Außenminister sucht seine Rolle Frank-Walter Steinmeier gibt Russland eine Chance

Der Außenminister stemmt sich gegen harte Sanktionen für Russland und hält stoisch Gesprächskanäle mit Russland offen. Doch was, wenn Wladimir Putin nur mit einem scharfen Embargo oder gar Gewalt zu stoppen ist?

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Frank-Walter Steinmeier Quelle: dpa

Für die bislang weiteste Reise dieser Amtszeit hat sich Frank-Walter Steinmeier frühmorgens aus dem Staub gemacht. Um kurz vor acht hebt am 17. Juli sein Regierungsflieger gen Mexiko ab, ein gutes Dutzend Wirtschaftsleute ist an Bord. Der SPD-Außenminister will zeigen, dass er die Interessen der Wirtschaft ernst nimmt. Der Tross kommt aber nur bis Kanada – da hat die Ukraine-Krise den deutschen Chefdiplomaten schon wieder eingeholt. Im Osten des Landes ist ein Passagierjet der Malaysia Airlines mit fast 300 Menschen an Bord abgestürzt, womöglich abgeschossen von prorussischen Rebellen.

Bohrende Fragen dazu warten schon, als Steinmeier in Mexiko-Stadt dem Airbus Theodor Heuss entsteigt. Seltsam abwesend wirkt er kurz darauf bei einer Zeremonie für die Erweiterung eines BMW-Werks. In Gedanken, Steinmeiers Blick verrät es, ist er bei dem blutigen Konflikt an Europas Grenze. Die Krise ist auch ein Test für die deutsche Diplomatie, der er anlässlich einer Grundsatzrede in München im Februar im Duett mit Bundespräsident Joachim Gauck mehr „Verantwortung für die Welt“ verordnet hat.

Im Eiltempo voran

Mehr Verantwortung – wie geht das? Für den Ernstfall hat Steinmeier keinen Kompass. Noch hat die Bundesregierung die neue Richtung gar nicht definiert, da marschiert Steinmeier schon im Eiltempo voran. Er stemmt sich gegen harte Sanktionen für Russland, wie sie die USA von Europa fordern – und hält stoisch Gesprächskanäle mit Russland offen. „Auch wenn wir den Druck auf Russland erhöhen, dürfen wir den Kontakt zur russischen Regierung nie abreißen lassen“, sagt Steinmeier zur WirtschaftsWoche. Allerdings müsse Moskau sein Verhalten ändern und zur Deeskalation beitragen. „Mehr Diplomatie wagen“, könnte man Steinmeiers Ansatz nennen, der als Abgrenzung zur säbelrasselnden US-Politik verstanden werden kann.

Was aber, wenn der schwer auszurechnende russische Präsident Wladimir Putin nur mit einem scharfen Embargo oder gar Gewalt zu stoppen ist? Steinmeiers Reputation wäre dahin, in der Kritik steht er jetzt schon. „Schafft er es dagegen, zu vermitteln, könnten sich die Deutsche mit ihrem hartnäckigen Primat der Diplomatie international Respekt verschaffen“, sagt Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Und das sogar, ohne es sich mit dem eher pazifistischen Wahlvolk zu verscherzen.

Auslandsreisen von Bundesaußenminister Steinmeier

Diplomatie im Kleinen, Politik im Großen

Davon dürfte die deutsche Wirtschaft ebenso profitieren. Außerhalb der EU haben immer mehr Unternehmen Ärger mit korrupten Bürokraten oder protektionistischen Gesetzen, hier können Diplomaten im Kleinen helfen. In der großen Politik könnten die Deutschen mit einer großen Portion Glaubwürdigkeit dem Freihandel neues Leben einhauchen – auch das ist ein Ziel „im Amt“ unter Führung des ambitionierten Frank-Walter Steinmeier. Der Trierer Politologe Hanns Maull spricht von der „ungewöhnlichen Fähigkeit“ der deutschen Außenpolitik, „Koalitionen mit anderen Akteuren zu schmieden und zu führen, ohne dominieren zu wollen“. Allerdings müsse man wissen, was man will.

Das weiß niemand so recht. Der strategische Überbau von Steinmeiers neuer Außenpolitik fehlt. Bislang ist unklar, ob sich Deutschland nur als Schiedsrichter bei Konflikten versteht oder eingreifen würde – auch wenn der Einsatz zur Friedenssicherung zuletzt in Afghanistan krachend gescheitert ist. Offen ist, welche Rolle die Bundeswehr in der Außen- und Sicherheitspolitik künftig spielen soll. Wovon die Beschaffung von Drohnen abhängt, die der Wähler nicht will. Letzterer ist laut Umfragen sowieso mehrheitlich der Meinung, dass sich Deutschland bei internationalen Krisen „eher zurückhalten“ möge.

