Auslandsreporter in der Türkei "Bist Du eigentlich ein Spion?"

Die Türkei und China sind Schlusslichter bei der Pressefreiheit. Wie berichtet man als Auslandskorrespondent von dort? Unser Autor erzählt vom Klima des Misstrauens.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Ein Regenbogen spannt sich über einen Autokorso, der für die Freilassung des inhaftierten Journalisten Deniz Yücel demonstriert. Quelle: dpa

Die Frage, die mich bisher am meisten ärgerte, kam von einem entfernten Bekannten: "Zensierst du dich eigentlich selbst, oder fasst du heikle Themen in der Türkei jetzt gar nicht mehr an?"

Ich konnte nicht anders als zu schreiben: "Schlägst du deine Freundin eigentlich immer noch, oder hast du inzwischen damit aufgehört?" Ich ärgerte mich, weil ich darauf als Journalist in der Türkei nur mit "weder, noch" antworten kann. Wer sich selbst zensiert, macht seine Arbeit schlecht. Wer heikle Themen nicht mehr anfasst, der sollte vielleicht besser in die PR-Branche wechseln.

Ich ärgerte mich auch, weil die Frage einen wunden Punkt traf.

Ich arbeite seit fünf Jahren in Ländern, die auf dem Index der Pressefreiheit die Schlusslichter sind: Zuerst vier Jahre in China (Platz 176), seit vergangenem Jahr in der Türkei (Platz 151). Allerdings bemessen diese Rankings immer die Lage der einheimischen Journalisten vor Ort. Wie es ausländischen Korrespondenten ergeht, hat damit nur indirekt zu tun.

Bisher hatte ich deswegen trotz all der Widrigkeiten und Absurditäten, die man so erfährt, immer die Gewissheit: Das Schlimmste, was Auslandskorrespondenten passieren kann, ist die Ausweisung. Meist kommt ohnehin ein subtileres Mittel zur Anwendung: Die Akkreditierung wird nicht verlängert. Das geschah in China 2012 mit Melissa Chen von Al-Jazeera - zum ersten Mal nach 15 Jahren. Im Vergleich zur Türkei ist China sogar harmlos. In der Türkei wurde im vergangenen Jahr Hasnain Kazim vom „Spiegel“ und Deniz Yücel von der „Welt“ die Akkreditierung nicht verlängert. Kazim verließ daraufhin das Land. Dieses Jahr warten noch immer zwei deutsche Kollegen auf ihre Pressekarte.

Gewissheit ist seit Deniz Yücel ins Wanken geraten

Ein Land innerhalb weniger Wochen oder gar Tagen verlassen zu müssen, ist strapaziös. Trotzdem ist das Katastrophenpotenzial im Vergleich zu einem Gefängnisaufenthalt oder gar einer Haftstrafe überschaubar.

Auslandskorrespondenten aber festzunehmen, war bisher nicht im Repertoire auch noch so autoritärer Gastländer - zu groß wären die Konsequenzen diplomatischer und politischer Art.

Zitate von Deniz Yücel


Diese Gewissheit ist seit der Inhaftierung von Deniz Yücel ins Wanken geraten. Sein Fall ist zwar speziell: Er hat einen deutschen und einen türkischen Pass, weshalb ihn die türkische Regierung als Türken behandelt. Er arbeitete anscheinend ohne gültigen Presseausweis und veröffentlichte auch auf Türkisch in einem türkischen Medium. Trotzdem geht seitdem unter den Korrespondenten die Frage um: Kann mir das auch passieren?

Vor Kurzem erzählte ein Kollege, er sei beim Presseamt in Ankara gewesen. Dort gebe es eine ganz Abteilung, die die Berichte deutscher Korrespondenten ins Türkische übersetze und nach Schlagworten durchsuche. Wer Erdogan einen Diktator nenne, kriegt dann eben im nächsten Jahr die Pressekarte nicht, oder müsse zumindest länger warten.

Ich halte es übrigens (noch) für falsch, Erdogan einen Diktator zu nennen. Aber allein die Tatsache, sich darüber Gedanken zu machen, welche Konsequenzen eine Formulierung für das eigene Leben haben könnte, verändert natürlich etwas in der Berichterstattung: Man wird vorsichtiger, im schlimmsten Fall auch ängstlicher. Die Schere im Kopf beginnt zu schneiden - zuerst sanft und leise, ohne dass man es bemerkt.

