Ausländische Investoren Gefangen in Tiflis

In Werbekampagnen wirbt Georgien um ausländische Investoren. Doch wie gefährlich Geschäfte in Georgien sind, zeigt der Fall Rony Fuchs, in dem auch der Allianz-Konzern eine wichtige Rolle spielt.

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Georgiens Premierminister Nika Quelle: REUTERS

Seit Oktober sitzt Rony Fuchs wegen geplanter Beamtenbestechung in einem Gefängnis in Tiflis. Peinlich dabei: Das Land, das sich öffentlichkeitswirksam dem Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft verschrieben hat, schuldet dem Geschäftsmann zufällig auch 100 Millionen Dollar.

Die Einladung an Ölhändler Rony Fuchs war äußerst ungewöhnlich. Nika Gilauri, Ministerpräsident Georgiens, lud ihn in den Schwarzmeer-Urlaubsort Batumi ein. Es ging darum, einen Vergleich in einem handelsrechtlichen Streitfall zu schließen, in dem Fuchs seit fast 15 Jahren rund 100 Millionen Dollar vom georgischen Staat fordert. „Ein solches Treffen gibt uns die Gelegenheit, alle Einzelheiten zu besprechen, und wird zweifellos einen positiven Beitrag zu einer einvernehmlichen Lösung der Angelegenheit leisten“, schrieb der Ministerpräsident. Das Briefpapier trug das offizielle Siegel und den Briefkopf der ehemaligen Sowjetrepublik, und Gilauri hatte schwungvoll unterschrieben. Das war im vergangenen Oktober.

Fuchs entschloss sich zu der Reise. Der israelische Geschäftsmann ist als Investor in der Türkei tätig und dient gleichzeitig als türkischer Honorarkonsul – eine Position, in der er wirtschaftliche Belange mit inoffizieller Diplomatie verbindet. Zuvor arbeitete er 15 Jahre lang in New York als Energiehändler, und er ist mit dem israelischen Präsidenten Shimon Peres befreundet. Aus jahrzehntelanger Erfahrung mit der unübersichtlichen Interessenlage im Überschneidungsbereich von Handel und Politik interpretierte Fuchs Gilauris Brief als Signal: Georgien, vermutete er, wollte endlich den Streit beilegen, der zurückreicht bis zur Lossagung des Landes von Moskau.

Sieben Millionen Dollar Bakschisch

Der Israeli sah sich in einer guten Verhandlungsposition. Wie eine Schiedskommission des Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) im März 2010 entschieden hatte, schuldete der georgische Staat Fuchs und einem griechischen Investitionspartner 98 Millionen Dollar plus Zinsen für ein privates Ölprojekt, das Georgien Mitte der 1990er Jahre in Staatsbesitz genommen hatte.Natürlich sträubte sich Georgien gegen die Zahlung und versuchte, den Schiedsspruch anzufechten. Im September 2010 traf sich Fuchs in einem Istanbuler Luxushotels mit Beauftragten der georgischen Regierung, um weiter zu verhandeln. Nach fast vier Stunden hitziger Gespräche und reichlichem Cognac-Konsum erzielten sie eine mündliche Übereinkunft: Statt weiter vor Gericht zu streiten, würde Georgien die niedrigere Summe von 72 Millionen Dollar entrichten – unter einer entscheidenden Bedingung: Fuchs würde von den 72 Millionen Dollar sieben Millionen unter der Hand sofort wieder an georgische Beamten zurückzahlen. Ob man das als „kleinen Anreiz“, als Schmiergeld oder Bakschisch bezeichnet – an der Harvard Business School wird als Ethik etwas anderes gelehrt. Fuchs kümmerte das jedoch nicht, jetzt hatte er die persönliche Einladung des Ministerpräsidenten, den Handel unter Dach und Fach zu bringen. Er musste nur noch nach Batumi reisen, vor den Kameras des georgischen Fernsehens ein paar Hände schütteln und einige Papiere unterschreiben, um alles offiziell zu machen.

