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Gibt es eine Wiedervereinigung zwischen Nord- und Südkorea?

Bettina Röhl Publizistin

Die Diktatur in Nordkorea gilt als betonfest. Doch die aktuellen Ereignisse der letzten Wochen deuten möglicherweise auf einen bereits fortgeschrittenen nordkoreanischen und chinesischen Kurswechsel hin.

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Nordkorea: Staatsmedien haben neue Bilder von Kim Jong Un veröffentlicht Quelle: dpa

Ein wiedervereinigtes Korea könnte schnell zu einem potenten Global Player auf den Weltmärkten werden. Südkorea hat seit seiner Gründung als Folge des koreanischen Krieges, 1953, einen kometenhaften Aufstieg seiner Wirtschaft, seiner Finanz - und seiner technologischen Potenzen erlebt und spielt auf Augenhöhe mit den westlichen Industrienationen mit. Das verfügbare Einkommen der Südkoreaner ist in diesem Zeitraum förmlich explodiert.

Ein Schwachpunkt der koreanischen Wirtschaft, der sich bisher noch nicht ausgewirkt hat, liegt darin begründet, dass die mittelständische Wirtschaft, die zum Beispiel in Deutschland eine tragende Rolle spielt, kaum ausgeprägt ist und wenige Großkonzerne fast das gesamte wirtschaftliche Geschehen bestimmen. Großkonzerne im Familienbesitz, das klassisches Beispiel ist die Firma Samsung.

Südkorea ist ein High-Tech-Land, auch das bitterarme Nordkorea ist ein solches. Die Nordkoreaner haben unter denkbar ungünstigen Umständen, die auf die seltsame Form einer kommunistisch-royalen Erbdiktatur zurückzuführen sind, eine auf der Welt begehrte Raketen-und Atomwaffenindustrie hervorgebracht und sind nicht nur technologisch, wenn auch nicht in einem markttauglichen Sinn und wenn auch nur auf militärische Belange beschränkt, ein Technologieland mit großen Potenzialen.

Nordkorea verfügt über reiche Bodenschätze Kohle, Eisen und Edelmetalle. Eine Wiedervereinigung mit dem wohlhabenden Süden könnte also Synergien freisetzen und eine Volkswirtschaft etablierten, die allemal die Kapazität etwa der deutschen Volkswirtschaft erreichen kann.

Fünf spannende Fakten über Nordkorea

Wirtschaftlich gesehen wäre die Vereinigung der beiden seit sechzig Jahren getrennten Länder ein Traum. Doch dieser Vereinigungsprozess würde Reibungsverluste produzieren und was zusammengehört, müsste auch zuerst passend gemacht werden. Die nordkoreanische Gesellschaft ist durch eine weitaus extremere Diktatur, als die DDR sie zu ertragen hatte, deformiert und ideologisiert worden. Die koreanische Mauer in den Köpfen ist hoch. Die Menschen in Nordkorea sind Freiheit nicht gewohnt. Sie sind seit Jahrzehnten und seit mehreren Generationen Unterdrückung der schlimmsten und miesesten Art ausgesetzt. Mehr als jeder zwanzigste Nordkoreaner, vom Neugeborenen bis zum Greis gerechnet, ist im überbordenden Militärapparat des Landes "beschäftigt". Dieser Militärapparat ist ein zusätzlicher Grund für die wirtschaftliche Schwäche des Landes.

Kann Korea aus den Fehlern der deutschen Wiedervereinigung lernen?

 Auch wenn die Situation bei weitem also nicht 1:1 übertragbar ist, könnten die Koreaner von den handwerklichen Fehlern der deutschen Vereinigung sicherlich lernen. Wie damals in Deutschland, hat auch in Korea der Enthusiasmus der Menschen, vornehmlich der jüngeren Menschen mit Bezug auf eine Wiedervereinigung nachgelassen. Aber gerade dieser Enthusiasmus wäre für das Gelingen des Zusammenfügens der unterschiedlichen Gesellschaften enorm wichtig.

