Böhmermann und die Folgen Ein türkischer Reporter macht sich zum Gespött der Nation

Die Causa Böhmermann treibt irrwitzige Blüten: Ein türkischer Journalist fährt zur ZDF-Zentrale nach Mainz, um den Sender für das Böhmermann-Gedicht zur Rede zu stellen. Ein Versuch von Aufklärung, der ausartet.

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Reporter Mevlüt Yüksel, ZDF-Pressesprecher Alexander Stock und der Übersetzer (von links) vor dem ZDF-Gebäude in Mainz.

Düsseldorf Tagelang haben türkische Medien den Fall Böhmermann übersehen. Jetzt stürzen sie sich darauf. Anlass ist aber weniger der Strafantrag des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Sondern ein Reporter des regierungsnahen Senders A Haber, der in Mainz einen ZDF-Pressesprecher zur Rede stellen wollte. In dem zwölf Minuten langem Beitrag ist zunächst zu sehen, wie Mevlüt Yüksel hektisch auf das Eingangstor des Mainzers Fernsehsenders zugeht und dabei erklärt, dass er „das ZDF zurechtweisen“ werde. Über einen extra eingestellten Dolmetscher sprach Yüksel mit dem ZDF-Pressesprecher Alexander Stock, den Yüksel lediglich als „hoher Vertreter“ des Senders bezeichnet.

Was daraufhin passiert, wirkt schnell grotesk. Weil Yüksel keine Drehgenehmigung hat, um auf dem ZDF-Gelände zu filmen, findet das Gespräch mit dem Pressesprecher auf dem Bürgersteig statt. Yüksel sieht darin eine Einschränkung der deutschen Pressefreiheit. „Seht, wie die Pressefreiheit in Deutschland einzuordnen ist“, brüllt er in sein Mikrofon. „Sie beleidigen und beschimpfen die Türkei, unseren Präsidenten, unser Volk und stehen hier nun vor uns auf unhöflichste Art und Weise.“

Der Komiker Böhmermann hatte in der vor einer Woche ausgestrahlten Folge seiner Satiresendung „Neo Magazin Royale“ Erdogan scharf angegriffen. Der „Schmähgedicht“ genannte Reim, den Böhmermann in der Sendung vortrug, zielte oft unter die Gürtellinie. Der Moderator selbst kündigte die Verse mit den Worten an, er wolle nun einmal zeigen, welche Art von Satire in Deutschland nicht erlaubt sei. Sein Haussender ZDF distanzierte sich anschließend von der Satire und strich sie aus der Mediathek. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Mainz gegen Böhmermann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte über ihren Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilen lassen, dass sie Böhmermanns Schmähgedicht „bewusst verletzend“ finde. Die türkische Regierung bezeichnete das Erdogan-Gedicht des Satirikers Jan Böhmermann als inakzeptabel und dessen Bestrafung gefordert.

Das Gedicht sei nicht nur eine Beleidigung von Präsident Recep Tayyip Erdogan, sondern von allen 78 Millionen Türken, sagte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus am Montag. „Deshalb wollen wir als Republik Türkei natürlich, dass dieser unverschämte Mann im Rahmen der deutschen Gesetze sofort wegen Beleidigung eines Präsidenten bestraft wird.“ Kurtulmus betonte aber, die Türkei wolle „absolut keinen politischen Druck“ auf Deutschland ausüben. Er warf Böhmermann vor, mit dem Gedicht ein „schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begangen zu haben. Inzwischen stellte Staatspräsident Erdogan persönlich einen Strafantrag in Deutschland.

A-Haber-Reporter Mevlut Yüksel reicht das nicht. Er will das Zweite Deutsche Fernsehen vor der eigenen Haustüre entlarven. Der Sender, für den er arbeitet, gehört zur Turkuvaz-Gruppe. Der Konzern, zu dem auch die türkischen Tageszeitungen Sabah und Takvim sowie Unternehmen aus anderen Sparten gehört, gilt als regierungsnah. Vorstandschef ist Serhat Albayrak – dessen Bruder Berat Albayrak ist Schwiegersohn von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und gleichzeitig Minister für Energie und Bodenschätze in der aktuellen türkischen Regierung. Einer der Kolumnisten von Sabah ist Erdogan-Pressesprecher Ilnur Celik, der regelmäßig in der Zeitung die Politik des Staatschefs „erklärt“.