Aber so einfach sollte es nicht werden. Fuchs reiste am 14. Oktober zusammen mit seinem israelischen Kollegen Ze’ev Frenkiel nach Batumi. Als sie dort ankamen, wurden sie vom georgischen Finanzministerium mit einem Supra empfangen, einer landestypischen, aufwändigen Feier. Gerade als die Zeremonie zur Unterzeichnung beginnen sollte, nahm ein führender Beamter Fuchs beiseite. Er bat ihn in den ersten Stock des Restaurants, angeblich, um Details der Presseerklärung abzustimmen, und während ihre Anwälte unten im Speisesaal von anderen Regierungsvertretern abgelenkt wurden, teilte man Fuchs und Frenkiel mit, sie seien verhaftet. Der Brief Gilauris war ein Köder – Teil einer dreimonatigen verdeckten Operation der Georgier: Die alkoholisierte Begegnung in Istanbul war mit einer Kamera aufgezeichnet worden, die in einer harmlos aussehenden Hängepflanze versteckt war.

Fuchs und Frenkiel wurden in getrennte Räume gebracht, durchsucht, sie mussten die Pässe abgeben, und sie wurden verhört. In einer Videoaufnahme des Verhörs sieht Fuchs wütend einem georgischen Strafverfolger dabei zu, wie er seine Brieftasche inspiziert und Geldscheine in verschiedenen Währungen zählt. Sauber und ordentlich steckt der Beamte Fuchs’ Sachen in einen durchsichtigen Beweisbeutel, während zwei düster dreinblickende Sicherheitsleute den Beschuldigten in Schach halten. Fuchs wischt sich mit einer weißen Leinenserviette die Stirn, dann sieht er niedergeschlagen aus dem Fenster.

Ausgelöst durch den Streit um die zwei abtrünnigen Kaukasusregionen Abchasien und Südossetien führte Georgien 2008 einen kurzen, katastrophal endenden Krieg gegen Russland. Seitdem wirbt die Regierung in Tiflis verstärkt um Handelsbeziehungen mit dem Ausland. Leicht ist dies nicht. Das Land hat etwa die Größe Bayerns und besitzt 4,6 Millionen Einwohner, darunter 200.000 Flüchtlinge infolge des Konflikts mit Russland. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt nach einem Rückgang von sieben Prozent 2009 bei 4.400 Dollar pro Kopf. Damit belegt das Land international Platz 149. In den vergangenen zwei Jahren entging Georgien nur durch internationale Hilfen nach dem Krieg dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Insgesamt wird das Land 4,6 Milliarden Dollar erhalten, wobei eine Milliarde Dollar aus den USA stammen.

Dennoch genießt Georgien in Washington und anderen westlichen Hauptstädten für seine Größe viel Aufmerksamkeit. Dies ist in erster Linie auf die Lage des Landes zurückzuführen. Es kontrolliert strategisch wichtige Häfen am Schwarzen Meer und einen großen Teil des Kaukasus, der die Südgrenze Russlands bildet. Die Regierung in Tiflis ist so demokratisch wie alle anderen in der Region, dabei aber pro-amerikanischer als die Nachbarn. Die wichtigste Straße zum Flughafen Tiflis ist danach Präsident George W. Bush benannt. In den vergangenen zwölf Monaten fuhr das Land im Nachrichtensender CNN und in der BBC eine teure Werbekampagne. Die Botschaft: Wir sind auf Reformkurs! Eine Anzeigenserie im Wall Street Journal verpasste Georgien den Titel der „weltweiten Nummer eins im Kampf gegen Korruption“.

Andere sehen das Geschäftsklima in Georgien weniger rosig. Ein Bericht der Anti-Korruptionsorganisation Transparency International vom Mai 2010 bezichtigt die Regierung in Tiflis des „Steuerterrorismus“. Sie setze ihre Finanzpolizei ein, um Unternehmen einzuschüchtern und werfe Angestellte sogar ins Gefängnis, um höhere Steuereinnahmen und Geldbußen einzutreiben. „Der Staat sperrt zu schnell ein, in Fällen, die im Westen als minderschwere zivilrechtliche und steuerliche Angelegenheiten betrachtet würden“, sagt David Lee. Er ist Präsident der amerikanischen Handelskammer in Georgien und Direktor des nicht börsennotierten US-Unternehmens Magticom, dem größten Telekomanbieter im Land. Nach Lees Anagaben wurden allein in den zurückliegenden zwölf Monaten in „mehreren Fällen“ Angestellte ausländischer Unternehmen ohne Prozess zum Teil mehrere Monate lang inhaftiert. Inländische Firmen seien solchen Schikanen noch eher ausgesetzt, sagt er.

