BND-Spionage „Beifang“ im Überwachungsnetz

Die Empörung war groß, als herauskam, dass die USA das Handy der Kanzlerin abgehört hatten. Doch soll auch der BND „Freunde“ belauscht haben – die US-Außenminister Clinton und Kerry, die Türkei sogar systematisch.

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Der Bundesnachrichtendienstes (BDN) soll die US-Außenminister Clinton und Kerry abgehört und die Türkei systematisch überwacht haben. Quelle: dpa

Berlin Nach Berichten über mitgeschnittene Telefonate hochrangiger US-Regierungsmitglieder ist der Bundesnachrichtendienst dem Eindruck entgegengetreten, er spähe die USA gezielt aus. "Grundsätzlich führen wir gegen befreundete Staaten keine Abhörmaßnahmen durch, die USA waren und sind kein Aufklärungsziel", sagte eine BND-Sprecherin am Samstag der Agentur Reuters. "Etwaige zufällige Aufnahmen werden sofort gelöscht." Die Opposition forderte die Bundesregierung gleichwohl auf, die Vorwürfe gegen den BND unverzüglich aufzuklären.

Wie mehrere Medien berichten, soll der BND Gespräche von US-Außenminister John Kerry und seiner Vorgängerin Hillary Clinton aufgezeichnet haben. Die über Satelliten geführten Telefonate seien als "Beifang" im Überwachungsnetz des BND gelandet, berichtete "Der Spiegel" unter Berufung auf Sicherheitskreise. In mindestens einem Fall sei die Aufzeichnung eines Clinton-Gesprächs nicht sofort gelöscht worden, wie "Süddeutsche Zeitung", NDR und WDR berichteten. Dies sei eine Dummheit gewesen, sagte ein Regierungsinsider den drei Medien.

Die Bundesregierung hatte sich massiv verärgert über die vom ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden aufgedeckten US-Geheimdienstaktivitäten in Deutschland geäußert. Demnach sollen die US-Behörden nicht nur die Kommunikation zahlreicher Bundesbürger überwacht, sondern auch das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört haben. Zu den jüngsten Berichten lehnte die Bundesregierung eine Stellungnahme ab.

Das Gespräch von Kerry soll dem "Spiegel" zufolge im vergangenen Jahr aufgezeichnet worden sein, das Telefonat von Clinton im Jahr 2012. Die Telefonate seien nicht gezielt mitgeschnitten worden, sondern zufällig im Rahmen anderer Operationen. Die Medien beriefen sich auf Unterlagen, die der im Juli verhaftete mutmaßliche Spion im BND an die USA übergeben haben soll. Dieser hat dem Zeitungsbericht zufolge dem US-Geheimdienst CIA auch das "Auftragsprofil" der Bundesregierung für den deutschen Geheimdienst übergeben.

Darin sei festgelegt, welche Themen für den BND Vorrang haben und welche Länder ausspioniert werden sollen. Die USA sollen sich nicht darunter befinden, wohl aber ein anderer Nato-Verbündeter. Nach Angaben des "Spiegel" handelt es sich dabei um die Türkei. Die BND-Sprecherin lehnte eine Stellungnahme dazu ab und verwies auf das Bundeskanzleramt, das das Auftragsprofil in Abstimmung mit anderen Ministerien erstellt. Der Sprecher der Bundesregierung wollte sich dazu aber ebenfalls nicht äußern.


CSU-Experte bezweifelt Meldungen

"Es ist unfassbar, dass wir erst nach über einem Jahr intensiver Diskussion über die NSA-Affäre erfahren, dass auch unsere eigenen Nachrichtendienste aktives Ausspähen verbündeter Staaten betreiben", sagte Grünen-Chefin Simone Peter der "Welt am Sonntag". Die Bundesregierung müsse die Vorwürfe unverzüglich in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages aufklären. Außerdem forderte sie ein Konzept, wie das "undurchsichtige Eigenleben der Nachrichtendienste" kontrolliert werden könne.

Die Linkspartei pochte ebenfalls auf Aufklärung. "Der BND ist ganz offenkundig zu einem Staat im Staate geworden. Die Kontrolldefizite sind offenbar gewaltig", sagte der Vize-Vorsitzende der Linksfraktion, Jan Korte, Handelsblatt Online. Der Fall müsse im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestags und im Innenausschuss untersucht werden. Der BND wollte sich am Samstag nicht zu den Vorwürfen äußern. Auch von der Bundesregierung war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

Für den CSU-Innenexperten Hans-Peter Uhl ist indes unwahrscheinlich, dass der BND tatsächlich das Mobiltelefon Clintons abgehört hat. Er sagte der „Bild“-Zeitung (Samstag): „Ich bin sehr misstrauisch, was diesen Bericht betrifft. Es war zu erwarten, dass amerikanische Dienste versuchen, jetzt eine Retourkutsche gegen den BND zu fahren. Der BND muss zu den Vorwürfen im Kontrollgremium für die Geheimdienste Stellung nehmen.“

Die USA haben allerdings den Berichten zufolge bereits damit begonnen, die Informationen im Streit über US-Spionageaktionen in Deutschland zu nutzen. Das abgehörte Clinton-Telefonat nähmen sie als Beleg dafür, dass auch die Deutschen die USA ausspioniert haben. Kerry soll seinen deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier (SPD) bereits vor Wochen auf den Vorgang angesprochen haben.
Eine Ausforschung der Türkei gilt als besonders heikel, weil das Land als Nato-Bündnispartner an der Seite Deutschlands steht. Welches Ausmaß die Aktivitäten des BND haben könnten, blieb offen. Die Bundesregierung legt etwa alle vier Jahre die Schwerpunktziele des Auslandsgeheimdienstes fest. Das aktuelle Profil sei bislang wegen der NSA-Spähaffäre nicht erneuert worden, schreibt der „Spiegel“. Das solle erst in den kommenden Monaten geschehen.

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