Bank-Run befürchtet Tabubruch in Zypern alarmiert Ökonomen

Bisher galt in Europa, dass 100.000 Euro auf der Bank sicher sind. Die Zypern-Rettung hebelt die Regel aus. Ökonomen warnen vor den Folgen dieses Tabubruchs. Droht eine neue Eskalation der Euro-Schuldenkrise?

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Eine Europafahne. Quelle: dpa

Berlin Ökonomen in Deutschland sehen die Beteiligung von Bankkunden am Rettungspaket für Zypern mit großer Sorge. „Dies ist ein riskantes Manöver mit ungewissem Ausgang“, sagte der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, Handelsblatt Online. Einerseits sei es fair und für die Mehrheitsfindung in den nationalen Parlamenten richtig, die von der Euro-Gruppe beschlossene Zwangsabgabe für sämtliche Kunden zyprischer Banken zu erheben. „Andererseits kann dies die Einleger in allen Krisenländern verschrecken und zum Räumen ihrer Konten veranlassen.“ Das würde nach Einschätzung Horns eine Bankenkrise auslösen, die nur durch „massive Interventionen“ der Europäischen Zentralbank (EZB) zu beenden wäre.

Kritisch sieht die Sonderabgabe für Bankkunden auch Thorsten Polleit, Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance & Management. „Die Maßnahme muss bei allen, die Sparguthaben bei Euro-Banken halten, begründetes Misstrauen heraufbeschwören, vor allem deshalb, weil die Politik ganz offensichtlich bereit ist, geltendes Recht zu verletzen, um der Überschuldungskrise zu begegnen“, sagte Polleit Handelsblatt Online.

„Jeder Investor im Euro-Raum sollte die Maßnahme in Zypern als Warnschuss begreifen“, fügte er hinzu. Denn: „Die Euro-Überschuldungskrise wird aller Vorrausicht nach auf weitere Schuldenschnitte, Geldentwertung oder – und das erscheint am wahrscheinlichsten – eine Kombination aus beidem hinauslaufen.“

Laut dem Beschluss der Eurogruppenländer müssen Sparer aus dem In- und Ausland mit bis zu 100.000 Euro Einlagen bei zyprischen Banken eine Abgabe von einmalig 6,75 Prozent zahlen, Kunden mit mehr als 100.000 Euro 9,9 Prozent. Ein Rentner mit 100.000 Euro auf der hohen Kante hat also am Dienstag, wenn die Banken nach einem Feiertag wieder öffnen, fast 10.000 Euro weniger auf dem Konto - und das trotz einer in der gesamten EU geltenden Einlagensicherung für Guthaben für bis zu 100.000 Euro.

Die Länder der Eurozone hatten nach rund neunmonatigen Verhandlungen in der Nacht zum Samstag ein zehn Milliarden Euro schweres Rettungspaket für das von der Staatspleite bedrohte Zypern beschlossen. Zypern hatte ursprünglich Hilfen in Höhe von 17 Milliarden Euro gefordert. Die Beteiligung der Sparer soll nun 5,8 Milliarden Euro beitragen.

Angesichts des Proteststurms in Zypern gegen die Zwangsabgabe bemüht sich die Regierung des Inselstaats inzwischen um eine Änderung der Rettungsvereinbarung in letzter Minute. Wie eine den Beratungen nahestehende Person der Nachrichtenagentur Reuters am Sonntag berichtete, führte die Regierung in Nicosia Gespräche mit den Geldgebern, um die Höhe der Sondersteuer zu verändern.


Schäuble macht EU-Kommission und EZB für Tabubruch verantwortlich

Die Bundesregierung hätte nach Worten von Finanzminister Wolfgang Schäuble bei dem Rettungspaket nicht auf die Ersparnisse von Kleinsparern zurückgegriffen. Die Bundesregierung hätte die Einlagensicherung respektiert erklärte Schäuble in einem "Tagesthemen"-Interview. "Das war die zyprische Regierung, auch die Europäische Kommission und die EZB, die haben sich für diese Lösung entschieden und das müssen sie nun dem zyprischen Volk auch erklären", sagte Schäuble.

Auf die Frage, ob nicht auch ein Freibetrag möglich gewesen wäre, um die Zwangsabgabe sozialer zu gestalten, antwortete Schäuble, dass eine bestimmte Summe an Finanzmitteln zusammenkommen musste. "Wenn man auf der einen Seite nicht zu hoch gehen wollte in der Belastung der großen Investoren, dann kommt man auf die Summe nur, wenn man sie breit anlegt." Schäuble warnte das zyprische Parlament vor einer Ablehnung des Rettungspaketes. Im Falle eines "Nein" seien die zyprischen Banken nicht mehr zahlungsfähig. "Und dann kommt Zypern in eine sehr schwierige Lage."

Ökonom Polleit nannte es bedenklich, dass die Zypern-Entscheidungen ganz offensichtlich nicht der nationale Souverän getroffen habe, sondern ein „internationaler Regierungsverbund“, der nicht die Interessen der national Betroffenen im Auge habe. „Das kann dauerhaft kein gangbarer Weg zur Krisenbewältigung sein.“

Horn schlug Alternativen zu der Zwangsabgabe vor: „Es wäre besser gewesen, keine Kundenabgabe, sondern eine Bankenabgabe zu beschließen, die nach deren erfolgreicher Rettung fällig wäre“, sagte der IMK-Chef. Ebenso hätte der zypriotische Staat oder der permanente Euro-Rettungsschirm ESM sich Eigentumsanteile an den Banken in Höhe des Rettungsbetrages geben lassen sollen, um nach einem Erfolg der Maßnahmen davon zu profitieren. Dann könnten die Staatsschulden entsprechend zurückgeführt werden. „So bleiben erneut – wie schon im Fall Griechenland – eine gebrochene Garantie und erhöhte Unsicherheit als unerwünschte Nebenwirkungen. Und der Staat zahlt“, so Horn.