Anders als in der damaligen Bundesrepublik gibt es in Südkorea diese eigenartige ideologische Schizophrenie, mit der sich Deutschland herumzuschlagen hatte, nicht. Die Westlinke von DKP, den Grünen bis zur SPD hatte die DDR in den vierzig Jahren Diktatur zum Teil förmlich idealisiert und hegte merkwürdigerweise jahrzehntelang eine ganz besondere Aversion gegen eine Wiedervereinigung mit dem sozialistischen Land, in das viele Vertreter zuvor noch als heimliche Sympathisanten oder gar als Agenten gereist waren. Die Bundesrepublik war trotz haushoher Überlegenheit vierzig Jahre lang in allen relevanten Belangen, in wirtschaftlicher, politischer und in rechtsstaatlicher Hinsicht ein Unterwanderungsdorado der Ostberliner Kommunisten gewesen und der Einfluss der Kommunisten auf die Politik im Westen wird bis heute sehr nachhaltig unterschätzt.

Ausgerechnet die SPD mit ihrem damaligen Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine kämpfte 1989/90  nach der Maueröffnung ganz besonders gegen die Wiedervereinigung, die Helmut Kohl dann wie ein Bulldozer trotzdem noch hinbekam. Die politischen Flurschäden, die diese Anti-Wiedervereinigungshaltung der SPD und vieler sogenannter Linksintellektueller zeitigte und die dadurch in die Höhe getriebenen Kosten der Wiedervereinigung sind in der Geschichtsschreibung überhaupt noch nicht erkannt.

Man erinnert sich: Die SPD und die Grünen haben im Konzert mit den Betonköpfen in der DDR und den dortigen Ostalgikern, wie man sie später nannte, Kohls Traum von den "blühenden Landschaften", die in der DDR entstehen würden, ins Lächerliche gezogen, obwohl gerade dieses aversive Zaudern und kontraproduktive Gezeter in der ersten Startphase des Vereinigungsprozesses, als viele Weichen gestellt wurde, Unmut, Zank, Undankbarkeit in die Sache hinein gebracht, also enorme Reibungsverluste eigener Art produziert hat. Ein solches Szenario wäre in Südkorea nicht zu befürchten und in Nordkorea, wo die Menschen zwangsideologisiert leben mussten, sicher auch nicht.

Paradigmenwechsel im nordkoreanischen Machtgefüge

Die koreanische Teilung scheint angesichts der bekannten Verhältnisse in Nordkorea in Beton gegossen zu sein. Lohnt sich eine ernsthafte Beschäftigung mit einer koreanischen Wiedervereinigung da überhaupt, die doch angesichts der archaisch diktatorischen Verhältnisse in Nordkorea, wie man weiß, gar keine Realisierungschance hat? Erstmalig in der gut sechzigjährigen Geschichte des Landes gibt es in Nordkorea in den letzten Wochen eine Entwicklung, die einen Paradigmenwechsel im nordkoreanischen Machtgefüge anzeigen könnte.

  1. Seit dem 4.September ist Nordkoreas Führer, der 31.jährige kommunistische Erbmonarchist Kim Jong Un, nicht mehr gesehen worden. Der Gesundheitszustand eines Führers ist das höchste Staatsgeheimnis. Die Staatsmedien meldete ihn krank, betonten aber, dass er weiter regierte.

  2. Am 25.September fehlte Kim Jong Un bei der sogenannten Volkskonferenz in der Hauptstadt Pjöngjang, auf der Hwang Pyong So zum zweiten Mann im Staate, zum Vizeminister der Verteidigungskommission ernannt wurde. Ein absoluter Pflichttermin für den Diktator, ein Termin, der normalerweise bei Krankheit des Diktators verschoben worden wäre. Es war der zweite Wechsel auf der Position der Nummer zwei seit Kim Jong Uns Amtsantritt 2011.

