Bahnverkehr in Europa Vorfahrt für Güterzüge

Die EU will Güterzügen auf bestimmten Strecken Vorrang einräumen. Dem deutschen Bahnverkehr drohen noch mehr Verspätungen und höhere Preise.

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Transitland Deutschland

Bahn-Chef Hartmut Mehdorn drückt die Hand zur Begrüßung gerne so fest, dass sie schmerzt. Auch bei seiner Ausdrucksweise mag er es kräftig. Es sei „der helle Wahnsinn“, was sich die EU-Kommission in Brüssel ausgedacht habe, poltert er. „Sollten diese Pläne in die Tat umgesetzt werden, verlören alle Fahrpläne ihre Gültigkeit.“

Bei dem Gesetzesentwurf, der Mehdorn so in Rage treibt, handelt es sich um die Verordnung Kom (2008) 852. „Ziel ist, die Güterbeförderung auf europäischen Fernstrecken attraktiver zu gestalten“, sagt EU-Verkehrskommissar Antonio Tajani.

Der gute Vorsatz ist berechtigt, denn der Schienengüterverkehr, der am 1. Januar 2007 für den Wettbewerb geöffnet wurde, kann sich bisher in Europa nur schwer entfalten. Den Frachtunternehmern fehlt es schlicht an grenzüberschreitender Infrastruktur. Europäische Bahn-trassen sind immer noch stark national fragmentiert, anders als etwa das Straßennetz.

Freie Strecken für Güterzüge gefordert

Seit mehr als einem halben Jahrzehnt fordern Frachtunternehmen deswegen spezielle Korridore für Güterzüge, damit Frachtzüge entlang der wichtigen Achsen in Europa ungestört rollen können. Die Idee, dem Güterverkehr eigene Schienenabschnitte zu reservieren, verwarfen Politik und Bahnmanager relativ schnell wegen der hohen Kosten.

Als Alternative schlägt die EU-Kommission nun vor, die Mitgliedstaaten sollen Korridore ausweisen, in denen Güterzüge allzeit Vorrang haben. Deutschland ist von dem Vorschlag am stärksten betroffen, weil es als einziges EU-Land gleich drei Korridore einrichten müsste. In Frankreich, wo das Volumen des Güterverkehrs im Jahr weniger als 70 Milliarden Tonnenkilometer beträgt, müssen dagegen nur zwei Korridore eingerichtet werden, denn die Kommission hat die Zahl der Korridore nach dem Frachtvolumen gestaffelt.

Container am Umschlagbahnhof Quelle: AP

Die Mitgliedsländer können selbst entscheiden, wo die Korridore verlaufen sollen. Da sich ein Großteil des Güterverkehrs in Deutschland auf drei Achsen konzentriert, gilt es als sehr wahrscheinlich, dass es sich um die Strecken Rotterdam-Köln-Mannheim-Basel-Genua handeln wird, sowie um Duisburg-Berlin-Warschau und um Stockholm-Hamburg-München-Neapel.

Auf diesen Strecken bekommen Güterzüge nicht nur Vorfahrt, der Netzbetreiber müsste auch vorab für das ganze Jahr minutiöse Pläne aufstellen. Die bürokratische Jahresplanung ärgert die Bahn: „Woher sollen wir jetzt schon wissen, wie viele Güterzüge im September fahren werden?“, heißt es in der Konzernzentrale in Berlin.

Auch Ökonomen hadern mit dem Kommissionsvorschlag. Als „ordnungspolitisch verfehlt“ bezeichnet ihn Benedikt Langner vom Centrum für Europäische Politik. Weil den Personenzügen in den Güterkorridoren weniger Trassen zur Verfügung stehen, seien dort „höhere Trassenentgelte und damit höhere Preise im Personenverkehr und eine geringere Taktung von Personenzügen zu erwarten“.

EU fehlt Koordination

Am stärksten dürfte der Konflikt zwischen Personen- und Frachtverkehr auf der viel befahrenen Rheintalstrecke zwischen Karlsruhe und Basel ausbrechen. Werden dort Güterzüge bevorzugt, haben Personenzüge kaum noch eine Chance. Die Strecke illustriert aber auch, was der Kern des Problems ist: zu geringe Investitionen in Infrastruktur. „Statt Mangelverwaltung zu betreiben, sollte die Kommission lieber ein Verfahren finden, damit die Mitgliedsländer ihr Investitionsverhalten aufeinander abstimmen“, sagt der frühere Bahn-Chef Johannes Ludewig, heute Exekutivdirektor der Gemeinschaft Europäischer Bahn- und Infrastrukturgesellschaften (CER).

Gemeinsam mit der Bahn betreibt er in Brüssel Lobbyarbeit, damit der Kommissionsvorschlag flexibler wird. Am 30. März wird der Verkehrsausschuss des Europaparlaments über die Verordnung abstimmen. Die Bahn hofft, dass man in Brüssel dabei einen Widerspruch entdecken wird: „Es ist grotesk, dass die EU eine Verordnung erlassen hat, wie Passagiere bei Verspätung entschädigt werden und nun dem Güterverkehr Vorrang einräumt.“

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