Brexit-Brief Unterschrieben und abgeschickt

Großbritanniens Premierministerin setzt die Scheidung von der EU in Gang. Das Ergebnis der auf zwei Jahre angelegten Verhandlungen ist ungewiss. Nur eines ist absehbar: Es wird Enttäuschungen geben.

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Der Anfang vom Ende? Die britische Premierministerin Theresa May unterschreibt den Brexit-Brief an die EU. Quelle: dpa

London Theresa May hat am Dienstagabend den historischen Brief unterschrieben, mit dem die britische Premierministerin den Austritt aus der EU in Gang setzt – nach 44 Jahren Zugehörigkeit, neun Monate nach dem Brexit-Referendum. An diesem Mittwoch wird Großbritanniens EU-Botschafter Tim Barrow das Schreiben mittags an Donald Tusk übergeben, den Präsidenten des Europäischen Rates.

Dann beginnt die Uhr zu ticken. Zwei Jahre sind für die Scheidungsgespräche vorgesehen. Im Frühjahr 2019 kann Großbritannien dann voraussichtlich die EU verlassen.

Wie die künftigen Beziehungen zwischen London und Brüssel aussehen werden, ist völlig ungewiss. Klar ist derzeit nur so viel: Es wird Enttäuschungen geben angesichts der ambitionierten Ziele, die May sich gesetzt hat, und der hehren Versprechen, die die Brexit-Befürworter in ihrem Kabinett den Briten gegeben haben.

Die Premierministerin will einen harten Bruch mit der EU. Sie will dem Europäischen Binnenmarkt und der Zollunion den Rücken kehren und den Einfluss des Europäischen Gerichtshofs abschütteln. Parallel dazu hat ihre Regierung dem Land aber ein Handelsabkommen zugesichert, das dieselben Vorteile bieten soll wie der Zugang zum Binnenmarkt.

Die Liste der Versprechen umfasst noch mehr: Großbritannien will nach dem Brexit eine größere Rolle auf dem Weltmarkt spielen und schnell zahlreiche neue Handelsvereinbarungen abschließen. Das Land will sich die Überweisungen nach Brüssel am liebsten ganz sparen und das Geld etwa in das nationale Gesundheitssystem stecken.

Die Grenze zwischen Nordirland und Irland soll auch nach dem EU-Austritt unverändert bleiben, die Sicherheitsabkommen mit Brüssel noch besser ausfallen als bisher. Die Zahl der Einwanderer will Großbritannien begrenzen, gleichzeitig aber verhindern, dass der Wirtschaft Facharbeiter fehlen.

All das sei „haarsträubender Utopismus“, sagte Nick Clegg, ehemaliger Vizepremier, der heute für die Liberaldemokraten im Unterhaus sitzt. Er hat sich mit Brexit-Gegnern anderer Parteien verbündet und am Dienstag angekündigt: „Wir werden die Regierung zur Verantwortung ziehen.“

Man wolle zwar genauso wie May den bestmöglichen Deal mit der EU, doch man sei äußerst skeptisch, ob das machbar sei. Zu widersprüchlich seien einige Ziele der Regierung, zu sehr würden sie Realitäten unterschätzen.


Welche Hürden die britische Regierung noch vor sich hat

So kritisieren Clegg und andere Pro-Europäer unter den britischen Politikern die Haltung einiger Regierungsmitglieder, die weitere Überweisungen nach Brüssel ausschließen. Von bis zu 60 Milliarden Euro ist die Rede, die die EU fordern wird. „Es wäre besser, sich darauf einzulassen, die Rechnung zu begleichen“, sagte Clegg, „statt es abzulehnen und so die ohnehin schon große Verärgerung über den britischen Ton und die Haltung auf Seiten der EU weiter anzuheizen.“

Doch die Brüsseler Rechnung ist nur eine der vielen Hürden, die auf May warten. Sie muss Experten zufolge bis zu 19.000 EU-Gesetzestexte in britisches Recht umwandeln, um den reibungslosen Übergang in die Nach-Brexit-Ära einzuleiten.

Sie muss das Auseinanderdriften des Königreichs verhindern, allen voran die schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen eindämmen. Sie muss ein Handelsabkommen mit Brüssel vereinbaren, das Schaden von der britischen Wirtschaft abwendet. Und das alles in einer vergleichsweise knapp bemessenen Zeit.

Die größte Hürde ist möglicherweise aber eine andere: May wird Kompromisse eingehen müssen. Die Bereitschaft dazu hat sie in ihrer Zeit in der Downing Street selten signalisiert.

Sie hat sich ihren Kurs bisher in erster Linie von den lautstarken Brexit-Befürwortern diktieren lassen. Wenn sie dabei bleibt, könnten die Verhandlungen mit der EU enden, noch bevor sie richtig begonnen haben. Und je mehr Kompromisse sie eingeht, desto lauter wird die Kritik der heimischen EU-Gegner, die May bisher unterstützen. Doch das muss sie aushalten können.

Großbritanniens ehemaliger Premierminister John Major hat May jüngst darauf vorbereitet: Die Europaskeptiker seien derzeit noch ihre Verbündeten, doch das könne sich schon morgen ändern. Wenn May von ihrer harten Linie abrückt, könnten aber neue Verbündete dazukommen. 17,4 Millionen Briten stimmten im Juni vergangenen Jahres gegen die EU – und 16,1 Millionen dafür.

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