  3. Am 27.September wurde Pjöngjang plötzlich abgeriegelt. Jeder der die Stadt besuchen oder verlassen wollte, wurde strengstens kontrolliert. Auch Nordkoreas Flughäfen und Häfen wurden vorübergehend geschlossen. Ein Nordkorea-Experte sagte dazu: „Solche Maßnahmen werden nur im Falle eines Putsches oder eines zu befürchtenden Putsches ergriffen.“

  4. Am 28.September passierte auf der 69. UN- Vollversammlung in New York eine Sensation: Der Außenminister Nordkoreas Ri Su Yong erklärte, dass eine Wiedervereinigung von Nord-und Südkorea in Gestalt eines Staatenbunds unter Aufrechterhaltung beider politischen Systeme möglich und wünschenswert sei. Es war das erste Mal seit 15 Jahren, dass ein hochrangiger Nordkoreaner an einer UN-Konferenz überhaupt teilgenommen hat und das erste Mal, dass ein nordkoreanischer Außenminister das Unwort "Wiedervereinigung" vor der Weltöffentlichkeit aussprach.

  5. Ende September teilte der nordkoreanische Staatssender mit: Kim Jong Un "fühle sich nicht gut". Die Nachrichtenagenturen stellten fest, dass es das erste Mal in der Geschichte der nordkoreanischen Diktatur war, dass sich nordkoreanischen Medien zu körperlichen Gebrechen ihres Diktators äußerten.

  6. Am 4.Oktober reiste die gerade ernannte Nummer zwei Nordkoreas, Hwang Pyong So, zusammen mit anderen höchstrangigen nordkoreanischen Politikern, (darunter Choe Ryong Hae, bis vor kurzem Stellvertreter des Diktators Kim Jong Un in der einflussreichen Nationalen Verteidigungskommission, den dieser allerdings erst wenige Wochen zuvor degradiert hatte) überraschend, wie es in den südkoreanischen Medien hieß, nach Seoul und traf den südkoreanischen Wiedervereinigungsminister Südkoreas, Ryoo Kihl Jae. Es war das erste Mal seit 60 Jahren, dass sich beide Seiten diplomatisch auf solch hoher Ebene begegneten

    Anzumerken bleibt, dass Hwang Pyong So mit der ausschließlich dem Diktator vorbehaltenen Präsidentenmaschine anreiste und auch ansonsten wie der Staatschef auftrat. Weitere Gespräche auf Regierungsebene zwischen Nord-und Südkorea wurden für Ende Oktober/Anfang November vereinbart.

  7. Am 7. Oktober appellierte die Präsidentin Südkoreas, Park Geun-hye, nun beim „8. Welttag der Koreaner“ an das „gesamte koreanische Volk, gemeinsame Anstrengungen zur Wiedervereinigung der Halbinsel“ zu unternehmen. Die Präsidentin Südkoreas setzte die "2.Plenarsitzung des Vorbereitungskomitees der Wiedervereinigung" - diese Institution war erst Ende August gegründet worden  - für den 13.Oktober an. Die Epoch Times schrieb dazu:

    "Nach Berichten der koreanischen Presseagentur und des südkoreanischen KBS World Radio sind die Pläne bereits sehr konkret: Bei der Tagung wird es um die Entwicklung der Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea und konkrete Pläne für die Wiedervereinigung gehen. Eine gemeinsame Vereinigungs-Charta und ein neues Wirtschaftsentwicklungsmodell für die wiedervereinigte Halbinsel soll entworfen werden. Auch werden „konkrete Schritte zur Durchführung der Wiedervereinigung“ und die „Vorbereitung der Bevölkerung auf den Alltag nach der Wiedervereinigung“ geplant."

  8. Ebenfalls am 7.Oktober gaben die ständigen Vertreters Nordkoreas in der UN den allerersten Bericht zur Menschenrechtslage in Nordkorea ab. Und zum allerersten Mal wurde offiziell zugegeben, dass es in Nordkorea Arbeitslager gibt und die Menschenrechtslage „sehr mangelhaft“ und „verbesserungsbedürftig“ sei.

  9. Am 8. Oktober leitetet die UN inoffiziell einen „Resolutionsentwurf der EU gegen Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea“ an ihre Delegierten weiter. Der Entwurf sieht vor, Kim Jong Un vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu stellen und ihn wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ anzuklagen, so die Epoch Times, die darauf hinweist, dass diese Offenbarungserklärung in China, statt wie früher unterdrückt zu werden, umfangreich in den Medien kommuniziert wurde, deutet auf einen chinesischen Kurswechsel gegenüber Nordkorea hin.