Nach ihrer Verhaftung am 14. Oktober wurden Fuchs und Frenkiel in ein Gefängnis im Zentrum von Tiflis geschafft. Eine Entlassung auf Kaution wurde abgelehnt, so dass sie nun seit über fünf Monaten hinter Gittern sitzen.

Beide dürfen dreimal im Monat 15 Minuten mit ihrer Familie telefonieren. Montags, mittwochs und freitags müssen sie in einem kühlen, schlecht beleuchteten Gerichtssaal in Tiflis wegen Bestechung verantworten. Werden sie verurteilt, drohen ihnen bis zu acht Jahre Gefängnis.

Fuchs beschäftigt einen ganzen Stab renommierter Anwälte. Außer einer namhaften georgischen Kanzlei gehören zum Verteidigerteam Gregory B. Craig – ehemaliger Rechtsberater von Barack Obama und jetzt Partner bei Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom in Washington D.C. – und der britische Kronanwalt Geoffrey Robertson aus London. Letzterer vertritt auch WikiLeaks-Gründer Julian Assange beim Kampf gegen eine Auslieferung an Schweden. Trotzdem stehen die Chancen für Fuchs und Frenkiel schlecht. Vergangenes Jahr wurden 99,96 Prozent aller Beklagten vor Gerichten in Tiflis verurteilt, zeigen Analysen der von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützten georgischen Nachrichten-Webseite civil.ge.

Dabei könnte Fuchs sofort aus dem Gefängnis freikommen – indem er auf die Ansprüche aus dem Schiedsurteil aufgibt. Dies habe ein Beamter des georgischen Justizministeriums im Oktober unter vier Augen dem israelischen Botschafter in Georgien zu verstehen gegeben, sagen Fuchs’ Anwälte.

Fuchs weigert sich. „Wir werden hier als Geiseln gehalten, und die georgische Regierung verlangt ein Lösegeld von 100 Millionen Dollar. Wir werden nicht zahlen“, ließ er einen Reporter bei der Gerichtsverhandlung im Januar wissen. Da er nicht mit Journalisten sprechen darf, übermittelte Fuchs die Nachricht über seinen leitenden georgischen Anwalt, Archil Kbilashvili. Ein Diplomat in Tiflis bestätigte das Angebot der georgischen Seite, Fuchs im Gegenzug für eine Aufhebung des Spruchs freizulassen. Der Informant will anonym bleiben, um sich nicht den Ärger der Regierung zuzuziehen.

Wie auch immer der Prozess und eine mögliche Berufung von Fuchs ausgehen: Seine Geschichte zeigt, welch unwägbaren Risiken Geschäftsleute in Georgien und anderen ehemaligen Sowjetstaaten ausgesetzt sind. Fuchs sieht sich als Opfer einer Intrige, durch die sich der Staat vor teuren Entschädigungszahlungen drücken will. „Wer erwägt, in Georgien Geschäfte zu machen, sei gewarnt“, sagt sein Anwalt Craig. „Er handelt auf eigene Gefahr.“

In krassem Gegensatz hierzu spricht die georgische Staatsanwaltschaft von routinemäßiger Strafverfolgung. „Es trifft nicht zu, dass ein Vertreter der Regierung den Verzicht auf die Rechte verlangt hat“, sagt Davit Sakvarelidze, der erster stellvertretende Generalstaatsanwalt Georgiens. Das Büro des Generalstaatsanwalts habe vielmehr klargestellt, unter welchen Voraussetzungen ein Vergleich möglich wäre: Schuldeingeständnis, Mitwirkung bei den Ermittlungen und Wiedergutmachung für den Schaden, der dem Staat entstanden ist. Letzteres bezieht sich auf eine Geldbuße, die voraussichtlich durch den Verzicht auf die Rechte aus dem Schiedsspruch abgegolten wäre. „Das sind reguläre Vorbedingungen, wie sie das georgische Strafgesetz vorsieht“, fügt Sakvarelidze hinzu. Nach seinen Worten ist Fuchs’ Fall Teil einer umfassenden Initiative, das verrohte Land aufzuräumen und attraktiver für ausländische Investoren zu machen. „Wir können die Anschuldigungen mit überzeugenden Beweisen belegen“, sagt er. „Für uns zeigt dieser Fall – die wahren Fakten des Falls und nicht die Spekulationen von Herrn Fuchs – erneut, dass der georgische Staat den Kampf gegen Korruption sehr ernst nimmt.“