Regierungen nutzen Presseausweis als Druckmittel

Die chinesische Regierung beschwerte sich immer wieder darüber, das Bild, das ausländische Korrespondenten zeichneten, sei "nicht objektiv". Das mutet absurd an angesichts einer Regierung, die tausende politische Dissidenten inhaftiert und laut Schätzungen von Amnesty International jedes Jahr mehr Menschen exekutiert als alle anderen Staaten zusammen. Richtig ist natürlich auch: Neben Menschenrechtsverletzungen, Luftverschmutzung und Turbo-Kapitalismus sind da eben auch die Geschichten von 300 Millionen Menschen, die sich in den letzten 20 Jahren aus absoluter Armut befreit haben.

Bei meinem Antrittsgespräch beim Presseamt in Peking, das jeder neue Korrespondent dort quasi als Gewissensprüfung führen muss, sagte mir der zuständige Mitarbeiter tatsächlich zum Abschluss: "Und vergessen Sie nicht: Berichten Sie objektiv!"

Auch die chinesische Regierung benutzt die Akkreditierung als Druckmittel. Den Presseausweis erhält man dort wie in der Türkei immer nur für ein Jahr begrenzt. Ende November beginnt das Bangen und Hoffen. Vor allem für Kollegen mit Familie und Kindern ist das eine Belastung.

Hinzu kommt die staatliche Zensur. In China sind weite Teile des Internets gesperrt: Darunter Facebook, Youtube, Twitter und viele Nachrichtenseiten. Das hat nicht nur politische Gründe. China hat auch ein Interesse, chinesische Firmen vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Aber damit schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Das chinesische Google heißt Baidu, und spuckt nur das aus, was Peking möchte.
In der Türkei sind (außer Porno-Seiten) vor allem inländische Medien betroffen. Die Sperren lassen sich mit einem Zusatzprogramm, einem Virtual Private Network (VPN) umgehen. Allerdings schränkt zumindest China den Gebrauch immer mehr ein, und ist anscheinend mittlerweile auch technisch in der Lage, die Programme zu blocken.

In beiden Ländern kann sich natürlich durch die lokale Presse informieren - man muss sich nur bewusst sein, dass man dadurch eben genau das erfährt, was die Regierung mitteilen möchte. Nicht mehr, und nicht weniger.
Zensieren können ausländische Regierungen das, was wir schreiben, natürlich nicht - zumindest so lange wir in Deutschland publizieren.

Klima des Misstrauens

Doch all das erzeugt ein Klima des Misstrauens. Viele Gesprächspartner wollen, wenn überhaupt, nur anonym zitiert werden. Das ist in der Türkei besonders nach dem gescheiterten Putsch und der darauf folgenden Jagd auf die Gülen-Anhänger ein Problem geworden. Sogar deutsche Geschäftsleute, die nichts zu verbergen haben, ziehen es plötzlich vor, sich gar nicht oder nur anonym zitieren zu lassen. Ein guter Text mag einen namenlosen Gesprächspartner vertragen. Bei zwei oder drei anonymen Zitatgebern aber wirkt ein Artikel intransparent und suspekt - und ähnelt dem verschwörerischen Geraune, von dem sich guter Journalismus abgrenzen will.

Letztlich schießen sich Staaten, die die Pressefreiheit einschränken, ins eigene Bein. Macht sich eine Regierung zum Quälgeist oder gar zum Feind der ausländischen Korrespondenten, wird die Berichterstattung dadurch zwangsläufig negativer.

Das Misstrauen äußert sich übrigens auch im Gespräch mit Freunden. Sowohl in China als auch in der Türkei wurde mir immer wieder die Frage gestellt: Bist Du eigentlich ein Spion? Meistens, aber nicht immer, war das witzig gemeint.

Ich konnte darüber immer auch lachen, bis mir jemand von einem inzwischen verstorbenen Kollegen erzählte, der in Peking jahrelang auch für den BND gearbeitet hatte. Anscheinend waren Geheimdienste vor dem Internet mehr auf Informationen von Journalisten angewiesen.

Deniz Yücel wird hoffentlich bald wieder frei kommen. Die Vorwürfe gegen ihn sind absurd, und die Solidarität mit ihm zeigt, dass sich die türkische Regierung mit ihrem Vorgehen selbst schadet.

Letztlich aber können Auslandskorrespondenten immer nur wieder auf die Lage der Kollegen hinweisen, die nicht den Luxus eines deutschen Passes haben. Über 150 türkische Journalisten sitzen im Gefängnis. In China sind es 21.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%