Bundeskanzlerin in China Angela Merkel auf Krisenbesuch

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist mit ihrem halben Kabinett zu Regierungskonsultationen nach China gereist. Ein schwieriger Zeitpunkt: Lange gab es nicht mehr so viele Konfliktpunkte zwischen den beiden Partnern.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Regierungskonsultationen in Peking. Quelle: dpa

Chancen und Herausforderungen deutscher Unternehmen in Zeiten einer wirtschaftlicher Neuausrichtung Chinas. Unter diesem Motto standen die vierten Regierungskonsultationen zwischen Deutschland und China, die heute mit einer Reise zu einem BMW-Werk im Norden Chinas zu Ende gehen.

Übernahmen chinesischer Firmen in Deutschland

Das Motto klingt gut. Es kann aber kaum darüber hinwegtäuschen, dass es in China für deutsche Unternehmen in jüngster Zeit weniger um Chancen geht, sondern vor allem um Herausforderungen. Der Besuch diese Woche in China ist bereits der neunte Besuch der Kanzlerin bei Deutschlands wichtigstem Handelspartner in Asien. Gemeinsam mit sechs Ministern, darunter Finanzminister Wolfgang Schäuble, absolviert Merkel noch bis Dienstag ein eng getaktetes Programm. Bilaterale Gespräche mit den chinesischen Amtskollegen inklusive.

Deutschland ist das einzige Land, mit dem die chinesische Regierung überhaupt Regierungskonsultationen pflegt. Dementsprechend wertvoll ist der Bundesregierung der regelmäßige Austausch, zu dem Merkel dieses Mal ihr halbes Kabinett mitgenommen hat. Doch lange gab es nicht mehr so viele Konfliktpunkte zwischen den beiden Partnern. Mangelnder Marktzugang, Protektionismus, die chinesische Überproduktion und der Konflikt im Südchinesischen Meer belasten das Verhältnis. Vor allem im Angesicht chinesischer Kaufwut in Europa, die jüngst in der geplanten Investition in den Roboterhersteller Kuka gipfelte, fordern viele Unternehmen mehr Gleichberechtigung in China und klarere Worte aus Berlin.

Chinas Wirtschaft befindet sich in einer Phase der Transformation. Während Peking immer noch davon träumt, zwischen 2010 und 2020 das Bruttoinlandsprodukt und das Pro-Kopf-Einkommen des Landes zu verdoppeln, schwächelt die heimische Wirtschaft. Will das Land das Ziel überhaupt noch erreichen, muss es bis 2020 stetig um mindestens 6,5 Prozent pro Jahr wachsen. Im vergangenen Jahr lag das Wirtschaftswachstum zwar bei 6,7 Prozent, viele Experten gehen aber davon aus, dass das tatsächliche Wachstum weit darunter liegen könnte.

Nun will sich das Land von einer exportgetriebenen Wirtschaft mit hohen Kapazitäten in der Industrie zu einem konsumgetriebenen Modell entwickeln. Lange Zeit wurde das Wirtschaftswachstum vor allem durch billiges Geld und Investitionen in die Infrastruktur und den Wohnungsbau vorangetrieben. Mit steigenden Löhnen und sinkender Nachfrage reicht das aber nicht mehr. Unter dem Schlagwort "Made in China 2025" eifert das Land nun dem deutschen Wirtschaftsprogramm Industrie 4.0 nach. Zukünftig sollen vor allem Innovation und Hightech Motor der chinesischen Wirtschaft werden.