Fuchs sitzt erstaunlich gefasst im Gerichtssaal II des Stadtgerichts von Tiflis, einem Gebäude mit gelben Säulen, das mit Hilfsgeldern der USA renoviert wurde. Er trägt ein weißes Anzugshemd mit offenem Kragen und einen dunklen Blazer und sieht aus wie William Shatner in jüngeren Jahren. Sein welliges, graumeliertes Haar ist deutlich länger als vor der Verhaftung. Er hat Herzprobleme und würde statt der verfügbaren Medikamente lieber Präparate aus Israel erhalten, doch seinen Anwälten zufolge verweigern die georgischen Behörden dies. Fuchs hat abgenommen, sieht aber trotzdem kräftig aus. Während der Verhandlung flüstert er eifrig mit seinem Anwalt.

Fuchs ist in Haifa geboren und aufgewachsen und hat eine Schwester, Orna Asia. Der Schwester zufolge diente er drei Jahre in der israelischen Armee und besitzt einen Abschluss in Volkswirtschaft von der Universität seiner Heimatstadt. Er arbeitete zunächst einige Jahre für das Schiffsgutachter-Büro seines Vaters und verbrachte seine späten Zwanziger und Dreißiger dann in New York im Ölhandel. Er hat drei erwachsene Kinder in Israel, seine Ex-Frau lebt in Miami, er selbst in Tel Aviv. „Rony redet mit jedem – mit Politikern und dem Pförtner seines Wohnblocks“, sagt die Schwester. „Er hat so viele Projekte, so viel Energie.“

Die meisten seiner Projekte drehen sich um den Kauf und Verkauf von Energie. 1991 wurde Fuchs von einem georgischstämmigen Mitglied des israelischen Parlaments mit Vertretern der gerade unabhängig gewordenen Regierung in Tiflis bekannt gemacht. Als erfolgreicher Händler, damals etwas über vierzig, strebte er in der israelischen Geschäftswelt ganz nach oben. Genau richtig erkannte er, welche gewaltige Chance sich durch den Untergang der Sowjetunion auftat. Georgien suchte nach ausländischen Investoren, die baufällige Einrichtungen aus der Sowjetzeit instandsetzten und ausbauten, damit kaspisches Öl und Gas von teilweise brach liegenden Feldern in Aserbaidschan nach Westen zu Terminals am Schwarzen Meer transportiert werden konnte. Obwohl ein Projekt dieser Größenordnung für Fuchs neu war, bot er an, das Kapital aufzubringen und bei der Instandsetzung der transgeorgischen Pipeline und der Hafenanlagen Regie zu führen. Weil sie dringend Geld brauchten und weil Fuchs’ Tatkraft sie beeindruckte, ging der staatliche georgische Ölkonzerns Saknavtobi mit Fuchs’ Unternehmen Tramex International ein Joint Venture ein. Tramex wiederum gehörte Fuchs und dem griechischen Geschäftsmann Ioannis Kardassopoulos.

Die Kooperation sollte nicht glatt verlaufen. Zunächst verhinderte der Putsch gegen den ersten Präsidenten Georgiens nach der Unabhängigkeit den Start des Projekts. Aber Fuchs gab nicht auf, stellte die aus drei Personen bestehende, von der Weltbank-Einrichtung ICSID berufene Kommission fest. Während andere Investoren Georgien verließen, sagte Fuchs vor dem Panel, seien sie geblieben: „Wir verlassen das Land nicht. Wir kommen zurück, und sie sehen, dass es uns ernst ist.“

1993 vergab die neue georgische Regierung dann eine für 30 Jahre geltende Konzession, nach der das Joint Venture das Energie-Transportnetz des Landes betreiben würde: Pipelines, Lagereinrichtungen und Bahnstationen. Reparatur und Umbau begannen. Fuchs beauftragte ortsansässige Bauunternehmen und verbrachte selbst sehr viel Zeit in Georgien. Bis 1995 hatte Tramex Angaben von Fuchs’ Anwälten zufolge über zwölf Millionen Dollar in das Projekt gesteckt.