Außenpolitische Strategie

Immerhin hat die Bundesregierung erkannt, dass die Deutschen in einer multipolaren Welt nicht am Rocksaum der Amerikaner kleben können, zumal die verstärkt nationale denn transatlantische Interessen verfolgen. Europa ist zwar wirtschaftspolitisch groß genug, um China oder den USA auf Augenhöhe zu begegnen, außen- und sicherheitspolitisch nimmt die Welt den 28-Stimmen-Chor der Europäer aber nicht ernst. Was das Ausland konkret von Deutschland erwartet, will Frank-Walter Steinmeier mit einem Experiment namens Review herausfinden. Bis Ende des Jahres werden Experten aus aller Welt nach ihrer Meinung gefragt – im Frühjahr sollen die dann in eine außenpolitische Strategie einfließen. Das ist weltweit einmalig und spricht für die Offenheit der Deutschen. Egal, wohin die Reise geht – schon jetzt hat Frank-Walter Steinmeier die Diplomatie aus ihrem Dornröschenschlaf geküsst: Selbstbewusstsein kehrt zurück, denn mit Steinmeiers Comeback erobern sich die Diplomaten ihre Deutungshoheit über außenpolitische Themen zurück; zuvor hatten sie moniert, Christoph Heusgen baue sich als Berater der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein „Neben-Außenministerium“ auf. Dies lag auch daran, dass der vormalige Außenamtschef Guido Westerwelle (FDP) auf dem internationalen Parkett stets blass geblieben war. Zwar konnte er auch auf Englisch gut reden, ein echter Vermittler ist er aber nie geworden: In Konfliktlagen zeigte sich das Auswärtige Amt oft empört und verurteilte schnell – und dabei blieb es stets. Derlei Verbalblamagen sind unter Steinmeier selten geworden.

Überhaupt wirkt Steinmeier wesentlich unverkrampfter als Westerwelle, der gleich zu Beginn seiner Amtszeit unberechtigt der Bevorzugung von FDP-Spezis bei Ministerreisen bezichtigt wurde (und danach oft gar keine Unternehmer mehr mit auf Reisen nahm). Der neue alte Außenminister nimmt bei jeder zweiten Reise Geschäftsleute Huckepack. Die Mexiko-Reise wirkt wie ein Erholungsaufenthalt für Steinmeier: Wirtschaftlich läuft es rund in diesem relativ offenen Land, wo 1700 deutsche Unternehmen investiert sind. „Mexiko ist als Brücke zwischen Nord- und Südamerika ein geradezu idealer Standort für deutsche Unternehmen“, sagt Steinmeier. „Unsere Interessen überschneiden sich in vielen Bereichen, etwa in der Klima- oder Handelspolitik.“ Auf solche Bündnisse kommt es schließlich an in einer Zeit, da die Werte- und Regelsetzungsdominanz des Westens vorbei ist. Anders als Westerwelle lockt Steinmeier dass Bad in der Menge nicht, das Bierzelt ist dem Tischlersohn aus Ostwestfalen stets fremd geblieben. „Seinem Naturell entspricht es eher, stundenlang nach Kompromissen zu suchen“, sagt Volker Perthes, der ihn als Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik gut kennt.

Zusehends fühlt sich Steinmeier wohler, als am zweiten Reisetag die Ukraine-Lage etwas sortierter ist. Sein Tross ist in die Provinz Guanajuato geflogen, wo er die neue Nivea-Fabrik von Beiersdorf eröffnet. Noch am Flughafen hat er sich den Schlips vom Hals gerissen, als ihn der braun gebrannte Gouverneur überaus leger begrüßt. Nun klammert sich der Minister mit beiden Händen ans Rednerpult und sagt: „Die Fernsehzuschauer sehen mich ja meist, wenn ich in Krisengebiete reise. Aber ich bin froh, hier zu sein, denn hier bin ich am richtigen Platz.“ Bei Investoren wie Beiersdorf sehe man nämlich, wie „zwei Nationen an ihrer gemeinsamen Zukunft arbeiten“. Am Ende drückt Steinmeier auf den Start-Button und wundert sich ein bisschen, als ein Ton ertönt und hinter ihm wirklich das Band anläuft.

Weiche Faktoren

In Europa ist es nicht so leicht wie hier, Dinge in Bewegung zu setzen. Es war ein Gedanke aus Steinmeiers erster Amtszeit, Russland über eine Modernisierungspartnerschaft politisch enger zu binden. Wenn ein autoritäres Land über weiche Faktoren wie Technologietransfer oder Berufsausbildung die Vorzüge des „deutschen Modells“ kennenlernt, so das Kalkül damals, wird das auch auf die Politik abfärben. Diese „Wandel durch Handel“-Theorie, die auf die SPD-Ostpolitik zu Sowjetzeiten zurückgeht, nahm die Wirtschaft als Persilschein für Geschäfte in Autokratien dankend an.

Heute gibt sich Steinmeier in Mexiko keine Mühe mehr, die Beziehungen mit den Prädikaten „strategisch“ oder „Modernisierung“ zu versehen. In der Russlandpolitik ist das klug gedachte Konzept gescheitert – und eine Konsequenz ist die Ukraine-Krise, die den Minister bis ins fast 10.000 Kilometer entfernte Mexiko verfolgt.

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