Balkan Muslime im Kosovo feiern USA

Die aus Albanien stammende Schriftstellerin Anila Wilms über die amerikanisch-albanische Freundschaft und die Bedeutung des unabhängigen Kosovo für die politische Stabilität auf dem Balkan.

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Albaner winken aus dem Auto Quelle: dpa

Fast könnte man meinen, die Bilder stammen aus dem US-Vorwahlkampf: Stars and stripes, so weit das Auge reicht. Wären da nicht diese markanten, blutroten Fahnen mit dem doppelköpfigen, schwarzen Adler, die tanzenden Gestalten in bunten Volkstrachten, weißen Filzkappen und die riesigen, bis an die Ohren hochgezwirbelten Schnurrbärte. Nein, die Bilder stammen nicht aus den USA, sondern aus Priština, der Hauptstadt des Kosovo. Hier feiert die mehrheitlich albanischstämmige Bevölkerung des Kosovo die Unabhängigkeit der ehemaligen serbischen Provinz. Und werden fast überall in der islamischen Welt US-Flaggen in Brand gesteckt, die Albaner hissen sie begeistert hoch – dabei recken sich auch dort Minarette in den Himmel. Wie paradox – ein muslimisches Land als Flugzeugträger der USA in Europa! Im Sommer 2007 war es ähnlich. US-Präsident George W. Bush, im Rest der Welt nicht gerade populär, erhielt in Albanien einen begeisterten Empfang, genoss spontane Ausbrüche der Zuneigung. Die Bilder des sichtlich gerührten Präsidenten gingen um die Welt. Das war aber noch nicht alles: Den Kosovo-Albanern, die in ihrem Streben nach Unabhängigkeit in sieben Jahren Verhandlungen nicht weitergekommen waren, empfahl er, einseitig die Unabhängigkeit zu erklären. Am vorvergangenen Wochenende haben sie es getan – und ganz Europa wundert sich über den neuen Zwergstaat, der unüberhörbar an seine Pforte klopft.

Kein Wunder also, dass dankbare Albaner die amerikanische Flagge schwingen. Aber die albanisch-amerikanische Freundschaft ist nicht neu. Unter den Albanern gibt es tatsächlich so etwas wie eine historische Sympathie für die USA; und deren Geschichte begann Ende des 19. Jahrhunderts, als die ersten Albaner in die USA emigrierten und in Washington eine aktive politische Minderheit bildeten. Eine Folge war die humanitäre Hilfe durch die USA während des Ersten Weltkrieges und eine andere die politische Unterstützung des damaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson (1913 bis 1921) bei der Rettung der in den Kriegswirren gefährdeten Eigenstaatlichkeit Albaniens. Das Kosovo aber war auch dabei unter der slawischen Herrschaft geblieben, so wie es 1912, als die osmanische Herrschaft auf dem Balkan zusammenbrach, von den europäischen Mächten beschlossen worden war. Beide Teile, seit fast 100 Jahren getrennt, haben jetzt die Chance auf eine gemeinsame Zukunft. Und wieder hat Amerika eine maßgebende Rolle gespielt.

Fast könnte man meinen, die Bilder stammen aus dem US-Vorwahlkampf: Stars and stripes, so weit das Auge reicht. Wären da nicht diese markanten, blutroten Fahnen mit dem doppelköpfigen, schwarzen Adler, die tanzenden Gestalten in bunten Volkstrachten, weißen Filzkappen und die riesigen, bis an die Ohren hochgezwirbelten Schnurrbärte. Nein, die Bilder stammen nicht aus den USA, sondern aus Priština, der Hauptstadt des Kosovo. Hier feiert die mehrheitlich albanischstämmige Bevölkerung des Kosovo die Unabhängigkeit der ehemaligen serbischen Provinz. Und werden fast überall in der islamischen Welt US-Flaggen in Brand gesteckt, die Albaner hissen sie begeistert hoch – dabei recken sich auch dort Minarette in den Himmel. Wie paradox – ein muslimisches Land als Flugzeugträger der USA in Europa! Im Sommer 2007 war es ähnlich. US-Präsident George W. Bush, im Rest der Welt nicht gerade populär, erhielt in Albanien einen begeisterten Empfang, genoss spontane Ausbrüche der Zuneigung. Die Bilder des sichtlich gerührten Präsidenten gingen um die Welt. Das war aber noch nicht alles: Den Kosovo-Albanern, die in ihrem Streben nach Unabhängigkeit in sieben Jahren Verhandlungen nicht weitergekommen waren, empfahl er, einseitig die Unabhängigkeit zu erklären. Am vorvergangenen Wochenende haben sie es getan – und ganz Europa wundert sich über den neuen Zwergstaat, der unüberhörbar an seine Pforte klopft.

