Brexit und die Folgen Die Schlacht um England

Der britische Premier David Cameron erhöht sechs Wochen vor der Abstimmung über einen möglichen Brexit den Einsatz in der Debatte. Eine Wahlniederlage wäre ein politisches Erdbeben – für die gesamte EU.

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Der britische Premierminister David Cameron wirbt massiv für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. Doch der Ausgang des Referendums ist nach wie vor ungewiss. Quelle: AFP

London Es sind deutliche Worte. Großbritannien habe ein „fundamentales Interesse“, gemeinsame Ziele in Europa zu wahren, um Konflikte zwischen europäischen Ländern zu vermeiden, sagte Cameron am Montag in einer Rede im British Museum. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union sei für die Sicherheit Großbritanniens unverzichtbar. Gerade die EU habe dabei geholfen, Länder zu versöhnen „die sich jahrzehntelang gegenseitig an die Gurgel gegangen waren“.

Im Fall eines EU-Austritts sei Großbritanniens Sicherheit gefährdet, sogar neue Kriege könnten drohen, warnte Cameron. Sechs Wochen vor der wichtigen Abstimmung über einen möglichen Austritt des Landes aus der Europäischen Union verschärft der konservative Regierungschef damit deutlich die Tonlage in der Debatte. Doch auch seine Widersacher bringen sich in Stellung.

Die neue Schlacht um England. Befürworter und Gegner einer EU-Mitgliedschaft läuten mit den neuen Vorstößen endgültig die heiße Wahlkampfphase für das Brexit-Referendum ein. Nachdem bisher vor allem wirtschaftliche Aspekte bei den Befürwortern im Mittelpunkt standen, rückt der britische Premier nun jedoch Sicherheitsfragen mehr in den Fokus – und gibt der Entscheidung  mit der Warnung vor einem möglichen Krieg in Europa eine schicksalshafte Note.

So warnte Cameron, der die Kulisse des mit altertümlichen Relikten aus aller Welt gefüllten British Museums für seine Rede wählte, eindringlich vor Sicherheitsrisiken im Fall eines EU-Austritts. Angesichts eines aggressiven Russland und der Terrororganisation IS sei die Mitgliedschaft in der Europäischen Union unverzichtbar für die Sicherheit Großbritanniens, sagte Cameron.

Ausdrücklich bezog sich der konservative Spitzenpolitiker in seiner Rede auch auf den Weltkriegshelden und Premier Winston Churchill und legte nahe, dass dieser einen Brexit abgelehnt hätte. Im Jahr 1940 hätte Großbritannien einen „einsamen Kampf“ gegen Nazideutschland kämpfen müssen. „Isolationismus hat diesem Land niemals gutgetan.“ Das Land habe ein „fundamentales Interesse“, gemeinsame Ziele in Europa zu wahren, um Konflikte zwischen europäischen Ländern zu vermeiden. Das erfordere aber eine führende Rolle für Großbritannien – und die weitere Mitgliedschaft in der EU, sagte der Premier. Zwar habe die EU in den vergangenen 70 Jahren nicht allein den Frieden in Europa gesichert, so Cameron weiter. „Die Nato hat eine absolute Schlüsselrolle gespielt.“


Brexit hätte schwerwiegende Folgen

Doch der europäische Staatenbund habe dabei geholfen, Länder zu versöhnen, "die sich bekämpft und getötet haben". Zwei frühere britische Geheimdienstchefs hatten am Sonntag ähnliche Bedenken wie Cameron geäußert. Der ehemalige Generaldirektor des MI5, Jonathan Evans, und Ex-MI6-Chef John Sawers erklärten in einem gemeinsamen Interview in der „Sunday Times“, ein „Brexit“ könnte die britischen Möglichkeiten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus untergraben und den Frieden auf dem Kontinent gefährden.

Die harsche Reaktion der Brexit-Freunde ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Die europakritische Bewegung „Vote Leave“ bezeichnete Camerons Kommentare  als „historisch ungebildet“ und verwies darauf, dass die Nato eine viel größere Rolle für Frieden und Sicherheit spiele. „Die Vorstellung, dass der Frieden in Europa durch die europäischen Institutionen garantiert sei, war schon immer barer Unsinn“, sagte der Historiker Robert Cowcroft von der Universität Edinburgh.

Er gehört der EU-kritischen Gruppe „Historians for Britain“ an. Auch Boris Johnson, ehemaliger Bürgermeister Londons und prominentester Vertreter der Befürworter eines so genannten Brexit, griff in einer Rede am Montag erneut Brüssel an.

Das Hauptargument die EU zu verlassen, sei nicht ein ökonomisches, betonte er. Es gehe statt dessen um Politik und „ein politisches Projekt, das außer Kontrolle geraten“ sei. So würden die Verhandlungen über ein Freihandels-Abkommen mit den USA unnötig verzögert, weil Griechenland Sonderregeln für seine Feta-Käse fordere. „Feta-Käse sollte jedoch nicht ein britisches Handelsabkommen blockieren.“

Das Werben um die Stimmen der Briten gewinnt damit deutlich an Fahrt. Am 23. Juni wird Großbritannien in einem Referendum über seine Mitgliedschaft in der EU abstimmen – ein Votum für Leave könnte dabei schwerwiegende Folgen für Europa und Großbritannien selbst haben. Doch die Befürworter und Gegner eines Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union liefern sich weiterhin ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Für den Verbleib des Landes in der EU würden derzeit 42 Prozent der Wähler stimmen, zitierte die „Times“ am Montag aus einer Umfrage des Instituts YouGov für den Fernsehsender ITV. 40 Prozent würden sich demnach für den sogenannten Brexit entscheiden. Die britische BBC nannte das Votums Camerons „wichtigsten Kampf“. Sollte der Premier ihn verlieren, dürften allerdings nicht nur seine Tage als Regierungschef gezählt sein – sondern auch die EU vor einem politischen Erdbeben stehen.

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