Dann brachten nach und nach Unsicherheit und Unruhen die Arbeiten zum Erliegen, wie die ICSID-Kommission befand. Das Projekt sei eindeutig immer wieder durch Sicherheitsprobleme behindert worden, unter anderem durch Materialdiebstahl und Kämpfe Aufständischer in einigen Regionen in der Nähe von Baustellen, heißt es. Der Hauptgrund dafür, dass das Engagement von Tramex nachließ, seien jedoch „Gerüchte und Maßnahmen der georgischen Regierung“ gewesen, die die „Exklusivrechte des Joint Ventures an den Pipelines infrage stellten“, schließt das Komitee.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Eduard Schewardnadse, ehemaliger Außenminister der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow und zuvor Chef der KPdSU in Georgien, das Amt des Staatsratsvorsitzenden übernommen. Im Jahr 1995 wurde er dann zum Präsidenten gewählt und begann bald, mit einem Konsortium großer westlicher Energiekonzerne zu verhandeln, die im Ölgeschäft am Kaspischen Meer mitmischen wollten. Über Nacht erhielt eine modernisierte Rohrleitung durch Georgien enorme potenzielle Bedeutung. Fuchs hatte es kommen sehen – aber die nun auf dem Spiel stehenden Summen waren so hoch und die internationale Politik so verwickelt, dass sein kleines Unternehmen kaum die Führungsrolle behalten konnte. Um den Weg für eine Zusammenarbeit mit dem internationalen Konsortium freizumachen, erklärte Schewardnadse-Regierung im Februar 1996 per Dekret sämtliche, an alle Parteien bisher vergebenen Energierechte für nichtig. Dies habe Fuchs’ Abenteuer am Kaukasus ein „abruptes Ende“ bereitet, heißt es von Seiten der Schiedskommission.

Wer in einem instabilen Schwellenland investiert, muss immer mit Verstaatlichung oder Enteignung rechnen. Fuchs wusste das, forderten aber nun zusammen mit seinem griechischen Partner zumindest eine Entschädigung für die Chance, die man ihnen kurzerhand genommen hatte. Tatsächlich signalisierte die Schewardnadse-Regierung der Kommission zufolge wiederholt „die Zahlung eines angemessenen Ausgleichs“.

Doch die Abfindung erfolgte nie. Während er in der Türkei und Israel anderen Geschäften nachging, traf sich Fuchs jahrelang immer wieder mit georgischen Funktionären und versuchte ohne Erfolg, einen Vergleich auszuhandeln. Daraufhin beauftragte Fuchs das New Yorker Beratungsunternehmen Kissinger Associates, und im Januar 2003 schrieb der Präsident des Unternehmens, der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, im Auftrag Fuchs’ an Schewardnadse. Zudem entsandte Kissinger einen Beraterkollegen zu einem Treffen mit georgischen Beamten in Tiflis. „Schewardnadse sah ein, was Dr. Kissinger schrieb“, sagte Fuchs vor der Kommission, „und alles stand kurz vor der Lösung.“

Bei einem Telefonat mit Schewardnadse in Tiflis sagte der 83-Jährige, er wolle keine alten Streitigkeiten aufwärmen. In einem weiteren Interview sagte sein ehemaliger Stabschef Peter Mamradze, als Schewardnadse entschied, mit dem internationalen Konsortium ins Geschäft zu kommen, habe er nichts von den Exklusivrechten Fuchs’ und seines Partners gewusst. Jedenfalls kamen wieder politische Ereignisse dazwischen. „Es gab die Rosenrevolution, oder wie sie sie nennen“, sagte Fuchs der Schiedskommission, „und alles war auf den Kopf gestellt.“

Durch die Rosenrevolution – so genannt nach den Blumen, die Demonstranten auf dem Freiheitsplatz von Tiflis trugen – wurde Schewardnadse im November 2003 der Wahlfälschung bezichtigt und aus dem Amt vertrieben. Nun schlug die Stunde des Micheil Saakaschwili. Der Englisch sprechende Oppositionsführer, der an der Columbia University Jura studiert hatte und bei der New Yorker Kanzlei Patterson Belknap Webb & Tyler gearbeitet hatte, wurde 2004 zum Präsidenten gewählt. Seitdem bemüht er sich darum, die Rechtsstaatlichkeit zu stärken – indem er beispielsweise mit Schmiergeldern für Richter aufräumte. Für Fuchs und Kardassopoulos bekundete er bisher jedoch keine öffentliche Sympathie.