Historische Sympathie

Kein Wunder also, dass dankbare Albaner die amerikanische Flagge schwingen. Aber die albanisch-amerikanische Freundschaft ist nicht neu. Unter den Albanern gibt es tatsächlich so etwas wie eine historische Sympathie für die USA; und deren Geschichte begann Ende des 19. Jahrhunderts, als die ersten Albaner in die USA emigrierten und in Washington eine aktive politische Minderheit bildeten. Eine Folge war die humanitäre Hilfe durch die USA während des Ersten Weltkrieges und eine andere die politische Unterstützung des damaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson (1913 bis 1921) bei der Rettung der in den Kriegswirren gefährdeten Eigenstaatlichkeit Albaniens. Das Kosovo aber war auch dabei unter der slawischen Herrschaft geblieben, so wie es 1912, als die osmanische Herrschaft auf dem Balkan zusammenbrach, von den europäischen Mächten beschlossen worden war. Beide Teile, seit fast 100 Jahren getrennt, haben jetzt die Chance auf eine gemeinsame Zukunft. Und wieder hat Amerika eine maßgebende Rolle gespielt.

Während der erste pro-albanische Einsatz Amerikas eher idealistischer und allgemeiner Natur war, ist dieses zweite Mal ganz eindeutig nicht ohne Eigennutz. Seit der Erklärung des „War on terror“ kommt es gerade recht, dass Albanien und Kosovo, mit ihrer geostrategischen Position im Westbalkan, sich aus Überzeugung als Nato- beziehungsweise US-Stützpunkt anbieten, auch wenn dieses Volk überwiegend in der islamischen Tradition lebt. Doch bis in das 18. Jahrhundert hinein waren die Albaner christlich. Die Islamisierung en masse erfolgte erst nach rund drei Jahrhunderten osmanischer Herrschaft. So kommt es, dass die Albaner in Religionsfragen traditionell offen und tolerant geblieben sind. Ein Zeugnis davon ist auch der wiederum paradox anmutende fehlende Antisemitismus. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte Albanien auf deutscher Seite – mit der vertraglichen Sonderregelung, dass in Albanien keine Juden verfolgt werden, im Gegenteil: Das Land am Ende der europäischen Welt war Rettungsboot für die Flüchtlinge aus den von den Nazis besetzten Kernländern Europas.

Europa hat die historische Entwicklung an seinen Rändern nicht wahrgenommen und schaut jetzt dem albanisch-amerikanischen Fest ziemlich ratlos zu. Während Amerika den neuen Staat gleich am nächsten Tag anerkennt, hat Russland bereits die Annullierung der Unabhängigkeit vor dem Weltsicherheitsrat gefordert und Serbien eine strafrechtliche Klage gegen die Führung in Priština eingereicht. In der serbischen Hauptstadt Belgrad kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen vor der US-Botschaft. China hat ebenfalls seinen Widerstand im Sicherheitsrat angekündigt.

Und die EU? Sie ist gespalten. Basken, Katalanen, Nordzyprer oder die ungarische Minderheit in Rumänien sehen den Kosovo-Fall als Präzedenzfall, als beispielhafte Lösung. Die betroffenen Länder Spanien, Zypern und Rumänien lehnen eine Anerkennung entschieden ab. Der deutsche Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier müht sich um Schadensbegrenzung, das Kosovo sei eine „Sonderentwicklung“ aus dem Zerfall Jugoslawiens und „kein Modellfall für das Völkerrecht“. Aber das Dilemma bleibt. Manche sehen Europa in einer Zerreißprobe, die Rede vom Domino-Effekt geht um.

Ein solches Dilemma ist immer dann unausweichlich, wenn zwei gleichwertige Prinzipien wie das des Völkerrechts und das der Selbstbestimmung gegeneinander stehen. Dazu kommt: Sowohl der neue Zwergstaat wie auch das vor Kurzem per Volksabstimmung von Serbien losgelöste Montenegro sind aus sich heraus kaum lebensfähige Gebilde, sondern bleiben auf fremde Hilfe, vor allem aus der EU, angewiesen.

