Barack Obama zum Brexit Der amerikanische Freund mit den klaren Worten

US-Präsident Barack Obama mischt sich in die Brexit-Debatte ein und wirbt auf seiner Staatsvisite in London offen für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. Ein Appell, der nicht jedem auf der Insel gefällt.

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Der US-Präsident hat sich klar für einen Verbleib Großbritanniens in der EU ausgesprochen. Quelle: dpa

London Es sind höfliche Worte, aber ihre Botschaft ist unmissverständlich. „Als Freund sage ich Ihnen, dass die EU den Einfluss von Großbritannien nicht verkleinert, sondern noch großartiger macht“, mischte sich US-Präsident Barack Obama auf seiner Staatsvisite in London am Freitag offen in die heikle Brexit-Debatte auf der Insel ein, als er am späten Nachmittag gemeinsam mit dem britischen Premier David Cameron vor die Kameras trat.

Die Entscheidung, betonte Obama nach einem Treffen in der Downing Street No. 10, liege allein bei den Briten. Doch mit der „Offenheit eines Freundes“ sage er, dass die Folgen dieser Entscheidung auch für die USA von größter Wichtigkeit seien. Die internationalen Herausforderungen in der Welt erforderten es, dass Verbündete zusammenhalten, erklärte Obama. Großbritanniens Präsenz in der EU verstärke den britischen Einfluss und helfe bei der Verbreitung „britischer Werte.“

Der amerikanische Freund. Es sind Worte, die in Großbritannien Gewicht haben und für die vor allem einer besonders dankbar sein dürfte – der Mann, der bei dem Auftritt direkt neben Obama steht: der unter Druck stehende Premier Cameron. Denn viele Briten messen der "special relationship" zwischen den USA und Großbritannien bis heute eine besondere Bedeutung zu.

Umso eindringlicher wirkt der Ratschlag, den Obama unverblümt erteilt. „Großbritannien ist am Besten, wenn es hilft, eine starke EU zu führen“, warb er offen für einen Verbleib in der EU. Am 23. Juni entscheiden die Briten, ob sie der EU weiterhin angehören möchten. Doch der Ausgang dieses sowohl für Großbritannien wie Europa existenziellen Votums ist weiter ungewiss. Das Land ist in dieser wichtigen Frage tief gespalten. Brexit-Befürworter und –Gegner liegen Kopf-an-Kopf, einige Umfragen sagen einen leichten Vorsprung der Ausstiegs-Anhänger voraus, bei noch rund 10 bis 20 Prozent Unentschlossenen.

Obamas Staatsbesuch fällt damit in eine heikle Phase auf der Insel. So produziert der Auftritt des US-Präsidenten Bilder aus London, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Einerseits: Prunk, Protokoll und royales Gepränge anlässlich des 90. Geburtstags von Königin Elizabeth II., mit der Obama und seine Gattin am Freitag auf Schloss Windsor speisten. Andererseits: eindeutige politische Botschaften und ein Schulterschluss mit dem britischen Premier inmitten der Debatte zum Volksentscheid über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union. Doch Cameron kann Hilfe gebrauchen. Unter den Europafreunden auf der Insel macht sich allmählich Sorge breit, dass die Gegner nicht mehr aufzuhalten werden. 

Für Cameron, der sich nach dem EU-Gipfel im März an die Spitze der EU-Befürworter gestellt hat, ist Obamas Auftritt deshalb eine Steilvorlage, die er bereits vor dem Staatsbesuch zu verwandeln trachtete. Er persönlich glaube, "dass wir Ratschläge annehmen sollten", erklärte er schon am Mittwoch vor dem britischen Parlament. Er müsse schon lange suchen, um den Anführer eines befreundeten Staates zu finden, der Großbritannien zum Austritt rate, so Cameron, der – wie die BBC formulierte – vor dem „politischen Kampf seines Lebens“ steht. Denn der Tory-Spitzenmann kämpft nicht nur um die wohl wichtigste Richtungsentscheidung Großbritanniens der letzten Jahrzehnte, sondern – was Cameron ebenso motivieren dürfte – auch um seine persönliche Karriere.

Sollte er das Referendum verlieren, dürften auch die Tage des erst im vergangenen Mai wiedergewählten Premierministers gezählt sein, das glauben viele in Westminster. "Der Premierminister würde nicht 30 Sekunden im Amt bleiben, falls wir das Referendum verlieren", sprach sein Parteifreund Kenneth Clarke, der unter Cameron, John Major und Margaret Thatcher Ministerämter bekleidete, erst vor wenigen Tagen aus, was alle denken.

