Chaos in Venezuela Caracas brennt, der Präsident tanzt

Droht Bürgerkrieg im einst so reichen Venezuela? Tränengas, Schüsse, ein Panzerwagen überfährt einen Demonstranten. Ein guter Kenner des Machtapparats warnt davor, Präsident Maduro zu unterschätzen.

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Die blutigen Proteste gegen Präsident Maduro, bei denen bisher mehr als 30 Menschen starben, gehen weiter. Quelle: dpa

Caracas Nicolás Maduro lässt sich neuerdings gerne dabei filmen, wie er mit seinem Auto durch Caracas kurvt. „Da, meine Arbeitskollegen“, sagt Venezuelas Präsident, als es an einer Busstation vorbeigeht – er war früher Busfahrer. Dann schimpft er am Steuer über diese „Terroristen der Opposition“. Ansonsten ist seine Welt ganz in Ordnung. Der Höhepunkt in dieser Woche: Er tanzt im Staatsfernsehen fröhlich zu Salsaklängen, während draußen seine Polizei Tränengas auf Demonstranten schießt.

Ein entsprechendes Video, das vom Fernseher auf die Straße schwenkt, sorgt für viel Wut. Von Diktatur, von der Banalität des Bösen ist in sozialen Netzwerken die Rede. Zumal wenig später noch ein Panzerwagen mitten in eine Menge hineinfährt und junge Menschen überrollt. Es gibt mehrere Schwerverletzte. Die Protestler hatten zuvor Molotowcocktails geworfen und so den Panzerwagen in Brand gesteckt.

Das ölreichste Land der Welt versinkt im Chaos. Millionen haben diese Variante eines südamerikanischen Sozialismus satt, den Mangel an Lebensmitteln und Medizin. Sie glauben Maduro schon lange nicht mehr, dass nur der niedrige Ölpreis schuld sei. Es gibt viele Berichte über Bereicherungen und Verwicklungen hoher Amtsträger in Kokaingeschäfte.

Der Blutzoll seit Ausbruch der Proteste im April: 33 Tote. Hinzu kommen rund 1000 Verletzte und über 1300 Festnahmen. Der Mann mit dem markanten schwarzen Schnauzer versteht es, Parallelwelten zu erzeugen, abzulenken.

Als seine bisher größte Blendgranate sieht die Opposition den Versuch, eine Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Da viele Mitglieder aus sozialen Bewegungen und Gewerkschaften kommen sollen, die den Sozialisten nahestehen, befürchten nicht wenige den Umbau zu einer Diktatur. Zumal Maduro das Parlament, in dem die Opposition die Mehrheit hält, in seiner jetzigen Form als „armselig“ bezeichnet.

Der Präsident lässt 500.000 Milizen bewaffnen, „Colectivos“ genannte Motorradbanden attackieren Demonstranten, oft wird scharf geschossen. „Sie wissen nicht, was wir in der Lage sind zu tun“, warnte Maduro zuletzt. Neuwahlen lehnt er ab.

Wie fest sitzt er noch im Sattel? Treffen mit Nicmer Evans in Caracas. Er war in leitender Funktion im Bildungsministerium tätig, ein profunder Kenner des Machtapparats. Er hat mit Maduro gebrochen und ist heute der Kopf der Bewegung „Marea Socialista“, die einen neuen Weg der Mitte einschlagen, das Gute des Chavismo, des von Hugo Chávez begründeten Projekts eines „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ bewahren will. „Laut einer Umfrage sind 57 Prozent weder für die Chavistas noch für den MUD“, sagt Evans. MUD, das steht für „Mesa de Unidad Democratica“, das konservativ-liberale Oppositionsbündnis, das seit Wochen gegen Maduro auf die Straße geht.


Warum Maduro fest im Sattel sitzt

Evans fordert, dass nicht nur die beiden verfeindeten Lager in einen Dialog eintreten müssten, sondern dass eine Art Volksversammlung her müsse, auch mit allen gemäßigten Stimmen, um eine Lösung zu finden. „99 Prozent demonstrieren nicht“, sagt der 41-Jährige. Auch weil viele den ganzen Tag beschäftigt seien, irgendwo noch Lebensmittel zu bekommen. Wegen der massiven Geldentwertung, dem Einbruch der Öleinnahmen und der Bedienung der Auslandsschulden wird immer weniger eingeführt - der Staat hat dafür kein Geld mehr. Sogar das Mehl für Brot fehlt.

Ein Irrglaube aus Evans' Sicht, dass Maduro vor dem Sturz stehe. Er sitze fest im Sattel. „Auch weil er der Garant dafür ist, dass die Auslandsschulden bedient werden.“ Denn viele Parteigänger haben große Summen in Papiere des Staatskonzerns Petróleos de Venezuela (PDVSA) investiert - bei einer Pleite wäre alles weg. Zudem hat Maduro mit Tareck El Aissami einen Getreuen als Vizepräsidenten installiert.

„Maduro hat es geschafft, seine Macht im Militär zu zementieren, durch die Ausweitung von Zuwendungen“, so Evans. Das Geld fehlt aber für eine bessere Versorgung der leidenden Bevölkerung. Von den 32 Ministern sind zudem elf Militärangehörige, das schafft Loyalität. Und im Militär machen sie gute Geschäfte mit Maduro. Oft landen für Bürger vorgesehene Lebensmittelpakete auf dem Schwarzmarkt. Das Militär verdient zudem mit diversen staatlichen Unternehmen Geld.

Zweifelsohne gebe es aber im Führungsapparat Machtkämpfe, vor allem mit Diosdado Cabello, der schon 1992 mit Chávez einen Putschversuch unternommen hatte und es nie verwinden konnte, dass Chávez vor seinem Tod Maduro und nicht ihn als Nachfolger auserwählte. Der Vizechef der Sozialisten gilt als einer der korruptesten und skrupellosesten Politiker des ölreichsten Landes der Welt. In seiner TV-Sendung „Con el Mazo Dando“ („Mit dem Hammer schlagen“) hetzt er gegen die Gegner.

Es gilt Pfründe zu verteidigen. Und auch Angst vor Strafverfolgung lässt ein freiwilliges Abgeben der Macht unwahrscheinlich erscheinen. „Maduro hat nur noch 10, maximal 15 Prozent Zustimmung im Volk“, sagt Evans. Aber auch in der Opposition gibt es keine klaren Anführer - oder sie sitzen wie der charismatische Leopoldo López im Gefängnis.

Viele Oppositionelle kommen zudem aus der Oberschicht und haben bisher kein Armenviertel von innen gesehen. Daher können sie auch nicht verstehen, was es bedeutet, dass einer wie Chávez – in Zeiten, als der Ölpreis hoch war – den Armen mit zig Milliarden erstmals Teilhabe, Anerkennung und ein besseres Leben schenkte. Aber Maduro ist nicht Chávez, auch wenn er sich als tanzender Volkstribun gibt. In seiner Not will ja jetzt sogar die Verfassung seines Vorbilds schreddern, die zumindest auf dem Papier eine Gewaltenteilung vorsah.

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