Unter Berufung auf Verträge zwischen ihren Heimatländern und Georgien brachten die Geschäftsmänner ihre Beschwerde 2005 vor das ICSID. Fuchs konnte den deutschen Allianz-Konzern  als Investor für den Rechtsstreit gewinnen. Die 218 Seiten starke Begründung der ICSID-Entscheidung von vergangenem März lieferte den beiden Klägern einen fundierten Herausgabeanspruch. Die zugesprochene Summe von 98 Millionen Dollar – die inzwischen Fuchs’ Anwälten zufolge mit Zinsen auf 102 Millionen Dollar gestiegen ist – soll entgangenen Gewinn und beträchtliche Rechtskosten abdecken. „Die Zurückweisung jeglicher Haftung gegenüber den Klägern durch den georgischen Staat“, schloss die Kommission, „bedeutete eine klare Verletzung ihrer durch internationale Bestimmungen garantierten Rechte.“

Nach der Niederlage im Schiedsverfahren engagierte Georgien eine neue Anwaltskanzlei, Dewey & LeBoeuf aus New York, und versuchte, das ICSID dazu zu bewegen, die Entscheidung aufzuheben. Zudem trat Dewey mit Fuchs’ Anwälten im Londoner Büro von Skadden Arps in Verhandlung. Einen internationalen Schiedsspruch anzufechten ist nur begrenzt möglich, aber die Anwälte Georgiens gaben zu verstehen, dass sie bis zum Ende kämpfen würden – es sei denn, Fuchs und sein Partner akzeptierten eine deutlich niedrigere Vergleichssumme. Fuchs war jedoch war angesichts der für ihn günstigen Entscheidung nicht gewillt, sich mit Pennies statt Dollars zufriedenzugeben.

Georgien genügte es aber offenbar nicht mehr, hochbezahlte Anwälte auf die Sache anzusetzen. Während nach außen juristische Geplänkel liefen, nahm die Regierung in Tiflis direkten Kontakt mit Fuchs auf. Im August beauftragte das Finanzministerium den 30-jährigen Beamten Avtandil Kharaidze, Verbindung herzustellen. In einer eidesstattlichen Erklärung vom 2. September 2010 sagt Kharaidze aus, er habe einen „jüdischen Geschäftsmann in Georgien“ ausfindig gemacht, „der enge Beziehungen zu Rony Fuchs besaß“. Dieser Mittelsmann war Ze’ev Frenkiel, der als Angestellter für Fuchs in Georgien gearbeitet hatte. Kharaidze traf sich mit Frenkiel, der sich auf die Rolle des Vermittlers einließ. Laut der Erklärung des Georgiers, sagte Frenkiel zu ihm: „Rony war bereit, mir 5.000.000 US-Dollar als Bestechungsgeld zu zahlen, vorausgesetzt, dieses Geschäft nimmt einen für ihn vorteilhaften Ausgang.“ Bei dieser Aussage habe Frenkiel ihm die fünf Finger der offenen Hand gezeigt. Weiter sagte Kharaidze: „Ich habe Ze’ev Frenkiel zum Schein zugestimmt und ihm gesagt, wenn er mir helfen würde, dieses Schmiergeld zu erhalten, würde ich ihm die Summe von 500.000 Dollar für seine Mittlerdienste geben.“

