Brexit-Gesetzentwurf Von kleinen Zugeständnissen und großer Zeitnot

Großbritannien strebt einen klaren Bruch mit der EU an. Nun hat die Regierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Kritiker halten die Vorlage für zu ambitioniert – in einem Punkt kommt May ihnen aber entgegen.

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Brexit-Minister David Davis will die Vorlage im Unterhaus innerhalb von zwei Wochen durchboxen. Quelle: AFP

London Es sind nur wenige Sätze, sie füllen noch nicht mal eine halbe Seite. Doch sie sind von enormer Bedeutung: „Der Premierminister darf gemäß Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union die Absicht des Vereinigten Königsreichs erklären, sich aus der EU zurückzuziehen“ – das steht im Mittelpunkt des Gesetzesentwurfs, den die britische Regierung am Donnerstag vorgelegt hat.

Er soll den Weg für die Scheidungsgespräche mit der EU ebnen. Segnet das britische Parlament diese Vorlage in den nächsten Wochen ohne grundsätzliche Änderungen ab, kann Premierministerin Theresa May ihren Brexit-Plan umsetzen und wie angekündigt bis Ende März das offizielle Austrittsgesuch nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages in Brüssel einreichen. Zwei Jahre später ist Großbritannien dann voraussichtlich kein EU-Mitglied mehr.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofes Anfang dieser Woche hatte diesen Zwischenschritt im britischen Parlament notwendig gemacht. May wollte ihn verhindern, doch nach Ansicht der Richter sind der EU-Austritt Großbritanniens und die damit einhergehenden Änderungen für die Bürger von so großer Bedeutung, dass die Abgeordneten den Start der offiziellen Verhandlungen genehmigen müssen.

Der Zeitplan, den Brexit-Minister David Davis am Donnerstag mit dem Gesetzesentwurf vorgelegt hat, gilt als ambitioniert: Er will die Vorlage im Unterhaus innerhalb von zwei Wochen durchboxen. Oppositionspolitiker kritisierten das als nicht akzeptabel und viel zu kurz. Die Abgeordneten gehen davon, dass die Debatten sich Anfang nächster Woche angesichts des engen Zeitplans bis tief in den Abend hinziehen dürften.

In einem Punkt kam May ihnen aber entgegen: Labour-Abgeordnete forderten bereits kurz nach dem Urteil des Supreme Courts eine umfassende Diskussionsschrift mit den grundsätzlichen Zielen, die die Premierministerin in den Verhandlungen mit Brüssel verfolgt. Ein solches Papier soll schon bald veröffentlicht werden. Es wird voraussichtlich auf Mays Brexit-Rede basieren, die sie vor mehr als einer Woche gehalten hat.

Da die regierende Tory-Partei im Unterhaus die Mehrheit hat, gehen Beobachter davon aus, dass der Gesetzesentwurf mit kleineren Änderungen durchgehen wird. Im Oberhaus dagegen sind die Tories in der Minderheit. Die Debatten, die voraussichtlich in der zweiten Februarhälfte im House of Lords beginnen sollen, könnten daher deutlich komplizierter werden. Nach Plänen der Regierung sollen die Parlamentarier in beiden Kammern die Gesetzesvorlage zum EU-Austritt bis Mitte März debattiert und mit möglichen Änderungen und Zusätzen abgesegnet haben.


Wirtschaft erweist sich als überraschend robust

Premierministerin Theresa May drückt auch bei einem anderem wichtigen Thema aufs Gas: Sie will bei einem Treffen mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump an diesem Freitag die Grundlage schaffen, um nach dem EU-Austritt ihres Landes möglichst schnell ein Freihandelsabkommen mit den USA abzuschließen. Solange Großbritannien Teil der Staatengemeinschaft sind, kann das Land einen solchen Vertrag noch nicht unterzeichnen. May will das aber offenbar so gut wie möglich vorbereiten.

Großbritannien strebt einen klaren Bruch mit der EU an. Der Austritt soll mit einer Abkehr aus dem Europäischen Binnenmarkt und der Zollunion einhergehen. Das hat die Premierministerin vor gut einer Woche deutlich klarer als zuvor gesagt. Brexit-Kritiker fürchten angesichts dieser Pläne einen massiven wirtschaftlichen Schaden. Sie hoffen, dass das Parlament seine neuen Gestaltungsmöglichkeiten nutzt und einen Teil der negativen Brexit-Folgen noch abwenden kann.

Die britische Wirtschaft hat sich seit dem Brexit-Votum als überraschend robuster erwiesen. Im vierten Quartal 2016 wuchs die Wirtschaftsleistung um 0,6 Prozent zum Vorquartal, wie die nationale Statistikbehörde ONS am Donnerstag bekanntgab. Vor allem Großbritanniens ausgabefreudige Haushalte haben dazu beigetragen.

Doch das könnte sich ändern: Denn die Verbraucher müssen sich auf höhere Preise einstellen. Seit dem Referendum Ende Juni 2016 hat das britische Pfund zum Dollar und Euro massiv an Wert verloren. Dies führt dazu, dass importierte Waren teurer werden, was die Inflation nach oben treibt. Das könnte den privaten Konsum schwächen.

Hinzu kommt: Der Brexit sei noch nicht vollzogen, auf längere Sicht werde dieser Schritt daher den Wachstumstrend auf der Insel schwächen, warnt Berenberg-Volkswirt Kallum Pickering in einer jüngst veröffentlichten Studie. Die Widerstandsfähigkeit der britischen Wirtschaft sei nicht von Dauer. Die bisher überraschend guten Wirtschaftsdaten bestärken die lautstarken Europakritiker auf der Insel derzeit aber noch in ihren Forderungen nach einem möglichst harten Bruch mit der EU.

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