Bassam Tibi "Weitere islamische Staaten werden zerbrechen"

Islamische Staaten scheitern an der Aufgabe, eine Balance zwischen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum zu schaffen. Das Problem ist ein entwicklungsfeindliches Menschenbild, sagt der Islamologe Bassam Tibi. Für Optimismus sieht er keinen Anlass.

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Nahost-Experte Prof. Dr. Bassam Tibi. Quelle: imago images

WirtschaftsWoche Online: Als geborener Syrer sprechen Sie vermutlich oft mit arabischstämmigen Flüchtlingen in Deutschland. Sie sind aber auch häufig in arabischen Ländern. Welche Vorstellungen herrschen dort über die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland und Europa?
Bassam Tibi: Ich war im März und April als Gastprofessor an der American University in Kairo. Wenn man vom Flughafen in die Stadt fährt, sieht man unglaublich viele Werbeplakate – mehr als in Berlin, Frankfurt oder Düsseldorf. Das gilt nicht nur für Kairo, sondern auch für Algier, Lagos, Jakarta. Diese Werbung auf Plakaten und in den Medien zeigt schöne Häuser, schöne Frauen, schöne Autos. Die Leute dort bekommen also die Vorstellung: Europa ist das Paradies, da liegt das Geld auf der Straße. Ich habe in Kairo mit vielen jungen Menschen, mit Studenten gesprochen. Aber auch mit Bettlern. Es hat sich herumgesprochen – durch Frau Merkel – dass die Türen nach Deutschland auf sind. Und die Leistungen und die Funktionen des deutschen Sozialstaates sind sehr bekannt. Die Leute wissen das alles genau. Aus dieser Mischung: Werbung auf der einen Seite und einer Bundeskanzlerin, die sagt: Willkommen! ergeben sich natürlich Anziehungseffekte. 

Zur Person

Aber die Mehrheit der hier Ankommenden will doch arbeiten, oder etwa nicht?
Man muss differenzieren. Die jüngeren Leute hoffen, Arbeit zu finden und Karriere zu machen. Aber ich kenne hier in Göttingen einige Araber und Afrikaner, die ihre Familie dabei haben und so um die 50 Jahre alt sind. Die sagen, sie können nicht arbeiten. Die haben keine berufliche Perspektive. Sie können nicht Deutsch, haben keinen Beruf. Außerdem bekommen sie mit Frau und vier Kindern so viel Unterhalt wie ich als pensionierter Professor.

Der Migrationsforscher Ruud Koopmans sieht im Gegensatz zu vielen anderen den Islam als Integrationshindernis. Ist da was dran?
Ich sehe das auch so. Als mir der frühere Bundespräsident Roman Herzog das Bundesverdienstkreuz verlieh, sagte ich ihm: Ich breche eine islamische Regel, indem ich Sie als mein Staatsoberhaupt anerkenne. Ein Muslim kann nur unter der Führung eines islamischen Imam leben. Das hat mit Fundamentalismus gar nichts zu tun. Nach dem Scharia-Recht dürfen Muslime eigentlich nicht auf Dauer in einem nicht-islamischen Land leben – nur vorübergehend. Und wenn sie das tun, dürfen sie sich nicht integrieren. 

Asylanträge nach Bundesländern 2017

Wie dominant ist Ihrer Einschätzung nach diese Auffassung bei den jetzt einwandernden Muslimen?
Ich fürchte, die Mehrheit vertritt das. Das ist keine Frage der Bildung. Es gibt eine islamische Sozialisation, die bildungsunabhängig ist. Ich habe in meiner 40-jährigen Laufbahn als Wissenschaftler in 22 islamischen Ländern gelebt und gearbeitet. In Senegal, Kamerun, Nigeria, in fast allen arabischen Ländern, in Pakistan, in Indonesien. Auch Analphabeten sind dort sozialisiert in einem islamischen Wertesystem. Als Muslim weiß man, dass man einen Nichtmuslim als Staatsoberhaupt nicht akzeptiert.

Zu Max Webers Zeiten vor etwa 100 Jahren diskutierte man viel über den Einfluss der Religionen auf die Wirtschaft. Weber unterstellte, dass der Islam die wirtschaftliche Entwicklung bremse – vor allem weil es kein „profanes Recht“ und keine Ethik der Leistung wie im Calvinismus gebe - Stichwort „innerweltliche Askese“.
Die Gegenstimme zu Weber ist einer meiner Lehrer: Maxime Rodinson mit seinem Buch „Islam et Capitalisme“. Er mogelt sich um eine eindeutige Antwort herum. Der Islam ist seiner Ansicht nach eingebettet in die Tatsache, dass es keinen Kapitalismus gibt in der islamischen Welt. 1987 haben deutsche Soziologen gemeinsam mit Rodinson ein Buch über „Max Webers Sicht des Islams“ veröffentlicht. Die waren mehrheitlich der Ansicht, dass Religion für die wirtschaftliche Entwicklung eine wichtige Rolle spielen kann. Das denke ich auch. Ich bin zwar sonst Anhänger von Rodinson, aber in dieser Frage stimme ich nicht mit ihm überein.

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