Brasilien Kampf gegen Korruption und Männerherrschaft

Präsidenten Dilma Rousseff räumt seit ihrem Amtsantritt gnadenlos auf. Nun geht es zwei Konstanten der brasilianischen Politik an den Kragen: Korruption und Männerherrschaft.

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Effizienz als weibliche Tugend: Rousseff kämpft gegen den Schlendrian Quelle: REUTERS

Sechs Minister hat die einstige Guerillakämpferin Dilma Rousseff entlassen, seit sie zu Jahresbeginn als Staatspräsidentin die Nachfolge ihres Parteifreundes Lula da Silva angetreten hat. Bei fünf der geschassten Kabinettsmitglieder war Korruption der Entlassungsgrund.

So hatte der 81-jährige Tourismusminister Pedro Novais umgerechnet 900 Euro für Ausgaben im Stundenhotel auf Staatskosten abgerechnet – und musste zurücktreten. Ebenso Rousseffs ursprünglicher Chef des Präsidialamts, der nebenbei Millionen als Lobbyist verdient hatte.

Ende Oktober erwischte es als bisher letztes Kabinettsmitglied den bisherigen Sportminister Orlando Silva. Der wird beschuldigt, einen Karton voller Geld als Schmiergeld erhalten zu haben – ausgerechnet von den Verantwortlichen eines staatlich geförderten Sportprogramms für Kinder aus Armenvierteln. Alles besonders peinlich, weil das Sportministerium auch für die teuren und imageträchtigen brasilianischen Großereignisse der kommenden Jahre zuständig ist: die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016.

Präsidentin räumt gnadenlos auf

Ex-Minister Silva beteuert seine Unschuld, aber die Präsidentin räumt gnadenlos auf. Die Brasilianer fragen sich schon, welcher Minister der Nächste sein wird. Favoriten in den Medien sind derzeit der Minister für Stadtentwicklung, wegen des plötzlichen Subventionsregens auf eine Kleinstadt, in der seine Gattin als Bürgermeisterin amtiert, und der Arbeitsminister, dem vorgeworfen wird, er habe über fiktive Gewerkschaften Geld für sich und seine Partei besorgt.

Seit ihrem Amtsantritt kehrt die 63-jährige Präsidentin mit eisernem Besen und verändert die Spielregeln des politischen Systems im Land. Schon als Energieministerin und als Chefin des Präsidialamts unter ihrem Vorgänger Lula machte die fachlich den meisten Kabinettskollegen haushoch überlegene Energieexpertin und Ökonomin manchen Machopolitiker zur Schnecke – jetzt aber hat sie den Kampf gegen zwei scheinbar unerschütterliche Konstanten der brasilianischen Politik aufgenommen: Korruption und Männerherrschaft.

Gestürzte Herren werden nach Möglichkeit durch Frauen ersetzt

Dilma Rousseff wirft mit den korrupten Ministern nicht nur deren ganze Sippen heraus, bis ins zweite Glied. Sie ersetzt die gestürzten Herren außerdem nach Möglichkeit mit Frauen. Neun von insgesamt 38 Kabinettsmitgliedern sind inzwischen weiblich. Politikerinnen wie die Umweltministerin Izabella Teixeira und die neue Präsidialamtschefin Gleisi Helena Hoffmann, Nachfahrin deutscher Einwanderer, prägen das Bild der Regierung. Aber auch bei nachgeordneten Behörden, in der Justiz und in den staatseigenen Konzernen haben Frauen jetzt Priorität.

Bisher fand man kaum Frauen in den Spitzenpositionen der brasilianischen Politik und Wirtschaft. In den 100 größten Unternehmen gibt es nur vier weibliche Vorstandsvorsitzende, in den Vorständen und Aufsichtsräten finden sich insgesamt nur neun Prozent Frauen. Nach der neuesten Untersuchung des World Economic Forum rangiert Brasilien mit seiner Frauenpräsenz in der Politik auf Platz 114 unter 125 Staaten – nur in meist islamischen Staaten sind Frauen noch weniger vertreten.

Brasiliens Männer tun sich schwer mit dem Wandel

Der Sportminister Brasiliens, Orlando Silva, musste gehen, nachdem er beschuldigt worden war, einen Karton voller Schmiergeld erhalten zu haben Quelle: dpa

Jetzt hat der Wandel an der politischen Spitze begonnen, und Brasiliens Männer tun sich schwer damit. Der einzige der sechs in diesem Jahr entlassenen Minister, bei dem es nicht um einen Korruptionsverdacht ging, war Verteidigungsminister Nelson Jobim. Der 65-jährige Macho war öffentlich über die angebliche Schwäche und Kenntnislosigkeit seiner Kabinettskolleginnen hergezogen.

