Baltikum Absturz der EU-Musterschüler

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Krawalle in Riga, Lettland Quelle: rtr

In den Vielparteiensystemen Lettland und Litauen verheizt die nachhaltige Unzufriedenheit mit der politischen Klasse seit 1990 fast jährlich eine Regierung. Valdis Dombrovskis, der neue Premier von Lettland, muss sich mit fünf Partnern arrangieren. Sein litauischer Amtsbruder Andrius Kubilius regiert mit einer wackeligen Vierer-Koalition. Für eine schnelle und effiziente Krisenpolitik sind das denkbar schlechte Voraussetzungen.

Die Letten mussten schon im vorigen Dezember IWF und EU um 7,5 Milliarden Dollar anbetteln, um den Zusammenbruch des Finanzsystems im größten baltischen Staat zu verhindern. Die Insolvenz der Parex Bank, Lettlands zweitgrößtem Institut, hätte den Staat in den Bankrott getrieben und die Bevölkerung ihre Ersparnisse gekostet. Doch seither zwingt Washington die Letten erst recht zum Haushalten. Insgesamt soll die Regierung in Riga fünf bis sieben Prozent des BIPs einsparen, trotzdem wird es ein Budgetdefizit in ähnlicher Größenordnung geben. Schon zu Jahresbeginn kappte der alte Premier die Gehälter im öffentlichen Dienst um 15 Prozent. Nachfolger Dombrovskis legt diesen Monat nach und kürzt noch einmal um bis zu 20 Prozent. Zugleich steigt die Mehrwertsteuer von 18 auf 21 Prozent.

Vor der Pleite retten

Die Belastungen treffen einfache Beamte, die in den Boomjahren keine 30-prozentigen Gehaltserhöhungen bekommen hatten wie Angestellte der Privatwirtschaft. Jüngst gingen die Lehrer zu Tausenden auf die Straße und beschimpften nicht nur die Regierung, die das Land nicht mehr kontrollieren kann. Sondern auch jene, die das Chaos angerichtet hätten: die Banker.

Leute wie Erkki Raasuke. Der 38-jährige Karrierebanker aus Estland war dabei, als der Konsumboom die baltischen Volkswirtschaften aufblähte wie einen Luftballon. Und als es knallte. Raasuke leitete bis vor Kurzem die Hansabank, das größte Geldinstitut im Baltikum, eine 100-prozentige Tochter der schwedischen Swedbank. Hätte er nicht erkennen müssen, dass die Ökonomien völlig überhitzt waren? Dass das Wachstum auf Pump gebaut wurde? Dass der Absturz drohte?

Hätte er, meint Morten Hansen. „Vor allem ausländische Banken haben in den letzten vier Jahren hemmungslos billiges Geld in die Märkte gepumpt und damit den Boom finanziert“, doziert der Wirtschaftsprofessor von der Stockholm School of Economics in Riga. „Wer das Spiel nicht mitspielte, verlor sofort Marktanteile.“ Trotzdem ist jetzt die Präsenz skandinavisch kontrollierter Banken ein wichtiger Stabilitätsfaktor. Die werden nämlich von ihren Mutterhäusern mit Staatshilfen versorgt, was auch ihren baltischen Töchtern zugute kommt. Estland und Litauen stehen dadurch heute stabiler da als Lettland, wo es noch national kontrollierte Banken gibt.

Die EU-Kommission machte in den vergangenen Wochen immer wieder deutlich, dass schwächelnde Staaten im Zweifel mit Unionsgeldern vor der Pleite gerettet werden. Doch die Durststrecke ist noch lang. Was könnte beispielsweise die lettische Regierung noch tun, um den Trend zu drehen? „Nichts“, sagt Morten Hansen, der Ökonom aus Riga. „Sie muss die Anweisungen des IWF befolgen und abwarten.“ Bis es wieder hell wird im Baltikum.

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