Ceta-Entscheidung Respekt vor den weitreichenden Konsequenzen

Erst die EZB-Rettungspolitik, nun das Ceta-Verfahren: Das Bundesverfassungsgericht lotet erneut die Befugnisse der EU aus. Eine erste Entscheidung zum Freihandel zeugt vom Problembewusstsein der Richter. Ein Kommentar.

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Das Bundesverfassungsgerichts hat am Donnerstag mehrere Eilanträge gegen eine Zustimmung Deutschlands zum Freihandelsabkommen Ceta abgelehnt. Quelle: dpa

Berlin Die deutsche Wirtschaft kann aufatmen. Der Weg für das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta ist frei. Mit seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht zwar einmal mehr deutlich gemacht, dass es durchaus das letzte Wort sprechen möchte, auch wenn es um internationale Verträge der Europäischen Union geht. Das Vorgehen, das Vertragswerk unter Auflagen zu billigen, zeigt jedoch: Die Karlsruher Richter sind sich sehr wohl bewusst, in welcher schwierigen Rolle ein nationales Gericht angesichts von EU-Rechtsakten steckt. Kann das höchste deutsche Gericht wirklich blockieren, was alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union betrifft?

Insofern war es weise von den Verfassungshütern, die von fast 200.000 Bürgern unterstützten Eilanträge zum sofortigen Stopp des Abkommens wegen möglicher Verstöße gegen das Grundgesetz zurückzuweisen. Zu Recht verwies Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle auf die negativen und irreversiblen Auswirkungen eines solchen Erlasses nicht nur für Deutschland, sondern auch für die internationale Stellung der Europäischen Union.

Allerdings war es auch wichtig, der Bundesregierung Auflagen zu machen, um sicherzugehen, dass Deutschland einen Ceta-Rückzieher machen kann, falls ein späteres Urteil aus Karlsruhe das nötig machen sollte. Nun muss die Bundesregierung sicherstellen, dass nur die Bereiche von Ceta vorläufig angewendet werden, die unstreitig in der Zuständigkeit der EU liegen.

Richtig war es auch, eine demokratische Rückbindung der im „Gemischten Ceta-Ausschuss“ gefassten Beschlüsse einzufordern, schließlich sitzen dort nicht zwingend deutsche Vertreter. Gleiches gilt für die Vorgabe, eine völkerrechtlich verbindliche Erklärung abgeben zu müssen, dass die vorläufige Anwendung von Ceta durch Deutschland einseitig beendet werden kann.

Denn eines machten die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts deutlich: Das letzte Wort zu Ceta ist noch nicht gesprochen. Es ist bezeichnend, dass die Karlsruher Richter durchaus Bestimmungen im Vertragswerkt von EU und Kanada entdecken, die als „Ultra-vires-Akt“ qualifiziert werden könnten, also als Kompetenzüberschreitung der EU. Auch eine Berührung der „Verfassungsidentität“ halten die Richter nicht für ausgeschlossen. Hier geht es um den „unantastbaren Kerngehalt“ des Grundgesetzes. Das alles wird nun im Hauptsacheverfahren von den Richtern zu prüfen sein.

Somit gesellt sich der Ceta-Beschluss zum Karlsruher Maastricht-Urteil, der Entscheidung zum Vertrag von Lissabon, dem Rettungsschirm-Verfahren oder der Rechtsprechung zur Rettungspolitik der EZB. Letztlich geht es dabei um die Frage, wie weit die Bindungswirkung Karlsruher Urteile reichen kann. Grundsätzlich müsste sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit EU-Rechtsakten befassen. Die Ceta-Entscheidung zeigt: Die deutschen Verfassungshüter mühen sich, hier ihre Rolle zu finden.

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