozent der Summe, sagt Kbilashvili.

Die Operation nahm rasch Fahrt auf. „Gemäß des Ermittlungsplans reiste ich am 14. September 2010 nach Istanbul, um Rony Fuchs und Ze’ev Frenkiel zu treffen“, berichtet Kharaidze in einer Aussage drei Tage später. Anders gesagt: Der georgische Beamte ging in erster Linie nach Istanbul, um zu ermitteln, und nicht, um zu verhandeln. Daher die in der Pflanze im Hotelzimmer verborgene Kamera. An jenem Morgen kamen die drei Männer und ein Übersetzer der georgischen Regierung in einer sonnigen Suite im Intercontinental in der Nähe der berühmten Blauen Moschee zusammen. Das verdeckt aufgenommene Video, das Bloomberg Businessweek von Anwälten der Verteidigung erhalten hat, zeigt das Quartett auf einem roten Sofa und Sesseln um einen Tisch voller Flaschen mit Alkohol und typischen kleinen Speisen der Region. Kharaidze, in Jeans und einem blauen Button-Down-Hemd, hat sich mit dem Rücken zur Kamera positioniert. Fuchs hat einen Pullover lässig über die Schultern gelegt und sitzt mitten im Ausschnitt der Kamera.

Es folgt eine weitschweifige Unterhaltung zwischen den Vieren, auf Russisch, Englisch, Georgisch und Hebräisch. Keiner scheint sich sehr an dem Gedanken zu stören, dass Fuchs Kharaidze und möglicherweise anderen Millionen Dollar zahlt, um einer Einigung den Weg zu ebnen. Etwa 50 Minuten nach Beginn der Versammlung im Intercontinental erwähnt Kharaidze das erste Mal ausdrücklich die Nebenzahlung und verlangt offensichtlich mehr. „Was dieses ganze Vorhaben angeht“, sagt er, „sollten die genannten fünf Millionen Dollar auf sieben Millionen Dollar erhöht werden.“

Die Äußerung des Georgiers deutet darauf hin, dass über „die fünf Millionen Dollar“ bereits gesprochen wurde, und keiner widerspricht ihm. Stattdessen erkundigt sich Fuchs gelassen, ob das Bestechungsgeld, egal welcher Höhe, aus der höheren Vergleichssumme stammen soll. Die Antwort lautet „Ja“.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%