Nichts hört der britische Spitzenpolitiker deshalb derzeit so gern wie den Satz, dass die Mitgliedschaft von Großbritannien in der EU von größter Bedeutung ist. Einen Gefallen, den ihm der scheidende US-Präsident, der am Sonntag weiter nach Deutschland reisen wird, nun gerne tut. Denn seit Monaten macht Obama klar, was er von einem Brexit hält: wenig bis nichts.


Obama handelt auch im eigenen Interesse

Die USA und die Welt bräuchten weiterhin den verstärkten Einfluss Großbritanniens – auch innerhalb der EU, stimmte Obama, der am Donnerstagabend in London gelandet war, bereits am Morgen in einer Kolumne für den als besonders EU-kritisch geltenden „Daily Telegraph“ die Briten auf seine Position ein.

Eine große Überraschung birgt diese Haltung allerdings nicht. Wiederholt machte Washington deutlich, dass es die Briten auch in Zukunft lieber in der Europäischen Gemeinschaft sähe. Denn Obama will nicht nur einem wichtigen Bündnispartner einen Gefallen tun – er handelt durchaus auch im wohlverstandenen Eigeninteresse. 

In der heutigen Zeit gebe es für die USA kein Land, mit dem man enger verbündet sei als mit dem Vereinigten Königreich, betonte der Präsident diplomatisch. Es gehe darum, gemeinsam dafür zu sorgen, die Welt „geordneter und sicherer“ zu machen. Genau das sieht Obama bei einem Brexit jedoch nicht als garantiert an. Ein Ausstieg aus der EU könnte tiefe Auswirkungen auf Washingtons „besondere Beziehung“ zum Vereinigten Königreich haben, warnte der Präsident.

Es ist ein Wink mit Zaunpfahl, der vor allem die Brexit-Anhänger auf die Barrikaden bringt – widerspricht es doch einem ihrer gerne benutzten Argumente. Befürworter eines EU-Austritts argumentieren häufig, im Falle eines Brexits könne Großbritannien sich enger an die USA anschließen.

„Wenn Großbritannien die EU verlässt, wird es nicht sofort ein Handelsabkommen mit den USA geben“, warnte Obama dagegen. Die USA konzentrierten sich auf die Verhandlungen über die großen Abkommen – wie mit der EU. Entsprechend zornig reagierten die Brexit-Freunde auf Obama. Der US-Präsident komme nur, weil der Premierminister ihn „auf Knien“ darum gebeten habe, maulte der ehemalige Arbeitsminister Iain Duncan Smith, der Mitte März zurückgetreten war. Und der Londoner Bürgermeister und populäre Brexit-Befürworter Boris Johnson attackierte Obama bereits vor dessen Besuch: Seine Worte für den Verbleib Großbritanniens in der EU seien „nackte Heuchelei“.

Die Amerikaner „würden nicht im Traum daran denken, Souveränität abzugeben“, sagte Johnson. Deshalb fände er es „bizarr“, wenn die USA nun von Großbritannien fordere, zugunsten der EU auf Kontrolle zu verzichten. Nigel Farage, der Vorsitzende der rechtspopulistischen Unabhängigkeits-Partei (Ukip), nannte Obama vor dessen Anreise sogar „den amerikanischen Präsidenten mit den stärksten anti-britischen Neigungen“ in der US-Geschichte. „Glücklicherweise“ sei dieser Präsident „nicht mehr sehr lange im Amt“.

Doch Obama dürfte die für britische Verhältnisse ungewohnte Unhöflichkeit auf dem letzten Europabesuch seiner Amtszeit bald vergessen haben. Denn wesentlich freundlicher wird der Mann, dessen Nachfolger sich in der Heimat bereits warm laufen, bei seiner Visite in London am Freitagabend empfangen werden. Der US-Präsident und seine Frau Michelle werden den Tag mit einem Abendessen beim Herzog und bei der Herzogin von Cambridge, William und Catherine, bei dem auch Williams jüngerer Bruder Harry eingeladen ist, in deren Heim im Kensington-Palast beschließen. Von den königlichen Gastgebern sind wohl keine derartigen Patzigkeiten zu erwarten: Das verbietet schon die traditionelle, politische Neutralität der Royals – und allein deren gute Erziehung.

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