Bürgerkrieg Jemen wird zum Brutkasten für Cholera

Nicht nur der Krieg wütet im Jemen, auch die Krankheit Cholera: Experten schätzen, dass jeder 120. Bürger an dem Brechdurchfall erkrankt sein könnte. UN-Helfer tun, was sie können. Aber ihre Möglichkeiten sind begrenzt.

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Ein jemenitischer Junge mit Verdacht auf Cholera wird in einem Zelt in einem Krankenhaus in Sanaa behandelt. Die Cholera-Epidemie im Bürgerkriegsland Jemen ist nach Angaben der Hilfsorganisation Oxfam schlimmer als jeder andere bekannte Ausbruch der Krankheit. Quelle: dpa

Sanaa Manche schaffen es kaum ins Gesundheitszentrum, in dem Ärzte auch im Hinterhof Patienten behandeln und Bäume benutzen, um Infusionsbeutel aufzuhängen. An Cholera Erkrankte brechen auf dem Weg dorthin oft zusammen, müssen sich ständig übergeben. Hunderte strömen derzeit aus der verarmten Stadt Bani Haidan im nördlichen Jemen in das Zentrum, weil sie Symptome der verheerenden Krankheit haben. Schon Stunden nach der Infektion lösen Erbrechen und Durchfall eine so schwere Dehydrierung aus, dass der Tod eintreten kann, wenn nicht rasch Hilfe geleistet wird.

In Jemen wütet seit Jahren ein Bürgerkrieg, der das Land in einen Brutkasten für Cholera verwandelt hat. Die einfachen Sanitäranlagen setzen die Bürger der Gefahr aus, mit Fäkalien verseuchtes Wasser zu trinken. Brunnen sind durch den Abfluss von Regenwasser verschmutzt, das vorher auf Müllberge gefallen ist, die oft wochenlang nicht beseitigt werden. Oftmals sind auch die Bewässerungssysteme für Ackerflächen völlig verunreinigt. Und medizinische Hilfe erfolgt häufig erst spät, weil die Hälfte der Gesundheitszentren im Land außer Betrieb ist und die Mitarbeiter nicht bezahlt werden.

In den vergangenen sieben Jahren hat Cholera in Haiti mehr als 9.000 Menschen das Leben gekostet - doch es ist der Jemen, der den jemals in einem Jahr in einem Land registrierten schwersten Ausbruch erlebt hat. Die Vereinten Nationen und internationale Hilfsorganisationen zeigen sich angesichts der schnellen und heftigen Cholera-Ausbreitung schockiert. Jemen sei ein „Paradies“ für die Krankheit, formuliert es George Churi von der UN-Behörde für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten im Jemen ganz drastisch.

Nach Ansicht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz könnte jeder 120. Einwohner des Landes an Cholera erkrankt sein. Seit Ende April sind etwa 2.000 Menschen an der Krankheit gestorben. Jeden Tag infizieren sich ungefähr 5000 Menschen - und bei mehr als 450.000 weiteren wird vermutet, dass sie die Krankheit haben könnten, sagt die Weltgesundheitsorganisation. Die meisten Menschen, die dem Bakterium Vibrio Cholerae ausgesetzt sind, werden nicht krank; nur einer von zehn Infizierten entwickelt Symptome. Die meisten Fälle können mit einer einfachen Lösung oder Infusion zur Rehydrierung behandelt werden.


Warnsysteme haben versagt

UN-Manager Churi räumt ein, dass seine Behörde von der rapiden Ausbreitung überrascht war und die Gelegenheit verpasst hat, das Problem im frühen Stadium unter Kontrolle zu bringen. Wie sie hatten auch Regierungsstellen anfangs gedacht, dass der Ausbruch nach einer leichten Krankheitswelle ab Oktober 2016 bald vorbei sei. Aber die Krankheit kehrte Ende April mit voller Wucht zurück. Churi führt dies hauptsächlich auf das Versagen eines landesweiten Epidemie-Warnsystems zurück, das unter anderem dazu da sei, frühzeitig Fälle aufzuspüren.

Im Bürgerkrieg stehen sich eine von Saudi-Arabien geführte Koalition, die die international anerkannte Regierung des Landes unterstützt, und schiitische Huthi-Rebellen gegenüber. Ein Streit zwischen Regierung und Huthis über finanzielle Einnahmen hat dazu geführt, dass etwa eine Million Staatsbedienstete seit September vergangenen Jahres nicht mehr bezahlt worden sind, darunter fallen auch 30.000 medizinische Mitarbeiter.

Rima al-Jussefi, die Leiterin des Epidemie-Warnsystems, verteidigt indes ihre Behörde. Die Angestellten arbeiteten rund um die Uhr und ohne Entgelt, sagte sie. „Es gibt kein Budget (...) es fehlt an allen Ecken und Enden.“ Al-Jussefis Behörde ist nur eine von vielen im Jemen, die ohne internationale Hilfe kaum noch funktionsfähig sind. Obwohl die Vereinten Nationen die internationale Gemeinschaft um umgerechnet 1,8 Milliarden Euro an Hilfsmitteln gebeten haben, sind bisher lediglich 44 Prozent der nötigen Aufwendungen finanziell abgedeckt.

In der Stadt Kohlan al-Scharaf, nicht weit von Bani Haidan entfernt, dient eine Schule als provisorisches Gesundheitszentrum. Die benachbarten Einrichtungen sind überfüllt. Ärzte schildern, dass sie seit Monaten nicht bezahlt worden sind und einige den Schmuck ihrer Frauen verpfändet haben, um sauberes Wasser zu kaufen. Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden haben sich in manchen Fällen Geld leihen müssen, um ihre Telefone aufzuladen.

Der Bürgerkrieg hat bisher 10.000 Zivilisten getötet und eine Hungersnot in Teilen des Landes ausgelöst. 17 Millionen Menschen haben laut UN-Statistik nicht genug Lebensmittel. 2,2 Millionen Kinder sind akut mangelernährt. Ungefähr 14,5 Millionen Einwohnern haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Die Gefahr, an Cholera zu sterben, steigt, wenn ein Patient bereits an Mangelernährung oder anderen Gesundheitsproblemen leidet.

Im vergangenen Monat haben UN-Stellen die Auslieferung von einer Million Dosen Impfstoff abgeblasen: Es sei zu spät für eine Präventivmaßnahme, sagten sie. Außerdem habe man sich gesorgt, dass die ungleiche Verteilung in Gebieten, die zum Teil von den Huthis und zum Teil von der Regierung kontrolliert werden, den Konflikt noch anheizen könnte.

Die UN haben mehr als 1.000 Behandlungszentren im Jemen eingerichtet. Die meisten infizierten Menschen, die dorthin gelangen und Hilfe bekommen, überleben zwar. Dennoch bleibt das Geschäft schwierig: Es wird versucht, den medizinischen Mitarbeitern ein Gehalt zu zahlen. Und Tausende Freiwillige helfen - gehen von Haus zu Haus und klären über Schutzmaßnahmen gegen Cholera auf.

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