Deutsche sehen China als Bedrohung
Wirtschaftsmacht37 Prozent der befragten Deutschen assoziieren mit China vor allem eine starke Wirtschaftsmacht. Faszination und Angst polarisieren hierzulande die Bevölkerung im Bezug auf Chinas ökonomische Stärke. Das Land wird als Schlüsselrolle für die eigene und internationale Entwicklung gesehen und 57 Prozent der Befragten beurteilen die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen sogar als wichtiger als die zu den USA. Gleichzeitig geht mit dem Wirtschaftsboom Chinas aber auch die Angst einher, chinesische Unternehmen könnten deutsche Firmen von den internationalen Märkten verdrängen. 59 Prozent der Deutschen empfinden Chinas starke Wirtschaft daher als Bedrohung. Quelle: dpa/dpaweb
BevölkerungswachstumBabyboom und Bevölkerungswachstum, daran denken 20 Prozent der Deutschen, wenn sie das Stichwort China hören. Derzeit leben 1,35 Milliarden Menschen in China, die Bevölkerungsdichte beträgt 143 Einwohner pro Quadratkilometer. Doch die Bevölkerung wird noch weiter wachsen, um 0,6 Prozent pro Jahr. Für 2032 rechnen Statistiken mit 1,467 Milliarden Menschen in China, bei einer gleichbleibenden Fertilitätsrate von 1,7 Kindern pro Frau. Viele Deutsche sehen das auch als Bedrohung an. Quelle: REUTERS
Kommunismus15 Prozent fällt spontan der Kommunismus ein, wenn sie an China denken. Während China im ökonomischen Bereich erfolgreich in den internationalen Handel eingebettet wurde und sich für ausländische Investoren geöffnet hat, ist das Land politisch in den Augen der Deutschen weiterhin ein diktatorisches Ein-Parteien-System unter Führung der Kommunistischen Partei. Die ist mit etwa 78 Millionen Mitglieder nicht nur die größte kommunistische Partei der Welt, sondern auch die mitgliederstärkste Partei allgemein. Deutsche verbinden mit ihr ein vornehmlich negatives Bild. Quelle: REUTERS
Chinesische MauerMan kennt sie aus Reiseprospekten und gefühlt jedes zweite China-Restaurant ist nach ihr benannt. Nicht weiter verwunderlich also, dass 15 Prozent der Befragten mit China die Chinesische Mauer assoziieren. Sie gilt als Weltkulturerbe und erstreckt sich über 21.196 Kilometer. Früher sollte die Mauer vor allem zum Schutz vor Völkern aus dem Norden dienen, heute ist sie eine der meistbesuchten Touristenattraktionen Chinas und lockt Reisende aus aller Welt an. 36 Prozent der Befragten haben daher sehr großes oder großes Interesse an China als Reiseland. Quelle: dpa
Chinesisches EssenPeking-Ente, Reis süß-sauer - und das alles mit Stäbchen: 14 Prozent der befragten Deutschen denken beim Stichwort China an chinesisches Essen. Was Viele aber nicht wissen: Chinesisches Essen ist nicht gleich chinesisches Essen. Die meisten der 23 Provinzen Chinas haben ihre eigene Regionalküche. Zu den populärsten gehört die würzige Küche aus Sichuan, die gerne Sojasauce, Ingwer und Frühlingszwiebeln verwendet, die scharfe Xiang-Küche aus Hunan und die kantonesische Yue-Küche, die vor allem durch die Verwendung ungewöhnlicher Zutaten wie Hundefleisch bekannt geworden ist. Übrigens: Die Peking-Ente ist das berühmteste Gericht der chinesischen Küche. Quelle: REUTERS
MenschenrechtsmissachtungEbenfalls 14 Prozent fallen zu China Menschenrechtsverletzungen ein. Auf die Frage, wo sie das Land gegenwärtig und in 15 Jahren beim Schutz der Menschenrechte sehen, ordneten 60 Prozent der Befragten die Volksrepublik in die Schlussgruppe ein, nur 1 Prozent sieht China als Spitzengruppe in Bezug auf Menschenrechte. Auch das Bild Chinas als ein Rechtsstaat stößt auf wenig Zustimmung bei den Deutschen. 49 Prozent stimmten der Aussagen gar nicht zur, nur 1 Prozent sieht China als Rechtsstaat an. 80 Prozent der befragten Bevölkerung geht außerdem davon aus, dass in China kaum oder keine Debatten über politische Themen geführt werden. Quelle: dpa
Diebstahl von Ideen12 Prozent denken, China spioniere deutsche Unternehmen aus und verkaufe die Ideen aus dem Westen als eigene. Nachgebaute Ware aus China, oft zum Spottpreis, macht deutschen Unternehmen das Leben schwer. Auch das Markenimage chinesischer Produkte ist bei den befragten Deutschen schlecht. So assoziieren viele Konsumenten in Deutschland chinesische Produkte mit einfache, technisch wenig anspruchsvolle Billigware. Quelle: dpa

