Bedrohung aus China Gefährlicher Partner

China ist einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Doch die Gefahren durch unfaire Praktiken wachsen für immer mehr Firmen. Das belegt eine exklusive Umfrage unter 134 Unternehmen aus 13 Branchen.

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Chinesische Firmen sorgen bei vielen westlichen Unternehmen für Sorgenfalten. Quelle: AFP

Berlin Wenn Kjetil Ebbesberg den Aluminiummarkt betrachtet, blickt er sorgenvoll nach China. Früher habe China kein Aluminium exportiert. „Mittlerweile wird rund die Hälfte der gesamten Weltproduktion dort hergestellt, aber nicht mehr im Inland verbraucht“, sagt Ebbesberg, Vorstand des Aluminiumkonzerns Hydro. „Das bereitet uns große Sorgen“, sagt er.

Mit seiner Angst vor chinesischen Überkapazitäten ist Ebbesberg nicht allein. Neben Stahlkonzernen, die bisher vor der Billigkonkurrenz aus China warnten, sorgen sich mittlerweile auch Chemiefaserhersteller, Keramikproduzenten oder die Zweiradindustrie vor Wettbewerbern aus dem Reich der Mitte. Das belegt eine Umfrage der Wirtschaftsvereinigung Metalle unter 134 Unternehmen aus 13 Branchen, darunter viele Mittelständler und Unternehmen aus der Grundstoffindustrie, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.

Die Umfrage trübt das Bild von den intensiven deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen. Aus keinem anderen Land importiert Deutschland mehr als aus China. Umgekehrt steht China auf Platz fünf als Ziel für deutsche Exporte. 8 200 deutsche Firmen haben direkt in China investiert. Doch der Partner im Fernen Osten wird für einige Branchen zur Gefahr.

Die wachsende Sorge der deutschen Wirtschaft ist bereits Thema im Kanzleramt. Wenn Kanzlerin Angela Merkel am 12. Juni zu den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen nach Peking fährt, soll auch über chinesische Handelspraktiken gesprochen werden.

Für China geht es um viel: Die chinesische Regierung pocht darauf, dass die EU dem Land im Dezember den Status einer Marktwirtschaft zubilligt. Dieser Schritt hätte gravierende Folgen. Die Europäer würden verletztlicher gegenüber unfairen Handelspraktiken. Denn sollte China den Marktwirtschaftsstatus erhalten, käme das einem Ritterschlag gleich. Fortan wäre es nicht mehr möglich, mit sämtlichen Abwehrmaßnahmen, etwa Anti-Dumping-Verfahren, chinesische Billigimporte abzuwehren.

Mehr als 90 Prozent der Befragten fürchten negative ökonomische Effekte, sollte China der Marktwirtschaftsstatus zuerkannt werden – vor allem einen Verlust von Arbeitsplätzen in Europa. Das kann nicht im Sinne von Kanzlerin Merkel sein.

Wenn es um den Schutz der heimischen Wirtschaft geht, ist Chinas Regierung mindestens genauso fantasievoll wie einige westliche Industriestaaten: Exportsteuerrabatte auf Kupferprodukte, milliardenschwere Subventionen für Aluminiumhersteller, branchenübergreifende Energiesubventionen – all diese Maßnahmen listen europäische Unternehmen auf, wenn sie auf Verfehlungen der chinesischen Handelspolitik aufmerksam machen wollen.

Tatsächlich unterstützt China seine Unternehmen mit Beihilfen und lässt sich auch gar nicht erst auf Diskussionen darüber ein. Beispiel Stahl: Erst am Dienstag reagierte der chinesische Stahlverband verschnupft auf die anhaltende Kritik aus Europa; die chinesischen Stahlausfuhren seien allein wegen der höheren internationalen Nachfrage, der Erholung der Weltwirtschaft und wegen der höheren Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Stahlkocher gestiegen, erklärte der Verband.

Deutsche Industrievertreter reiben sich verwundert die Augen. Sie verweisen auf die enormen Überkapazitäten der chinesischen Stahlbranche, die die Regierung in Peking künstlich am Leben erhalte. Die Flut chinesischen Stahls steige stetig weiter und bringe die europäischen Hersteller in Bedrängnis, lautet ihre Kritik.