Man möge sich erinnern: Vor neun Jahren, im Frühjahr 1999, warf die Nato Bomben auf Jugoslawien, mit Zustimmung des frisch gewählten Bundeskanzlers Gerhard Schröder und seines grünen Bundesaußenministers Joschka Fischer. Für beide war dies eine traumatische Erfahrung. Aber was im Kosovo dieser Tage passiert, ist im Grunde der Abschluss dieses Prozesses, der nicht erst vor neun Jahren begann.

Kosovo ist also eine ureigene europäische Angelegenheit, ein Sorgenkind mit einer langen Vorgeschichte. Überhaupt ist dieser so ferne, so fremd und archaisch anmutende und mit Konflikten beladene Westbalkan in Wirklichkeit sehr nah. Die Albaner, so wie sämtliche kleinstaatlichen Produkte des Jugoslawien-Zerfalls, klopfen heftig an Europas Türen. Umso erstaunlicher ist es, wie lange es die europäische Öffentlichkeit geschafft hat, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Wenn Steinmeier jetzt behauptet, Europa und auch Deutschland könnten „der Geschichte nicht ausweichen“, meint er damit vor allem die Logik der europäischen Erweiterungspolitik. Es ist ein vorbestimmter Weg, den die EU jetzt, wenn auch noch etwas halbherzig, gehen muss. Die Unabhängigkeit des Kosovo ist da nur ein Glied in einer Kette von Ereignissen.

Auf lange Sicht wird damit der Balkan nicht destabilisiert, sondern stabilisiert. Dass in Serbien Trauer und Enttäuschung herrschen, während im Kosovo ein großer Triumph gefeiert wird, zeigt, wie tief der Konflikt gesessen hat und wie wichtig eine endgültige Abklärung der politischen Verhältnisse für die Stabilität in der Region ist. Jetzt, da die Trennung vollzogen ist und alle vor vollendeten Tatsachen stehen, wird durchgeatmet. Dann kann es wieder nach vorne gehen.

Natürlich werden sich die Beziehungen zwischen dem Kosovo und Albanien intensivieren. Dies gilt für die Wirtschaft, für die Kultur, ganz besonders auch für die Politik. Das viel herbeizitierte Schreckgespenst eines Großalbanien wird es aber nicht geben. Albanien hat seinen Nationalismus, nicht zuletzt auch unter dem Einfluss der Amerikaner, gezähmt. Nichts spricht dafür, dass sich der albanische Nationalismus plötzlich zu einem bedrohlichen Faktor entwickelt, zumal das größte nationale Ziel mit der Unabhängigkeit des Kosovo ohnehin schon erreicht worden ist.

Eine dominierende amerikanische Präsenz auf europäischem Boden braucht man auch nicht zu befürchten. Amerika hat zwar ein dringendes Sicherheitsproblem. Aber gerade auf europäischem Boden ist das vor allem ein europäisches Problem. Seit Langem drängt Amerika darauf, in seiner Verantwortung auf dem Balkan von Europa abgelöst zu werden. Aus Sicht der Albaner würde Europa damit ohnehin nur die als verheerend empfundenen Entscheidungen aus dem Jahr 1912 korrigieren.

Auch wirtschaftlich wird die Region für Europa interessant. Das Klischee eines Armenhauses Albanien, in dem die Korruption blüht und die organisierte Kriminalität floriert, ist überholt. Dafür hat nicht zuletzt das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU gesorgt, das im Juni 2006 unterzeichnet wurde.

Die albanische Wirtschaft wuchs in den vergangenen Jahren kontinuierlich zwischen fünf und sechs Prozent. Mit der albanischen Fiskalpolitik zeigen sich IWF und Weltbank zufrieden. Und zu guter Letzt wurde auch noch Öl und Gas entdeckt. Das Gasvorkommen wird auf gut drei Milliarden Kubikmeter und der Ölschatz auf knapp drei Milliarden Barrel taxiert. Das könnte sich entscheidend für die zukünftige Entwicklung des Landes auswirken.

Der westliche Balkan, ein isoliertes weißes Viereck umringt von EU-Staaten, muss jetzt herangeführt werden an Kerneuropa, nachdem der ferner liegende Osten bereits in der EU angekommen ist. Europa kommt nicht umhin, in seinem Hinterhof endlich und gründlich für Ordnung zu sorgen. Und wenn es wahr ist, dass man der Geschichte nicht ausweichen kann, dann stellt man sich ihr eben lieber mit Mut und Zuversicht.

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