Brasilien Das Denkmal Lula bröckelt

Brasilien ist in Aufruhr. Luiz Inácio Lula da Silva kämpft verzweifelt gegen die Justiz, gegen Korruptionsvorwürfe. Und zusammen mit Präsidentin Dilma Rousseff gegen den Untergang ihres linken Regierungsprojekts.

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Demonstrationen gegen Lula da Silva und Dilma Rousseff in den Industriebezirken von Sao Paulo. Quelle: AP

Eigentlich sollte die Ernennung zum Kabinettschef ein Befreiungsschlag werden für Brasiliens Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Jetzt fühlt er sich unwohl in seiner Haut, rutscht auf seinem Stuhl herum. Und lächelt gequält, als Präsidentin Dilma Rousseff Lobeshymnen auf ihn anstimmt, ihn als großen politischen Führer Brasiliens preist, während draußen vor dem Präsidentenpalast Demonstranten brüllen „Lula raus“, „Dilma raus“ Die Regierung der seit 2003 regierenden Arbeiterpartei steht am Abgrund.

Droht ein dramatisches Ende dieser besonderen Geschichten von ganz unten nach ganz oben? Lula, Sohn eines armen Bauern, der sich vom Schuhputzer und Werkzeugmacher hocharbeitet. Der 1980 die Partido dos Trabalhadores (PT) mitbegründet, im vierten Anlauf 2003 Präsident wird. Mit Programmen wie Bolsa Familia und Hausbauprogrammen die unteren Schichten besserstellt. Hinzu kommt die Expansion des Agrarsektors - und dank des hohen Ölpreises sprudeln die Einnahmen. Brasilien übernimmt Verantwortung, führt die UN-Mission in Haiti, steigt zur siebtgrößten Volkswirtschaft auf. Lula ist ein Star.

Doch was sich hinter dieser Erfolgsgeschichte abspielte, was für ein Korruptionsnetz sich scheinbar über die gesamte politische Klasse spannte, kommt erst jetzt nach und nach ans Licht. Und nach Ländern wie Venezuela und Argentinien, könnte sich in Brasilien der Trend fortsetzen, dass die linke Ära an ihr Ende kommt. Die Enthüllungen, der Versuch, einem Korruptionsprozess durch das Ministeramt zu entkommen, lösen bei den meisten Bürgern nur noch Kopfschütteln aus.

Lulas Telefonate wurden seit Wochen abgehört, auf Veranlassung des von vielen gefeierten Richters Sérgio Moro, der ohne Rücksicht auf große Namen ermittelt im milliardenschweren Korruptionsskandal um Auftragsvergaben des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras. Der 70-Jährige wird unter anderem verdächtigt, dass er sich bei einem Luxus-Apartment an der Atlantikküste von einem Baukonzern schmieren ließ. Es wurde aufwendig auf Kosten des Unternehmens renoviert.

Als Moro die Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft São Paulo übertragen bekam, die Untersuchungshaft für Lula fordert, wurde Lula von Rousseff flugs zum Chef der Casa Civil ausgerufen, es ist der wichtigste Ministerposten, er steuert die Regierungsgeschäfte.

Der frühere Justizminister José Eduardo Cardozo sagte der Zeitung „Folha de Sao Paulo“, Lula sei zwar nun formell Minister, könne aber wohl vorerst nicht auf einige Privilegien zählen: diese könnten ihn vor Untersuchungshaft und einem Korruptionsprozess bewahren.

Als Minister mit allen Privilegien wäre nur der Oberste Gerichtshof zuständig. Und nicht mehr der rigoros ermittelnde Richter Sérgio Moro, der nach Veröffentlichung der Mitschnitte aber auch zunehmend umstritten ist. Fast 60 Politiker sollen in Schmiergeldzahlungen bei Auftragsvergaben des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras verwickelt sein. Von der Arbeiterpartei bis zu führenden Oppositionspolitikern.

„So fangen die Staatsstreiche an“

Dann überschlugen sich seit Mittwoch die Ereignisse in Brasilien. Ein Telefon-Mitschnitt eines Gesprächs zwischen Rousseff und Lula wurde an die Medien durchgestochen, er legt nahe, dass Lula nicht nur der Regierung beim Überwinden der Rezession helfen, sondern vor allem vor Attacken der Justiz geschützt werden soll. Denn als Minister hat er das Privileg, dass nicht mehr sein Gegner Moro, sondern nur der oberste Justizgerichtshof für das weitere Vorgehen zuständig wäre.

Ein Bundesrichter - der in Opposition zur Regierung steht - stoppte per Eilentscheidung vorläufig den Wechsel in das sicherere Terrain der Regierung. Die Regierung legte Berufung ein - ein Schwebezustand.

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Symptomatisch in diesen Tagen, wo alles möglich scheint. „So fangen die Staatsstreiche an“, meint Rousseff mit Blick auf das Durchstechen des Telefonats. Lula sagt darin am Ende: „Tschau Querida“, „Ciao, meine Liebe“. Die beiden sind in ihrem Schicksal aneinander gekettet - dem schwer in die Krise geratenen Projekt einer Regierung, die die Armut von Millionen Menschen verringert, droht ein bitteres Finale. Die Menschen gehen auf die Straße und rufen beiden zu: Weg mit Euch.

Es ist auch ein bedrohlicher Konflikt der Gewalten: Hier die Judikative, da die Exekutive. Vizepräsident Michel Temer vom wichtigsten Koalitionspartner, der Partido do Movimento Democrático Brasileiro (PMDB), blieb Lulas Ernennung fern, viele rechnen mit einem baldigen Koalitionsbruch. Und im Abgeordnetenhaus hat sich eine 65-köpfige Sonderkommission für eine Amtsenthebung der bis 2018 gewählten Rousseff gebildet, darin sitzen auch Abgeordnete, die auch unter Korruptionsverdacht stehen.

Regiert wird kaum noch, dabei ist die Wirtschaft 2015 um 3,8 Prozent eingebrochen, es gibt über 9,1 Millionen Arbeitslose, Staatsanleihen werden von den Ratingagenturen nur noch auf Ramschniveau bewertet - das Ausfallrisiko ist also groß.

Dann ist da noch die mysteriöse Zika-Epidemie und im August finden in Rio die ersten Olympische Spiele Südamerikas statt. Interessant: Die Börse in São Paulo verzeichnete am Donnerstag den stärksten Anstieg seit sieben Jahren - weil ein Ende der Regierung erwartet wird? Es ist aber längst nicht nur eine Krise der PT, der Präsident des Abgeordnetenhauses, Eduardo Cunha von der PMDB, soll fünf Millionen Dollar Schmiergeld kassiert und in der Schweiz gebunkert haben.

Aber Lula hatte nun mal hohe moralische Ansprüche. Es findet derzeit eine massive Vorverurteilung statt - daher wandte sich Lula nun verzweifelt mit einem offenen Brief an das Volk: Seine Privatsphäre, die seiner Frau, der Kinder sei durch illegal weitergegebene Informationen verletzt worden. „Ich erwarte lediglich Gerechtigkeit.“

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