Und was für Stahl gilt, gilt mittlerweile auch für Aluminium, Textilien und andere Produkte. Der Befund der europäischen Industrie: Die Ausfuhrpreise vieler chinesischer Güter sind so niedrig, dass sie nicht durch Angebot und Nachfrage bestimmt sein können. Chinas Überschuss an Produktionskapazitäten führt zu Billigeinfuhren, die in der EU wirtschaftlichen Schaden anrichten.


Die Klagen der Stahlindustrie

Die Stahlbranche macht seit Monaten lautstark auf die Probleme aufmerksam; sie warnt vor Jobverlusten in ganz Europa und sieht sich vor einer neuen Welle der Konsolidierung. Die Unternehmen kämpfen seit langem um handelspolitische Gegenmaßnahmen. Und sie wollen verhindern, dass die EU den Chinesen voreilig den Status einer Marktwirtschaft zubilligt. Dabei wird die Stahlbranche jetzt von anderen Branchen unterstützt.

„Wesentliche Teile der Grundstoffindustrie in Deutschland leiden immens unter chinesischen Überkapazitäten. Das Problem betrifft längst nicht nur die Stahlbranche“, sagt Franziska Erdle, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Metalle (WVM). Wenn die Europäer China ohne weitere Bedingungen den Marktwirtschaftsstatus zubilligten, würden sie damit wichtige handelspolitische Instrumente aus der Hand geben oder diese Instrumente zumindest schwächen. „Das darf nicht passieren“, warnt Erdle.

Der Status einer Marktwirtschaft würde China handelsrechtlich aufwerten – und die Handelspartner wie etwa die EU schwächen. Denn sie könnten sich gegen unfaire Handelspraktiken der Chinesen nur noch eingeschränkt wehren. Anti-Dumping-Verfahren wären nur noch stark eingeschränkt zulässig. Die von unfairen Handelspraktiken betroffenen Unternehmen wären der Warenflut aus China annähernd schutzlos ausgeliefert.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat sich auf die Seite der Industrie geschlagen. Er sei dafür, „dass wir uns offensiv verhalten, weil wir für defensives Verhalten auch von den Chinesen nicht respektiert werden“, sagte er kürzlich im Bundestag. Deutschland und Frankreich kämpfen in der Frage Seit’ an Seit’. Das belegt der Entwurf eines Positionspapiers, verfasst vom deutschen Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig und seinem französischen Amtskollegen Matthias Fekl. Der Industriestandort Europa benötigte „faire Wettbewerbsbedingungen im internationalen Handel, damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt“, heißt es darin. Machnig und Fekl nehmen dabei ausdrücklich Bezug auf chinesische Überkapazitäten beim Stahl.

Entschieden wird das Thema in Brüssel. Für Jo Leinen, den Vorsitzenden der China-Delegation des EU-Parlaments, ist die Lage klar: „Solange nicht alle Voraussetzungen für einen fairen Handel erfüllt sind, muss die EU auf wirksame Schutzmaßnahmen mit Strafzöllen zurückgreifen können“, bekräftigte der SPD-Politiker anlässlich der Forderung der Volksvertreter, China den Marktwirtschaftsstatus nicht vorschnell einzuräumen. Eine entsprechende Resolution hat die Kammer jüngst verabschiedet. In Peking kam das Votum der Volksvertreter gar nicht gut an. „Europa sollte zweimal nachdenken, bevor es eine endgültige Entscheidung über Chinas Marktwirtschaftsstatus fällt“, lautete die via Staatsagentur Xinhua verbreitete Warnung nach dem Votum des EU-Parlaments.

Diplomaten berichten von ersten Drohungen aus Peking, Vergeltung zu üben für den Fall, dass Europa den Chinesen den Status verweigert. Viele europäische Firmen machten gute Geschäfte in China, das müsse nicht so bleiben, hieß es. Besonders hart treffen könnte es die deutsche Autoindustrie. Derzeit versucht die EU-Kommission, die Folgen abzuschätzen, die sich infolge eines Marktwirtschaftsstatus für China für die EU ergeben. Vor der Sommerpause soll ein Ergebnis vorliegen.

Einen möglichen Ausweg skizziert der Industrieexperte der Grünen im EU-Parlament, Reinhard Bütikofer: „Die EU sollte sich bezüglich des Marktwirtschaftsstatus für China das Vorgehen der USA zu eigen machen. Wann immer chinesische Unternehmen oder Sektoren beweisen, dass sie unter Marktbedingungen operieren, ist ihnen der Marktwirtschaftsstatus einzuräumen“, beruft sich der Grüne auf juristische Analysen und ökonomische Logik.

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