Viele Unternehmen und Verbände klagen aber, dass Peking diese Transformation mit unfairen Mitteln stützt. So auch Alexandra Voss, Leiterin der Außenhandelskammer in Peking. „Es liegt auf der Hand, dass Deutschland und China ihre Zusammenarbeit im Bereich Industrie 4.0 weiter ausbauen wollen“, so Voss. Wichtig sei dabei vor allem aber die Arbeit an gemeinsamen Standards und Normen sowie gleichzeitig Themen wie IT-Sicherheit, Datenschutz und Schutz geistigen Eigentums anzusprechen. „Eine erfolgreiche Zusammenarbeit kann nur gelingen, wenn es gemeinsame technische Standards und ähnliche IT-Architekturen gibt, Geschäftsgeheimnisse gewahrt werden und kein Wissen des Unternehmens unkontrolliert abfließen kann.“

In China sind mehr Reformen vonnöten

Hierzu gehörten auch konkrete Anliegen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für deutsche Unternehmen in China, wie eine weitere Marktöffnung und ein fairer Wettbewerb. Die chinesische Regierung habe zwar die Durchführung von Strukturreformen in der Vergangenheit mehrfach angekündigt, „erforderlichen Reformen sollte nun im Rahmen der wirtschaftlichen Neuausrichtung auch politische Priorität verliehen werden“, sagt Voss. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten könne China so die Chance nutzen, durch weitere Reformschritte klare Zeichen zu setzen.

Was Chinesen über Deutsche denken
WirtschaftsmachtDeutsche sehen in China eine aufstrebende Wirtschaftsmacht – offenbar ist das jedoch auch andersherum der Fall. 60 Prozent der Chinesen assoziieren mit Deutschland ein wirtschaftlich starkes Land. 62 Prozent haben großes Interesse an deutschen Produkten und Marken. Auch politisch steht Deutschland in China gut da, 57 Prozent der Befragten nehmen das internationale politische Engagement Deutschlands als positiv wahr.  Im Gegensatz zu den Befragungsergebnissen hierzulande wird die wirtschaftliche Stärke Deutschlands in China nicht mit Sorge wahrgenommen. Quelle: dpa
Automobilindustrie38 Prozent der Chinesen denken beim Stichwort Deutschland an die Automobilindustrie. 86 Prozent ist Volkswagen als Marke bekannt, 85 Prozent kennen BMW. So kommt es, dass deutsche Exporte nach China vor allem aus den Bereichen des Maschinenbau und der Automobilindustrie kommen, während China vor allem Elektronik und Textilien nach Deutschland exportiert. Quelle: dpa
BierWas für uns die Peking-Ente ist, ist für Chinesen das deutsche Bier. 19 Prozent der Befragten fällt als erstes ein kühles Weizen oder ein dunkles Altbier ein, wenn sie an Deutschland denken. Ob es daran liegt, dass 45 Prozent der Chinesen sich vorstellen könnten, in Deutschland zu leben? Quelle: dpa
Industrie/Technologie19 Prozent der Chinesen assoziieren mit Deutschland eine fortschrittliche Technologie. Innovation und technischer Fortschritt sind Schlüsselbegriffe, die mit Deutschland in Verbindung gebracht werden. 83 Prozent der Chinesen halten deutsche Technologieprodukte für international wettbewerbsfähig, 87 Prozent trauen Deutschland die Herstellung von Hightechprodukten zu. Das chinesische Deutschlandbild ist somit um ein Vielfaches positiver als umgekehrt die Wahrnehmung der Volksrepublik China durch Deutschland. Quelle: dpa
CharaktereigenschaftenSpezielle Charaktereigenschaften wie Höflichkeit oder Pünktlichkeit sind gängige Klischees, die in anderen Ländern über Deutschland existieren – offenbar auch in China. Hier fallen 12 Prozent der Befragten beim Thema Deutschland bestimmte Charaktereigenschaften ein. Vor allem Höflichkeit macht das Rennen. 81 Prozent der Chinesen glauben, dass die in Deutschland die größte Rolle spielt. An zweiter Stelle kommt die Familie, die dritte Charaktereigenschaft, die Chinesen mit Deutschland verbinden, ist der Respekt gegenüber dem Alter. Quelle: AP
Deutsche Produkte11 Prozent der befragten Bevölkerung assoziieren mit Deutschland qualitativ hochwertige deutsche Produkte. Als erstes fällt Chinesen dabei oft die Firma Siemens ein, die das bekannteste deutsche Unternehmen in China ist. Generell glauben Chinesen, dass sich deutsche Investitionen auch auf dem chinesischen Arbeitsmarkt als positiv auswirken könnten. Deutschland gilt daher innerhalb Europas als wichtigster chinesischer Handelspartner. Die Huawei-Studie zeigt auch, dass die Zustimmung zu deutschen Produkten sich nach einem Deutschlandbesuch noch einmal deutlich steigert. Quelle: dpa
Natur und UmweltDeutschland als Naturparadies, so sehen zehn Prozent der Befragten unser Land. 63 Prozent haben daher sehr großes Interesse an Deutschland als Reiseland. Auch auf das Bild der Chinesen von der deutschen Umwelt- und Klimaschutzpolitik wirkt sich das aus. 42 Prozent der Befragten glauben, dass Deutschland in dem Bereich  weltweit zur Spitzengruppe gehört. Umgekehrt glaubt das nur 1 Prozent der Deutschen von China. Quelle: dpa