  10. Am 10.Oktober fanden die Feierlichkeiten anlässlich des 69. Jubiläums der kommunistischen Partei statt, in allen kommunistischen Staaten das große Ereignis des Jahres. Diktatur Kim Jong Un tauchte nicht auf, was zu Putschvermutungen in den südkoreanischen Medien führte.

  11. Am Dienstag veröffentlichen die nordkoreanischen Staatsmedien ein Foto mit einem am Krückstock gehenden Kim Jong Un, was wie eine schwache Reaktion auf die Entmachtungsspekulationen rüber kommt.

Im Gespräch mit der WirtschaftsWoche bewertet Professor Ulrich Blum, Professor für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung an der Universität Halle-Wittenberg und Experte für die Wiedervereinigungsszenarien Koreas: "Das ist ein weicher Putsch, eher wie Ulbricht zu Honecker. Wir müssen uns in das System hineindenken. Jeder, der sich profiliert, läuft ins Risiko. Deshalb finden Machtwechsel weich statt. (...)Zentral ist das Abweichen von der Erbdiktatur. Das zählt. Das ist bereits Revolution genug." Eine alsbaldige Wiedervereinigung der beiden Staaten hielt Blum im Gespräch für wenig wahrscheinlich.

Indes spricht wenig für eine endogene, rein nordkoreanische Machtübernahme durch das Militär einfach nur so. Nordkorea ist seit langem, seit seiner Ablösung von der untergegangenen UdSSR, ein von China abhängiges Staatsgebilde, das China als noch böseren Buben im globalen Machtspiel gegen den Westen in permanenter Reserve hielt. Es ist vielleicht etwas überspitzt ausgedrückt, aber die großen Weichenstellungen in PjöngYang geschahen nie gegen China und im Prinzip mit China abgestimmt.

Chinas Rolle

Der Vorvorgänger im Amt des heutigen Partei- und Staatschefs Xi Jinping, der heute 88-jährigem Ex-Staatschef Jiang Zemin, pflegte exzellente Beziehungen zum nordkoreanischen "Königshaus". Eine Schlüsselrolle bei diesen Kontakten nach Jiang und den Nordkoreanern spielte Zhou Yongkang, der Öl-Pate und Ex-Stasi-Chef Chinas, der gerade von Xi in einem gigantischen Korruptionsverfahren aus dem Verkehr gezogen wurde und samt 300 Verwandten und Komplizen im Gefängnis sitzt. Und Xi liefert sich nach wie vor einen Machtkampf mit den alten Seilschaften der Jiang Zemin-Ära. Xi fand bis heute keine Zeit für ein Treffen mit dem antechambrierenden Kim Jong Un. Stattdessen traf er sich bereits fünf Mal mit der südkoreanischen Präsidentin Park Geun-hye, die allerdings erst seit kurzer Zeit im Amt ist.

In der Gesamtschau liegt der Schluss nahe, dass Xi an der  Rolle des traditionellen Schurkenstaates Nordkorea kein Interesse mehr hat und, ganz im Gegenteil, ganz im Zuge seiner Konzentration auf den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas ein großes Interesse an einem neuen Nachbarn in Gestalt eines aufstrebenden westlichen orientierten Gesamt-Korea als kräftigen Wirtschaftspartner hat. Eine rasche Wiedervereinigung Koreas, auch im Hinblick auf die Bodenschätze Nordkoreas, die bislang brach herumliegen, könnte zentral auf der Agenda Xis stehen. Xi will erkennbar keine Unruheherde um sich herum haben, und er will auch Ruhe im Inneren Chinas. Sein Traum ist die führende Weltwirtschaftsmacht China, weshalb ihn auch die Ereignisse in Hong Kong stören, was im Reflex auf die Koreapolitik wie ein Beschleunigungsfaktor wirken könnte.

Die Sensation einer koreanischen Wiedervereinigung könnte also dichter vor der Tür stehen, als bisher angenommen.

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