Besuch in Algerien Was sich Merkel von Abdelaziz Bouteflika erhofft

Ein schwer kranker Greis steht an der Spitze des Staates. Die Elite ringt um die Nachfolge, das Volk wünscht sich Wohlstand, Islamisten mehr Kontrolle. In diesen Zeiten soll Algerien für Stabilität in Nordafrika sorgen.

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Der schwer kranke Präsident Abdelaziz Bouteflika tritt öffentlich kaum noch in Erscheinung. Trotzdem hält er formell alle Fäden in dem nordafrikanischen Land in der Hand. Beim Besuch von Bundeskanzlerin Merkel (CDU) wird es am Montag vor allem um die Rolle Algeriens als Stabilitätsanker in der Region gehen – und auch darum, wer in dem Land noch das Sagen hat. Quelle: dpa

Algier Vor einigen Monaten hatte Abdelaziz Bouteflika einen seiner wenigen öffentlichen Auftritte. Im Rollstuhl sitzend und schwer gezeichnet von mehreren Schlaganfällen in den vergangenen Jahren eröffnete der Staatschef mit zitternder Hand und der Hilfe eines Begleiters die neue Oper in Algeriens Hauptstadt Algier. Der fast 80-jährige Präsident tritt kaum noch in Erscheinung. Viele Algerier munkeln, dass er schon längst die Kontrolle verloren hat. Trotzdem thront der Präsident offiziell über allem: Weil die Angst vor Veränderung, Instabilität und Terror zu groß ist - nicht nur in Algerien selbst.

Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Montagabend nach Algier reist, dann hat sie diese Gedanken sicher im Hinterkopf. Denn das flächenmäßig größte Land Afrikas ist für die Stabilität Nordafrikas von großer Bedeutung. Im Hintergrund vermittelt das Land unter anderem im Bürgerkrieg in Libyen. Und Bouteflika wurde trotz seiner schwachen Gesundheit gerade erst zum Vize-Chef der Afrikanischen Union gewählt.

Mit Mali, Niger und Libyen hat Algerien drei unruhige Grenznachbarn, in denen zum Teil Chaos herrscht und die für tausende Migranten Durchgangsstation sind. Wie schon beim Besuch des tunesischen Ministerpräsidenten vergangene Woche in Berlin dürfte es auch beim Besuch der Kanzlerin in Algerien vor allem um Migrations- und Sicherheitsfragen gehen.

„Es sind keine glücklichen Zeiten für Algerien“, schreibt Vish Sakthivel vom Washington Institute für Nahost-Politik in einer Analyse. Die algerische Politik habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwei Realitäten gehabt: Einerseits ein Bürgerkrieg in den 90ern zwischen Staat und Islamisten, der geschätzt 150 000 Menschen das Leben kostete, andererseits die relative Ruhe unter Staatschef Bouteflika, der seit 1999 an der Spitze des Landes steht.

Und auch Algeriens Reichtum an Öl und Gas sei Segen und Fluch zugleich. Nach dem Bürgerkrieg konnte der Staat sein Volk mit großzügigen Subventionen der Energiepreise und auch beim Hausbau unterstützen. Seit der Ölpreis gefallen ist, habe die Regierung einige unpopuläre Entscheidungen treffen müssen, schreibt die US-Analystin. „Viele fürchten, dass jetzt die Unsicherheit zurückkommt.“


Algerien pendelt zwischen Stabilität und Unsicherheit

Und das könnte Auswirkungen auf die Migration Richtung Europa haben. Denn die zentrale Mittelmeerroute mit den Startländern Libyen, Tunesien und Algerien ist seit dem EU-Türkei-Flüchtlingsdeal wieder der meistgenutzte Fluchtweg für Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten. Zwar kommen derzeit rund 90 Prozent der Migranten über Libyen in Italien und Malta an. Aber die EU fürchtet, dass sich die Wege Richtung Algerien verlagern könnten, wenn die libysche Küste in Zukunft besser kontrolliert wird. Deswegen, so steht es in einem kürzlich veröffentlichten Papier der EU, sollen auch Algerien, Tunesien und Ägypten so schnell wie möglich Teil eines flächendeckenden Überwachungs- und Trainingsprogramm für die Küstenwache im Mittelmeerraum werden.

Auch die Rückführung abgelehnter Asylbewerber aus Algerien dürfte ein Thema sein, wenn die deutsche Kanzlerin mit den Verantwortlichen in Algier spricht. Zwar sind die Zahlen aus Nordafrika im Vergleich zu ost-europäischen Flüchtlingen relativ gering, aber es hakt bei den Rückführungen. Von knapp 3000 abgelehnten Asylbewerbern bis November vergangenen Jahres wurden nur 140 nach Algerien abgeschoben. Es mangele an der Kooperation seitens der algerischen Behörden, heißt es aus deutschen politischen Kreisen.

Nicht nur die unklare Nachfolge von Staatschef Bouteflika und die schlechte Wirtschaftslage machen Algerien Probleme. Das Land kämpft auch gegen den Terrorismus. Besonders deutlich wurde das, als ein islamistisches Kommando vor drei Jahren die Gasproduktionsanlage in In Amenas besetzte. Beim anschließenden Sturm der Armee starben rund 40 ausländische Beschäftigte und 29 Terroristen. Seitdem gehen die Sicherheitskräfte massiv gegen mutmaßliche Terroristen vor. Erst vergangene Woche wurden 14 Verdächtige bei Razzien getötet.

Und so pendelt Algerien zwischen Stabilität und drohender Unsicherheit, zwischen öffentlicher Bühne und dem, was hinter den Kulissen passiert. Bei der Eröffnung der neuen Oper im Oktober vergangenen Jahres hörte sich Staatschef Bouteflika ein Konzert der Symphoniker an. An der Rückwand der Bühne sah es so aus, als ob Bouteflika auf einem riesigen projizierten Bild das Orchester dirigiere. Die Realität im Zuschauerraum sah anders aus.

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