Brexit-Prozess Gericht entscheidet über Mays Alleingang

Darf die britische Regierung unter Premierministerin Theresa May den Austrittsprozess aus der EU allein anstoßen? Oder muss das Parlament zustimmen? Der Oberste Gerichtshof in London entscheidet am Dienstag darüber.

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Die europäischen Noch-Partner verlangen klare Fakten von der britischen Premierministerin. Quelle: AP

London Spätestens Ende März will Theresa May den Brexit-Prozess starten. Am liebsten würde die britische Premierministerin das direkt tun, ohne das Parlament. Ob sie das darf, darüber entscheidet an diesem Dienstag nun der Oberste Gerichtshof in London. Alle elf Richter sind in das Urteil eingebunden, bei dem es zunächst um die Entscheidung eines vorgeordneten Gerichts vom November geht. Der High Court hatte darin dem Parlament Mitsprache zugebilligt und erklärt, dass vor dem Brexit-Verfahren ein Parlamentsvotum nötig ist.

Dagegen legte die Regierung jedoch Berufung ein. Sie argumentiert mit einem Hoheitsrecht aus dem Mittelalter, nach dem Regierungen die Handhabe über internationale Abkommen zufällt, ohne dass das Parlament zustimmen muss. Gerade in England mit seiner seit jeher behaupteten Parlamentstradition eckt das an.

Im Kern berührt das Gerichtsurteil die Frage nach der Teilung der Gewalten. Weil keine geschriebene Verfassung existiert, sondern das Verfassungsrecht sich aus einer Fülle von Gesetzen und Urteilen ableitet, ist diese aber umso schwerer zu beantworten. Auf den Brexit-Kurs an sich dürfte der Gerichtsentscheid trotzdem keine Auswirkung haben.

Denn es ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich das Parlament gegen die Scheidung von der Europäischen Union stellen würde. Schon aus Achtung vor dem Referendumsergebnis vom Juni, bei dem sich 52 Prozent der Wähler für den Austritt aussprachen, wäre mit der Zustimmung der beiden Kammern zu rechnen. Doch für May und ihren Zeitplan könnte es eng werden, wenn das Parlament noch mitmischen darf, bevor der Brexit in Gang gesetzt wird. Der Start der Austrittsverhandlungen könnte gebremst werden - bis Ende März ist schließlich ohnehin nicht mehr viel Zeit.

Die europäischen Noch-Partner wollen zudem endlich klare Fakten. Und auch bei den Brexit-Befürwortern auf den Britischen Inseln wächst die Ungeduld. Etwa zwei Jahre wird der Austrittsprozess vermutlich dauern. Entscheidet der Oberste Gerichtshof nun gegen die Regierung, so hat diese sich bereits für eine Reihe von Eventualitäten gerüstet. Es liegen mehrere Gesetzesentwürfe vor, die dann je nach Vorgaben der Richter dem Parlament schnellstens vorgelegt werden könnten.

Für May könnte es noch komplizierter werden

Ziel wäre ein sehr kurzes, knackiges Gesetz, das May die Befugnis erteilt, den Austritt nach Artikel 50 des Vertrags von Lissabon einzuleiten. Ein Gesetz, an dem nicht mehr allzu viel herumgeschraubt werden könnte. Gibt das Gericht aber der Regierung freie Hand, so kann May den Austritt zu ihr genehmer Stunde starten - das heißt also auf jeden Fall innerhalb ihres Zeitplans. Die Regierung müsste sich nicht ausbremsen lassen und bräuchte nicht fürchten, dass das Parlament bei den Brexit-Gesprächen im Detail mitreden wollte.

Ganz außen vor sollen die Volksvertreter zu einem späteren Zeitpunkt ohnehin nicht bleiben: May hat erklärt, dass der in Zukunft ausgehandelte, abgeschlossene Brexit-Vertrag den Kammern vorgelegt wird.

Ein reines „Ja“ oder „Nein“ zur Berufung der Regierung ist der Gerichtsentscheid dennoch nicht. Und damit könnte die Sache für May doch noch komplizierter werden. Denn den Richtern liegen auch Eingaben von Politikern aus Schottland, Wales und Nordirland auf dem Tisch, wo vielfach ein Mitspracherecht beim Brexit gefordert wird. Für alle drei Landesteile würde das Scheiden aus der Europäischen Union klare Veränderungen bei den Befugnissen innerhalb des Königreichs bedeuten. Vor allem Schottland ist mit dem Brexit nicht einverstanden. Wie in Nordirland stimmten die Menschen dort mehrheitlich für den Verbleib in der EU. In Nordirland selbst stehen außerdem erst einmal Wahlen an. Diese sind Anfang März - kurz vor Theresa Mays geplanter Vorlage des Scheidungsantrags in Brüssel.

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