Kharaidze beschloss die Erklärung, die an den georgischen Generalstaatsanwalt adressiert ist, mit dem Angebot, als verdeckter Ermittler zu fungieren. „Ich bin bereit, an den Ermittlungen mitzuwirken“, heißt es dort, „und dabei zu helfen, die Leute, die die Straftat begehen, bloßzustellen.“ Die Auszüge stammen aus einer englischen Übersetzung georgischer Gerichtsunterlagen, die Bloomberg Businessweek von Archil Kbilashvili erhalten hat, der sowohl Fuchs als auch Frenkiel vertritt. Kbilashvili ist Partner der Tifliser Kanzlei für Unternehmensrecht Mgaloblishvili, Kipiani & Dzidziguri, und nach seinen Worten hat Fuchs Frenkiel nie erlaubt, Bestechungsgeld anzubieten. „Es ist eine Lüge“; sagt der Verteidiger. Frenkiel beharrt darauf, Kharaidze habe das Thema Schmiergeld aufgebracht – und dann eine Vermittlergebühr von zehn Prozent der Summe, sagt Kbilashvili.

Die Operation nahm rasch Fahrt auf. „Gemäß des Ermittlungsplans reiste ich am 14. September 2010 nach Istanbul, um Rony Fuchs und Ze’ev Frenkiel zu treffen“, berichtet Kharaidze in einer Aussage drei Tage später. Anders gesagt: Der georgische Beamte ging in erster Linie nach Istanbul, um zu ermitteln, und nicht, um zu verhandeln. Daher die in der Pflanze im Hotelzimmer verborgene Kamera. An jenem Morgen kamen die drei Männer und ein Übersetzer der georgischen Regierung in einer sonnigen Suite im Intercontinental in der Nähe der berühmten Blauen Moschee zusammen. Das verdeckt aufgenommene Video, das Bloomberg Businessweek von Anwälten der Verteidigung erhalten hat, zeigt das Quartett auf einem roten Sofa und Sesseln um einen Tisch voller Flaschen mit Alkohol und typischen kleinen Speisen der Region. Kharaidze, in Jeans und einem blauen Button-Down-Hemd, hat sich mit dem Rücken zur Kamera positioniert. Fuchs hat einen Pullover lässig über die Schultern gelegt und sitzt mitten im Ausschnitt der Kamera.

Es folgt eine weitschweifige Unterhaltung zwischen den Vieren, auf Russisch, Englisch, Georgisch und Hebräisch. Keiner scheint sich sehr an dem Gedanken zu stören, dass Fuchs Kharaidze und möglicherweise anderen Millionen Dollar zahlt, um einer Einigung den Weg zu ebnen. Etwa 50 Minuten nach Beginn der Versammlung im Intercontinental erwähnt Kharaidze das erste Mal ausdrücklich die Nebenzahlung und verlangt offensichtlich mehr. „Was dieses ganze Vorhaben angeht“, sagt er, „sollten die genannten fünf Millionen Dollar auf sieben Millionen Dollar erhöht werden.“

Die Äußerung des Georgiers deutet darauf hin, dass über „die fünf Millionen Dollar“ bereits gesprochen wurde, und keiner widerspricht ihm. Stattdessen erkundigt sich Fuchs gelassen, ob das Bestechungsgeld, egal welcher Höhe, aus der höheren Vergleichssumme stammen soll. Die Antwort lautet „Ja“.

Nachdem dieser Punkt geklärt ist, verlangt Kharaidze: „Trinken wir noch etwas.“ Fuchs, der sich den vorherigen Trinkrunden mit der Bemerkung verweigert hatte, es sei gerade erst Vormittag, reagiert verärgert. „An welchem Punkt kommen wir endlich zur Wahrheit?“, fragt er.

„Das hängt offenbar von Ihnen ab“, gibt der Georgier zurück.

„Zu früh am Morgen“, sagt Fuchs. „Ich war bis ein Uhr mit meinen Kindern unterwegs.“ Dann lenkt er das Gespräch in eine freundlichere Richtung. Er empfiehlt das Restaurant und die Diskothek, in die seine Familie am Abend zuvor besucht hatte. Dann folgt man der Aufforderung des georgischen Beauftragten und die Gläser werden wieder erhoben.

Ein wenig später fragt Fuchs den Georgier, ob die Zahlung durch entsprechende Papiere einen rechtmäßigen Anschein erhalten könnte. „Bekommen wir eine Rechnung?“, will Fuchs wissen. „Ich muss Ihnen nicht erklären, was damit passiert“, fährt er fort, „aber ich muss sie den Deutschen, den Anwälten, vorlegen, weil sie unsere Kosten ausrechnen.“ Offensichtlich bezieht er sich auf Allianz und Skadden Arps.

