Brief eines Griechen „Mir fehlt die Kraft, gegen diesen Wahnsinn zu kämpfen“

Er weiß nicht weiter, sorgt sich um seine Familie und sein Land: Ein Grieche schreibt in seinem Brief über seine Verzweiflung – und greift seine Regierung scharf an. Das Handelsblatt veröffentlicht den bewegenden Appell.

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In Griechenland und Deutschland aufgewachsen ringt der Autor um die Zukunft seines Landes.

Vor einigen Jahren ging der in Deutschland und Griechenland aufgewachsene M. A. zurück in seine Heimat, um sich dort eine Existenz als Anwalt aufzubauen. Mit seiner griechischen Ehefrau hat er einen kleinen Sohn. Aus einem am Donnerstag an seine Freunde gesandten Brief spricht große Sorge um die Zukunft seines Landes. Handelsblatt Online veröffentlicht den bewegenden Appell. Der Verfasser hat sich aber ausbedungen, anonym zu bleiben: „Sonst wird es gefährlich für mich und meine Familie.“

„Ich bin wirklich verzweifelt und weiß nicht mehr weiter. Ich habe gestern Nacht viele SMS an meine Freunde geschickt, um sie zu motivieren, zu den Pro-Europa-Demonstrationen zu gehen. Aber es scheint alles nichts zu helfen. Ich will wirklich kämpfen. Aber mir fehlt gerade die Kraft, gegen den Wahnsinn anzugehen.

Als Demokrat und Europäer, als Vater und Ehemann, als Mensch zwischen Kampfgeist und Verzweiflung – wie viele Menschen in diesem Land – erlebe ich, was gerade passiert. Es kommt mir vor wie ein nebulöser Traum. Aber es ist Wirklichkeit.

Wir gleiten mit einem hübsch lächelnden Regierungschef, der uns von frischer Luft und sonnigen Tagen erzählt und von kleinen Problemen, die bis kommende Woche mit absoluter Sicherheit überwunden sein würden, in die wirtschaftliche und gesellschaftliche Katastrophe.

Seine Minister können gar nicht aufhören, von sonnigen Tagen frei von Problemen zu sprechen. Es gebe überhaupt kein Problem, sagen viele sogar. Ohne mit der Wimper zu zucken, lügen sie uns ins Gesicht. Wenn ich die Menschen darauf anspreche, sagen einige: „Er ist doch unser Ministerpräsident. Soll ich denn den Fremden glauben?“

Andere werden sofort rabiat und beginnen jeden, der nicht der Regierungsmeinung folgt, als Germanozolias – als Deutschenhure – oder Vaterlandsverräter zu beschimpfen. Für viele reicht es dafür schon, wenn man ein kleines Schild nach einer Demonstration nach Hause trägt, auf dem „Greece belongs to Europe“ steht. Oder wenn Mitbürger ihre Sorge über die Situation ausdrücken und Angst um ihre Familien haben.

Sehr bald wird es nicht einmal mehr 20 Euro an den Geldautomaten geben – und dann gar nichts mehr. Außer ein kleines Lächeln seitens der Regierung.

Aber es sind ja nette demokratische Menschenfreunde, die all das tun. Diejenigen, die es wagen, sich ernsthafte Sorgen zu machen oder gar eine andere Ansicht haben, werden von den Fanatikern als Verräter beschimpft.
Wir taumeln mit unserem lächelnden, jungen und fotogenen Ministerpräsidenten in einen Abgrund jenseits meiner bisherigen Vorstellungskraft.


„Der sympathische Henker der Demokratie“

Die Demokratie kann sich offenbar nicht wehren, weil sie einen sympathischen Henker hat. Und Griechenland hat offenbar keine funktionierenden Mechanismen mehr, die eine westliche Demokratie schützen sollte.

All die harten Jahre der Arbeit bis in die Nacht. Alles scheint umsonst zu sein.

Wir waren mehr als 20.000 Bürger bei der letzten Pro-Europa-Demonstrationen und wir waren alle friedlich, aber präsent. Nur es scheint nichts zu helfen. Wir können den sympathischen Lächler scheinbar nicht aufhalten. Ihn und seine Minister, die selbst bei all diesen Szenen auf den Straßen Griechenlands nicht damit aufhören von den sonnigen Tagen mit frischem Wind zu sprechen.

Wir können sie scheinbar nicht davon abhalten, eine ganze Nation und ihre Menschen in den Abgrund zu stürzen.

Frau Merkel meint, wie ich lesen durfte, es sei alles kein Problem, all das gehe die Deutschen im Prinzip nichts mehr an. Wohl, weil die Märkte ruhig geblieben sind. Herr Schäuble erklärt, dass es eh keine Rolle spiele, wie wir abstimmen. Er spielt mit solchen Äußerungen unmittelbar den netten Heilsbringern in die Hände, die sich nicht schämen, mit Ultraorthodoxen und selbst mit der Goldenen Morgenröte (rechtsradikale Partei in Griechenland, Anmerkung der Redaktion) gemeinsame Sache zu machen. Dazu kommt noch eine Parlamentspräsidentin (Zoe Konstantopoulou, Anmerkung der Redaktion), die spricht, wie in den letzten Tagen vor dem Ermächtigungsgesetz.

Ich bin wirklich tief verzweifelt! Haben uns alle Freunde schon abgeschrieben. Wollen Sie uns loswerden? Hat es keinen Sinn mehr, für ein demokratisches Griechenland in Europa zu kämpfen?“

Einer von sehr vielen Menschen zwischen Hoffnung und Verzweiflung.

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