Bundesregierung Offenbar weitere Abschiebung nach Afghanistan geplant

Seit dem heftigen Anschlag mit einer Lastwagenbombe in Kabul will die Bundesregierung vorerst nur noch in bestimmten Fällen in das Land abschieben. Nächste Woche soll wieder ein Flug starten.

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Wie auf diesem Bild werden abgelehnte Asylbewerber mit Flugzeugen nach Afghanistan gebracht. Diese Praxis ist aufgrund der angespannten Sicherheitslage in dem zentralasiatischen Land höchst umstritten. Quelle: dpa

Berlin Ungeachtet der Krisenlage in Afghanistan könnte in der kommenden Woche erneut ein sogenannter Abschiebeflug in Richtung Kabul starten. Nach übereinstimmenden Berichten von NDR und „Spiegel Online“ aus der Nacht zum Donnerstag sollten am nächsten Mittwoch abgelehnte Asylbewerber – in diesem Fall Straftäter, Gefährder und Menschen, die ihre Identität nicht verraten – von Leipzig nach Afghanistan geflogen werden. Eine offizielle Bestätigung der Behörden dazu gab es zunächst nicht.

Nach einem Terroranschlag mit um die 150 Toten in Kabul hatte die Bundesregierung Anfang Juni vereinbart, bis zu einer neuen Lageeinschätzung abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan nur noch in bestimmten Fällen zurückzuschicken – nämlich wenn sie Straftäter oder sogenannte Gefährder sind, also Menschen, denen Sicherheitsbehörden einen Terrorakt zutrauen. Das Gleiche gelte für Menschen, die „hartnäckig ihre Mitarbeit an der Identitätsfeststellung“ verweigerten. Linke, Grüne, Menschenrechtsgruppen, aber auch einige Sozialdemokraten fordern hingegen, Abschiebungen in das Land ausnahmslos zu stoppen.

„Es ist unfassbar und unerträglich, dass entgegen aller Fakten der nächste Flieger starten soll“, sagte der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt. Das Auswärtige Amt müsse zunächst den neuen Lagebericht zu Afghanistan vorlegen, „bevor Fakten geschaffen und Menschen in eine lebensgefährdende Situation abgeschoben werden“. Der aktuelle Beschluss der Bundesregierung lasse viel Interpretationsspielraum für weitere Abschiebungen. Schutzsuchenden ohne Pass könne etwa pauschal unterstellt werden, ihre Identität zu verbergen.

Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter forderte: „Die Bundesregierung darf die Sicherheitslage in Afghanistan nicht länger verharmlosen und muss einen neuen Lagebericht vorlegen, der die Realität widerspiegelt.“ Der Linken-Fraktionsvize Jan Korte erklärte: „Afghanistan ist nicht sicher. Nirgendwo. Dass Union und SPD ganz bewusst auf dem Wahlkampfaltar Menschenleben opfern ist ein Skandal.“


Sicherheitslage hat sich stark verschlechtert

Der Terror in dem Land geht unterdessen weiter. Bei einem Autobombenanschlag auf eine Bank in der umkämpften südafghanischen Provinz Helmand sind am Donnerstag mindestens 36 Menschen getötet und 59 verletzt worden. Das sagte der Polizeichef der Provinz. Unter den Opfern seien Lehrer, Soldaten und Polizisten.

Die jüngsten Kämpfe und Anschläge in Afghanistan könnten nach Einschätzung der Vereinten Nationen der Auftakt zu einer „noch viel schlimmeren und fragileren Periode“ am Hindukusch sein.

Von März bis Mai hätten die UN mehr als 6200 „Sicherheitsvorfälle“ wie Kämpfe und Minenexplosionen registriert, heißt es im jüngsten Dreimonatsbericht an den UN-Sicherheitsrat zu Afghanistan. Am stärksten habe die Gewalt im Osten und Süden zugenommen.

Die Sicherheitslage hat sich in Afghanistan seit dem Abzug der meisten internationalen Truppen Ende 2014 stark verschlechtert. Die radikal-islamischen Taliban kontrollieren mittlerweile nach US-Militärangaben rund elf Prozent des Landes. Knapp 30 Prozent sind umkämpft. Seit Anfang 2016 sind mehr als 760.000 Zivilisten vor der Gewalt aus ihren Dörfern geflohen.

Obwohl die Bundesregierung die Sicherheitslage in Afghanistan derzeit neu bewertet, laufen die Asylverfahren für Menschen aus dem Land weitestgehend unverändert weiter.

Das geht aus einer Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Linken hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. „Die Asylverfahren von afghanischen Staatsangehörigen werden weiter bearbeitet“, heißt es darin. Erst wenn das Außenamt eine neue Lagebewertung vorlege, würden die Leitsätze des Bundesflüchtlingsamts entsprechend überarbeitet.

Die innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Ulla Jelpke, verlangte: „Bis zur Vorlage einer neuen, realistischen Lageeinschätzung darf es keine Ablehnungen afghanischer Asylsuchender mehr geben.“

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