Mit ihrem Kampf gegen die Korruption stellt Dilma Rousseff ein Grundprinzip der brasilianischen Politik infrage: die Selbstbedienung als Basis des innenpolitischen Friedens. Wie ihre Vorgänger regiert sie mit einer aberwitzig breiten Koalition aus 16 von insgesamt 19 Parteien im Parlament: zwei Drittel der Senatoren und drei Viertel der Abgeordneten zählen zum Regierungslager. Und alle Koalitionspartner beanspruchen Pfründe in Pensionsfonds, in wichtigen Staatskonzernen oder auch gleich ein ganzes Ministerium mitsamt seinen vielen Planstellen.

In Brasilien, hat die OECD festgestellt, werden jedes Mal 22 000 Posten neu vergeben, wenn ein neuer Präsident ins Amt kommt, in den USA sind es nur 7000. Das hat der Korruption Tür und Tor geöffnet: So kontrolliert zum Beispiel seit annähernd drei Jahrzehnten der Clan des Ex-Präsidenten José Sarney aus dem bettelarmen Bundesstaat Maranhão die Strom- und Bergbaubürokratie Brasiliens. Eine konservative Partei aus dem Süden dominiert traditionell das wichtige Transportministerium. Und im Sport, daran erinnerte die Affäre um Minister Silva, hat die Kommunistische Partei das Sagen. „Seit die Eroberer in Brasilien an Land gingen, hat der Staat nur eine Funktion: Mechanismen zu entwickeln, damit sich diejenigen, die an der Macht sind, persönlich bereichern können“, spottet Kenneth Maxwell, Brasilienexperte an der US-amerikanischen Harvard-Universität.

Rousseff nervt die Ineffizienz des staatlichen Apparats

Bis sie ins Amt kam, hat Dilma Rousseff von dieser Vetternwirtschaft profitiert – sie verdankt der von Lula geknüpften Allianz schließlich den Wahlsieg. Doch an der Macht nervt sie die Ineffizienz des staatlichen Apparats. Denn ihre Popularität steht und fällt damit, dass es ihr gelingt, den Schlendrian und die Korruption zu ver-ringern.

Die Krisen in Europa und den USA sowie das langsamere Wachstum in China bremsen inzwischen auch in Brasilien die Konjunktur. Statt 7,5 Prozent wie noch 2010 dürfte das brasilianische Bruttoinlandsprodukt laut Internationalem Währungsfonds in diesem Jahr nur noch um knapp vier Prozent wachsen. Mehr wäre möglich, wenn Investitionen und Effizienzgewinne im Inland dafür sorgten – doch da blockiert der Staatsapparat: Mit dem Bau der Fußballstadien für die WM 2014 ist das Land hoffnungslos im Rückstand, die Ausschreibungen für eine Modernisierung der Flughäfen sind nicht mal vorbereitet. Dringend notwendige Wasserkraftwerke werden wegen des Kompetenzgerangels der Behörden erst einmal nicht gebaut, und der Hochgeschwindigkeitszug zwischen Rio und São Paulo kommt erst später – wann, ist unbestimmt.

Rousseff grenzt sich von ihrem Ziehvater ab

So passt es der Präsidentin gut ins Konzept, wenn die bissigen brasilianischen Medien einen Skandal nach dem anderen aufdecken. Mit den Entlassungen der korrupten Minister, die alle noch aus Lulas Kabinett stammen, grenzt sie sich von ihrem Ziehvater ab – und sammelt Sympathien bei der Mittelschicht, die Lulas Toleranz gegenüber der Korruption in den eigenen Reihen satt hat. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International steht Brasilien auf Platz 69 unter 173 Staaten. Im Kampf gegen die Korruption will Dilma „die Ministerien als Erbhöfe abschaffen und fähige Technokraten in die Politik bringen“, beobachtet die brasilianische Kolumnistin Eliane Cantanhede.

Das kann aber auch schiefgehen. Ausgerechnet die Staatssekretärin im Präsidialamt, eine enge Vertraute Dilma Rousseffs, erwies sich als korrupt. Gegen Bares vermittelte sie Gehör bei ihrer Chefin.

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