"Profiteure sind die Eigentümer der Banken"

Nach Ansicht von Polleit hätte man zumindest die Bankverbindlichkeiten in Form von Sparguthaben in Eigenkapitalanteile der Banken umwandeln können. „So wäre den Sparern zumindest noch ein Anteil an der Bank geblieben“, sagte er. Überdies wären in einer funktionierenden Rechtsordnung die Verluste der Banken ohnehin zunächst von ihren Eigentümern zu tragen. Die Politik, die für Zypern vorgesehen sei, lasse nun aber zu allererst „Privatkunden zur Ader – also diejenigen, die sich am wenigsten zur Wehr setzen können und die wohl auch die geringste Verantwortung tragen für die Misswirtschaft im Finanzsektor“.

Die Profiteure seien hingegen zum einen die Eigentümer der Banken, „denn die Herabsetzung der Depositenguthaben der Kunden bedeutet bilanziell eine Mehrung des Eigenkapitals der Banken“. Zum anderen seien es die Halter von Bankschuldverschreibungen. Ihnen würden Verluste erspart.

Zyperns Präsident Nikos Anastasiades warb am Sonntagabend in einer Fernsehansprache für die Annahme des EU-Rettungspakets durch das Parlament in Nikosia. Die Zahlung einer einmaligen Sonderabgabe durch alle Sparer sei "die am wenigsten schmerzhafte Lösung", sagte Anastasiades. Das zyprische Parlament berät am Montag über das Maßnahmenpaket.

Für seine Zustimmung zu den Vereinbarungen werde er den "politischen Preis" zahlen, sagte Anastasiades. Er forderte die zyprischen Abgeordneten auf, "eine Entscheidung zu treffen". Er werde diese "vollständig respektieren". Das Parlament in Nikosia soll am Montagnachmittag über das Rettungspaket beraten. Die Mehrheitsverhältnisse sind unklar. Anastasiades sagte, er teile die "Unzufriedenheit" vieler Landsleute mit dem Kompromiss. Daher wolle er sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass "die Eurogruppe ihre Entscheidungen verändert, um die Auswirkungen auf die Kleinsparer zu begrenzen".

Bis zu zehn Milliarden Euro Hilfe kommen von den europäischen Partnern, die später verzinst zurückgezahlt werden müssen. Im Deutschen Bundestag, der dem Paket billigen muss, kündigten SPD, Grüne und FDP an, nur unter Bedingungen zuzustimmen. Skeptisch äußerte sich der CDU-Finanzexperte Christian von Stetten.


"Einmalige Gebühr stoppt russische Mafiosi nicht"

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Parlamentarier in Zypern bis Montagnachmittag die Teilenteignung ihrer Sparer beschließen werden“, schreibt von Stetten auf seiner Facebook-Pinnwand. Die Regierungsparteien hätten nur eine Einstimmenmehrheit.

Überdies hält auch von Stetten einen Bank-Run für möglich. Der Beteuerung der Euro-Finanzminister, die erklärt hatten, das Zypern-Rettungspaket werde die Menschen im Euroraum beruhigen traut er nicht. Sie würden schon noch merken, dass das Gegenteil der Fall sei. „Was ab Montag bei den Banken in Italien und Spanien los sein wird ist auch klar: lange Schlangen an den Geldauszahlungsstellen“, erklärte der CDU-Politiker.

Schätzungsweise ein Drittel der Einlagen bei Banken auf Zypern besitzen Ausländer, unter ihnen viele reiche Russen und Briten. Zypern steht im Ruf, ein sicherer Hafen für Schwarzgeld zu sein und wenig gegen Geldwäsche zu unternehmen.

Der Wormser Wirtschaftsprofessor Max Otte hält die Zypern-Vereinbarungen für weitgehend wirkungslos im Kampf gegen die Geldwäsche in dem Inselstaat. "Zypern hat eindeutig kriminellen Machenschaften Beihilfe geleistet", sagte Otte Handelsblatt Online. "Hier ist eine einmalige Gebühr zwar besser als nichts, es wird aber russische Mafioso nicht davon abhalten, weiter Geldwäsche zu tätigen." Besser wäre aus Sicht Ottes ein "eindeutiges Compliance-Regime" gewesen, wie es jetzt schon in der Schweiz umgesetzt werde. "Ein modernes Ablassregime erfüllt den Zweck nicht", sagte er.

Zypern ist nach Griechenland, Portugal und Irland das vierte Land, das ein Programm aus dem europäischen Rettungsschirm bekommt. Spanien erhält Milliardenhilfen nur für seine maroden Banken. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hilft - der Umfang ist noch offen. Obwohl das Land nur 0,2 Prozent zur Wirtschaftsleistung der Eurozone beiträgt, sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn: „Zypern ist systemrelevant für die Eurozone.“ Eine Staatspleite könnte die gesamte Eurozone gefährden.

Mit Agenturmaterial

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