Bettina Röhl direkt

Der Mörder als Sympathieträger

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Enthauptungen nehmen dem Westen seine Würde

Wer das Schwert vor laufender Kamera in diesen Momenten führt und enthauptet, spürt körperlich und seelisch, wenn er denn entsprechend konditioniert ist, ein Gefühl der Erhabenheit, der Überlegenheit, der Herrschaft über Leben und Tod und er spürt das geile Gefühl des Starseins. Er ist quasi über Nacht eine gewaltige, unter Umständen schwarz verhüllte Persönlichkeit, die aus eigener Machtvollkommenheit im Namen einer überpersönlichen Macht eben nicht nur einen Menschen in den Tod schickt und dessen Angehörige und Freunde erschüttert und dabei nicht nur eine Gesellschaft vorführt, sondern der die Führungsmacht dieser Welt, nämlich den Westen, der seine Führungsrolle auf eine schizophrene Art verspielt, als Ganzen zum Hampelmann macht.

Mit den auf Quälen abgestimmten Werkzeugen der sogenannten Enthauptung zeigt ein Mensch dem gesamten Westen, dass dieser ein irrlichtender, eigentlich verderbter Feigling ist, der mit hohen moralischen, konstitutiven Ansprüchen herum labert, aber seine Menschen nicht nur nicht schützen kann, sondern, schlimmer noch, gar nicht schützen will.

Früher die Kommunisten und jetzt die sogenannten Islamisten haben den Westen als Dekadenzveranstaltung beschrieben und verachtet. Der Westen, der zu seinen Werten nicht steht, muss in den Spiegel schauen und sich selber eingestehen, dass er keine Werte mehr hat. Um nicht alles auf Obama zu schieben, muss gesagt werden, dass Merkel, Schäuble und Gabriel die Wertefreiheit, die Amoralität förmlich auf ihre Fahnen geschrieben haben und der sogenannte Sozialist Francois Hollande desorientiert durch den Elyseepalast schwebt.

Dem Westen wird die Würde genommen

Enthauptungen, wie sie derzeit in Mode geraten, machen denjenigen, die sie machen und inszenieren, Spaß, weil sie das Publikum des Westens gleichermaßen mit Schauder, Faszination und Nichtstun erfüllen, weil sie das westliche Publikum in die absolute Leere schicken, weil sie den Spaß im Westen verderben und den Spaßfaktor zu sich holen. Die "Reichweite" einer solchen Enthauptung ist enorm und die Wirkung ist nachhaltig. Mit jeder Enthauptung eines Menschen, die eine qualvolle Prozedur ist, wird dem Westen ein weiteres Stück seiner Würde genommen. Der Westen wird im Sinne des üblich gewordenen Schimpfwortes, du Opfer, zu einem solchen Opfer degradiert.

Das ist die Wahrnehmung derjenigen, die sich mit Leib und Leben Isis anschließen. Der Westen hat schon lange keine Idee mehr. Er schwelgt überheblich in Selbstverleugnung und das ist vor allem das im Prinzip kriminell zu nennende Machwerk der Kaste der sogenannten Westintellektuellen, die man standartmäßig Linksintellektuelle nennt. Das linksintellektuelle Establishment schwelgt in der Missachtung der Menschen, die im Westen leben. Statt Koordinatenkreuz gibt es aus irgendeinem Off von den unterschiedlichsten und widerstrebendsten Kräften eine Art verordnetes Durcheinander.

Es entstehen Parallelgesellschaften, deren Existenz dann schnell geleugnet wird, und es entstehen parallele Werteordnungen und regelrecht parallele Gesetzes-und Verfassungsordnungen, hier der laizistische Staat und da der Gottesstaat oder die Religion als letzte staatlicher Instanz. Und wie heißt es doch noch gleich aus den hängenden Mundwinkeln manch eines Intellektuellen? Ja. Was interessiert mich die Unterschicht und was interessieren mich die Kinder der Unterschicht, mag ja sein, dass die von den Fehlentwicklungen in der Gesellschaft betroffen sind, aber das ist deren Problem.

Das kaputte Koordinatenkreuz der Gesellschaft

Wie konnte die Obama-Administration mit NSA und Satellitenaufklärung und hoffentlich auch noch ein paar politischen Köpfen in den sogenannten Thinktanks Isis angesichts deren Erfolge unterschätzen. Und wie konnte Obama drei Monate lang dem kometenhaften Aufstieg von Isis zusehen, wenn er Isis für eine Organisation hält, die er jetzt mit Bomben bekämpfen will. Und wie konnte die Bundesrepublik dem Treiben im Irak und in Syrien, ebenfalls tatenlos zusehen?

Warum lässt der Westen, der so viel vom Schutz zu Gunsten der Minderheiten daher fabuliert, die am meisten verfolgte und gemordete Minderheit auf dieser Welt, die Christen, auf eine enorm brutale Art und Weise im Stich? Eben, weil die westliche Nomen Klatura selber an dem Werteverfall des Westens und ihrer Selbst und der steigenden Bedeutungslosigkeit der christlichen Werte leidet und angefixt auf neue Werte fliegt, wie sie zum Beispiel der Islam bietet, auf Werte, denen sich auch die Islamisten, ob zu Recht oder zu Unrecht verpflichtet fühlen.

Das Gehirn des Westens muss zum Seelendoktor und runderneuert werden. Die Aussichten für einen Behandlungserfolg übersteigen die Nulllinie allerdings nur unwesentlich. Bis eine neue Mode das Dorf erfasst, macht bis auf Weiteres Enthaupten denen erst einmal Spaß, die spüren, wie sie den Westen in die Knie zwingen. Das muss der taubstumme Westen lernen. Wo bleibt die Obama-Doktrin? 

Bettina Röhl ist Autorin des Buches "So macht Kommunismus Spaß", das sich mit der Geschichte der Linken in der Bundesrepublik im Kalten Krieg befasst.

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