Auch die Europäische Handelskammer klagt über den Rückwärtskurs der Chinesen. Ausländische Unternehmen in China seien zunehmend pessimistisch, heißt es in den Ergebnissen einer aktuellen Umfrage unter ihren Mitgliedern. „Die Lage für ausländische Firmen in China ist aktuell sehr schwierig“, sagt Mick Adams, Vizepräsident der Europäischen Handelskammer. Viele Unternehmen wachsen zwar, aber es sei zunehmend schwer, profitabel zu sein. Das gelte vor allem für große Unternehmen, die schon seit sehr langer Zeit in China sind. Viele von ihnen sind vor allem im herstellenden Gewerbe und in der Industrie aktiv. „Der Druck für diese Firmen ist enorm“, sagt Adams. Auch er verweist auf die Reformmüdigkeit Pekings. Denn trotz vieler Versprechen der Zentralregierung gingen diese nur stockend voran.

Er warnt auch vor den Negativfolgen für China. Denn viele Unternehmen hielten sich aktuell mit Investitionen zurück, reduzierten Kosten und Personal sowie Ausgaben in der Forschung und Entwicklung. „Das wird sich nur ändern, wenn die chinesische Regierung handelt und die dringend notwendigen Reformen tatsächlich umsetzt.“

Bei der Pressekonferenz im Anschluss an die Regierungskonsultationen gaben sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Li Keqiang am Montag betont harmonisch. Deutschland und China wollen sich weiter aufeinander zu bewegen. Die Streitigkeiten würden nur einen kleinen Teil der Beziehungen ausmachen, hieß es.

Merkel kam dabei aber auch auf die entsprechenden Kritikpunkte zu sprechen: Rechtssicherheit und Gleichbehandlung seien für die deutsche Wirtschaft in China ein Muss. Deutsche Unternehmen bräuchten zudem einen besseren Marktzugang. Nicht zuletzt, weil Deutschland sich aktuell selbst als einen offenen Investitionsstandort für chinesische Unternehmen zeige. „Wir erwarten Reziprozität auch auf chinesischer Seite“, so die Kanzlerin.

Gleichzeitig zeigte sich Merkel aber auch bereit, sich für den Status Chinas als eine Marktwirtschaft einzusetzen. China wurde beim Beitritt zur WTO 2001 versprochen, nach 15 Jahren den Status einer Marktwirtschaft zu erhalten. Eine Anerkennung würde es innerhalb der EU beispielsweise schwieriger machen, beispielsweise Schutzzölle zu verhängen. Gleichzeitig verwies die Bundeskanzlerin aber auch darauf, dass es Ausnahmen geben müsse, beispielsweise in der Stahlindustrie. In diesem Bereich hat China in den vergangenen Jahren gewaltige Überkapazitäten aufgebaut.

Li widersprach dieser Forderung. China hätte die Zusage damals bekommen, zu diesem Versprechen müsse man nun auch stehen. Zwar räumte Li die Drohung aus, einen Handelskrieg mit der EU im Fall eines Negativvotums führen zu wollen. Dies hatte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua zuletzt verkündet. Trotzdem ist dieser Streitpunkt noch längst nicht ausgeräumt. Die Entscheidung steht im Dezember an.

Im Zuge der Regierungskonsultationen schlossen die beiden Länder 24 neue Wirtschaftsverträge mit einem Volumen von 2,73 Milliarden Euro ab. Heute ist die Bundeskanzlerin noch in Shenyang im Nordosten des Landes, wo BMW Anfang des Jahres ein weiteres Autowerk eröffnet hat.

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