Um voranzukommen, schlägt Fuchs ferner ein Vorgehen vor, das er anscheinend bei einem früheren Geschäft angewendet hat. „Ich hatte ein anderes Land – wir hatten einen Fall – wo es eine Empfangsbestätigung der Partei gab, der Regierungspartei oder so ähnlich, und dann gaben wir es als Spende an die Partei.“ Der Israeli geht ins Detail: „Wir bekamen eine Quittung: ‚Danke für die Zuwendung.’ Aber wir wussten, das Geld geht an die Leute.“

Der Gedanke, zur Tarnung eine politische Spende zu konstruierten, tritt in den Hintergrund, als Kharaidze von Fuchs wissen will, wie hoch der Vergleich und die Nebenzahlung nach seiner Ansicht sein sollen.

Fuchs geht die Geduld aus, und plötzlich fährt er auf: „100.“ Damit will er auf sarkastische Weise ausdrücken, dass er sich nur mit den gesamten 100 Millionen Dollar zufrieden gibt. Etwas später lässt er erkennen, dass er sich erpresst fühlt. „Wollt ihr mehr?“, fragt er. „Ist das etwa euer Geld? Das ist nicht euer Geld, das ist mein Geld.“

Schließlich kommt man zu einem Kompromiss: Fuchs und sein Partner bekommen 72 Millionen Dollar, und davon werden sie sieben Millionen Dollar an Kharaidze und seine nicht genannten Partner zurückzahlen. Der georgische Funktionär ruft demonstrativ mit dem Mobiltelefon seine Vorgesetzten in Tiflis an und holt die Genehmigung für die Transaktion ein. „Das Wichtigste in diesem Fall ist erledigt“, sagt er zu den anderen im Hotelzimmer.

Fünf Monate später stellt der Anwalt der Verteidigung den Antrag, das heimlich in Istanbul gedrehte Video und damit das Hauptbeweisstück des Staats im Prozess nicht zuzulassen. Der in eine rotbraune Robe gekleidete Richter Vazha Pukhashvili hört zu, wie Kbilashvili auf Georgisch darlegt, dass die Staatsanwaltschaft die Entstehung der Aufnahmen falsch dargestellt habe. Die Regierungsvertreter hätten das Video als Amateurproduktion deklariert, sagt er, arrangiert von Kharaidze, einem Beamten des Finanzministeriums. Kbilashvili stellt den Antrag, als Zeugen einen Experten aus London zu hören, der bestätigen soll, dass die äußerst professionell gemachte Aufnahme von Überwachungsspezialisten stammt. Fuchs’ Anwälte vertreten die Ansicht, Kharaidze ist in Wahrheit ein Agent des Innenministeriums, der extra ins Finanzministerium abgestellt wurde, um Fuchs zu ködern und sich damit letztlich dem Schiedsspruch zu entziehen.

Der Richter lässt ihn ablaufen. Unter den teilnahmslosen Blicken des dreiköpfigen Strafverfolger-Teams entscheidet er, dass Skadden Arps bei der Beauftragung des Experten gegen georgische Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Der Antrag wird zurückgewiesen.

Später sagt Kbilashvili vor dem Gerichtssaal, die Entscheidung des Richters habe ihn nicht überrascht. Praktisch alle Entscheidungen des Gerichts seien bisher zu Ungunsten der Verteidigung ausgefallen, inklusive der Ablehnung des Antrags, Ministerpräsident Gilauri vorzuladen. Der Verteidiger wollte Gilauri zu seiner Rolle bei der Einladung Fuchs’ zur Unterzeichnungsfeier in Batumi am 14. Oktober befragen, die in der Verhaftung endete.

In den vergangenen Monaten telefonierte Israels Präsident Peres mit dem georgischen Präsidenten Saakashvili und bat ihn, den Fall zu prüfen. Der israelische Außenminister Avgidor Lieberman schrieb in ähnlichem Tenor an seinen georgischen Kollegen. Die Georgier hätten höflich aber unverbindlich geantwortet, sagen Kbilashvili und ein über den Austausch informierter Diplomat. Ein Urteil wird für Ende März 2011 oder April erwartet.Unter Mitarbeit von Helena Bedwell.

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