Ein wirkliches Gespräch? Fehlanzeige

Zurück zum TV-Beitrag: Während Yüksel gegen den deutschen Sender wettert, steht ZDF-Sprecher Stock derweil ruhig neben dem Dolmetscher und versucht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Dass er dabei die Hände in den Hosentaschen hält, sieht der türkische Reporter als Beleidigung an. „Ihr seht, wie ein hoher Vertreter des ZDF sich uns gegenüber grob verhält, mit den Händen in der Hosentasche!“, tobt Yüksel. Außerdem soll er von dem ZDF-Mann beleidigt worden sein – was in dem Beitrag allerdings nicht zu sehen ist. Stattdessen zeigt Yüksel am Ende mit dem Zeigefinger auf Stock und behauptet: „Das ist der Zustand der Pressefreiheit in Deutschland.“

Ein wirkliches Gespräch zwischen den beiden findet allerdings gar nicht statt. Stattdessen spricht der türkische Reporter in die Kamera, während der Dolmetscher versucht, die Hasstiraden auf das ZDF ins Deutsche zu übersetzen.
Der Beitrag erschien am Wochenende in der türkischen Fernsehsendung „Yaz Boz“, in der Hauptmoderator Yüksel regelmäßig Verschwörungstheorien entwirft. Darin richten sich im Wochentakt irgendwelche dunklen Mächte gegen die Türkei, die von den Rechercheuren des Senders „aufgedeckt und zerstört“ werden (sinngemäße Übersetzung von „Yaz Boz“). Yüksel präsentiert die Sendung gemeinsam mit Ergün Diler und Bekir Hazar, einem Redakteur der konzerneigenen Zeitung Takvim. Dort ist auch Yüksel angestellt – laut der Zeitung „Die Welt“ als Nachrichtenchef.

Kein Wunder also, dass das Schwestermedium den Fernsehbeitrag gleich am Montag aufgriff. Auf der Titelseite zeigte sie den Komiker Böhmermann sowie Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner, der Böhmermann zuletzt öffentlich unterstützt hatte, als Imperialisten mit Frack und Wildwest-Hut auf dem Kopf – eine beliebte Metapher türkischer Medien, wenn es darum geht, alte Gräben zwischen europäischen Großmächten und dem zurückgedrängten Osmanischen Reich in den vergangenen Jahrhunderten neu aufzureißen.

Auch andere Medien im Land griffen die Zurechtweisung des türkischen Reporters auf – indem sie sich darüber lustig machten. Auf Twitter schrieb ein türkischer Nutzer in Bezug auf den Sender A Haber: „Manche sagen, im Land sei die Satire am Ende. Dabei gibt es in diesem Land einen Sender, der 24 Stunden Satire bringt.“

Er hat nicht ganz Unrecht. Unfreiwillig bekannt wurde Yüksel nämlich vor rund drei Jahren, als er in der Hauszeitung Takvim ein Interview mit der bekannten CNN-Reporterin Christiane Amanpour veröffentlichte. In diesem bekannte sie sich dazu, Erdogan während wochenlanger Proteste im Istanbuler Gezi-Park als Diktator darzustellen. Doch Yüksel hatte das gesamte Interview frei erfunden, Amanpour dementierte jegliche Aussagen. Kurz darauf führte er stattdessen ein echtes Interview im Gezi-Park – mit einem Baum. „Sie haben die ganze Nacht Lieder gesungen und Krach gemacht“, zitierte Yüksel den Baum in Bezug auf die Demonstranten, die gegen das Abreißen des Parks demonstriert hatten. Das „Interview“ erschien bei Takvim auf der Titelseite – mitsamt einem großformatigen Foto von Reporter und seinem hölzernen Interviewpartner.

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