China beschließt Zukunftsplan 50 Millionen neue Jobs in fünf Jahren

Chinas Parlament hat den neuen Fünf-Jahres-Plan beschlossen. Darin skizziert Peking die Zukunft des Landes. Und zum ersten Mal findet die Regierung deutliche Worte für das, was alles schief läuft.

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China steckt in Schwierigkeiten. Kann Xi die Probleme lösen?

Glaubt man Ministerpräsident Li Keqiang, dann läuft in China alles nach Plan. Im vergangenen Jahr wuchs die chinesische Wirtschaft um 6,9 Prozent und in den kommenden fünf Jahren sollen es jedes Jahr weitere 6,5 Prozent werden. Das passt auch gut. Denn bis Ende 2020 will die chinesische Regierung die Wirtschaftsleistung im Vergleich zu 2010 verdoppelt haben. Doch ganz so einfach wird es wahrscheinlich nicht. Die Konjunktur hat sich im vergangenen Jahr deutlich abgekühlt: Überkapazitäten bei den Staatsunternehmen, ein überdrehter Immobilienmarkt, überschuldete Lokalprovinzen. Will Peking dieses Ziel wirklich erreichen, muss es die Wirtschaft grundlegend reformieren.

Die nächsten 15 Giganten aus China

Wie diese Reformen aussehen werden, darüber hat Chinas Führungselite in den vergangenen zwei Wochen in Peking beraten. Heute stimmt das chinesische Parlament über einen Fahrplan ab, der von 2016 bis 2020 Leitfaden für die chinesische Politik sein soll. Fünf-Jahres-Pläne sind Relikte aus kommunistischen Tagen und lesen sich heute eher wie Regierungserklärungen als wie ein guter Wirtschaftsplan. Ministerpräsident Li Keqiang muss sich also keine Sorgen machen, dass die chinesische Legislative ihm die Zustimmung verweigert. Sie sind aber ein wichtiger Indikator dafür, wo das Land hin will – und was gerade schief läuft.

Und schief läuft gerade einiges. Vor allem die Staatsunternehmen bereiten Peking Kopfschmerzen. Die EU-Handelskammer in China hatte bereits vor sieben Jahren in einer Studie vor Überkapazitäten in den traditionellen Industrien - wie der Zement- und Stahlindustrie - gewarnt. „Die Lage hat sich seit 2009 noch einmal dramatisch verschlechtert“, sagt EU-Kammerchef Jörg Wuttke. Denn mit billigem Geld haben Staatsunternehmen in den vergangenen Jahren ihre Betriebe aufgerüstet. Durch die sinkende Konjunktur stehen ihre Maschinen nun still.

Das Problem: Die Provinzen können sie nicht einfach wie Privatunternehmen Pleite gehen lassen. Sie sind zwar unprofitabel, haben sich aber gewaltigen Summen von Staatsbanken geliehen. Fallen ihre Kredite aus, könnten sie die Banken mit in den Abgrund reißen. „Diese Schulden sind aktuell eine gewaltige Bürde für die Kreditinstitute“, sagt Zhu Tian, Wirtschaftsprofessor an der China Europe International Business School in Shanghai. „Aktuell ist komplett unklar, wer für die ausgefallenen Kredite aufkommen würde.“

Zudem hängen viele Millionen Arbeitsplätze an den Unternehmen. Um sich gesundzuschrumpfen, müssten die Unternehmen viele Angestellte entlassen. In der Stahl- und Eisenindustrie wären das allein 1,8 Millionen Menschen. Das sind oft unqualifizierte Arbeiter, die nicht leicht neue Jobs finden werden. „Für die einzelnen Regionen sind die Unternehmen sehr wichtig, so dass die Lokalregierungen davor zurückschrecken, sie Bankrott gehen zu lassen“, sagt Zhu. Im neuen Fünf-Jahres-Plan verspricht Peking den Lokalregierungen deshalb knapp 14 Milliarden Euro, um die betroffenen Arbeiter zu unterstützen.

Die traditionellen Industrien weiter schützen, das will die Zentralregierung aber nicht. Weg von der Werkbank der Welt soll China sich zu einem Innovationsstandort entwickeln. Dafür will das Land in Zukunft nicht mehr auf seine niedrigen Löhne setzen, sondern auf neue Technologien und frische Ideen. Dafür soll in den kommenden Jahren mehr ins Bildungswesen und die Forschung investieren und durch Steuererleichterungen Unternehmensgründungen erleichtern werden. Nicht mehr die Fabriken und Staatsunternehmen sollen der Motor der Wirtschaft sein, sondern der Konsum und der wachsende Dienstleistungssektor. So alleine, hofft Peking, werden in den Städten dieses Jahr zehn Millionen, und bis Ende 2020 insgesamt 50 Millionen neue Jobs entstehen und das Wachstum auf das geplante Soll katapultiert.

Luftverschmutzung in 80 Prozent der Städte zu hoch

Das hört sich erst einmal gut an: Aber Peking setzt nicht allein auf den Traum vom Aufstieg in die Reihe der Industrienationen. Wie in vergangenen Krisen wird der Konjunktur mit Großprojekten in der Infrastruktur auf die Sprünge geholfen. Rund 112 Milliarden Euro sollen in den kommenden Jahren in den Ausbau des Schienenverkehrs fließen und damit 80 Prozent der Städte per Zug miteinander verbinden. Weitere 230 Milliarden Euro hat Peking für den Ausbau der Autobahnen vorgesehen. Um den Umbau der Wirtschaft und diese Infrastrukturprojekte überhaupt finanzieren zu können, muss das Land ordentlich Schulden machen. Erstmals wird die Verschuldung 2016 auf rund drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes klettern. Das Defizit steigt damit um 78 Milliarden Euro auf 304 Milliarden Euro.

Ein weiterer kritischer Punkt auf der langen Liste aus Peking: der Finanzsektor. Hier wären vor allem die Pläne zur weiteren Reform des Kapitalmarkts interessant, wenn es sie denn gäbe. Ministerpräsident Li Keqiang versprach zwar „einen offeneren, transparenteren und gesünderen Markt“. Wie das aber genau erreicht werden soll, bleibt unklar. „Als zweitgrößte Wirtschaft der Welt müsste die chinesische Börse theoretisch den Zustand der Wirtschaft widerspiegeln“, sagt Brock Silvers von der Investmentfirma Kaiyuan Capital. „Die Börse ist aber vollkommen von der Realität entkoppelt“, so der Investor. Er ist seit den 1980er Jahren in China aktiv und kritisiert vor allem die Unberechenbarkeit des Kapitalmarkts. „Als ein Investor mit einer nachhaltigen Strategie muss ich ein Investment modellieren und das Risiko berechnen können“, sagt Silvers. „Durch das aktuelle ökonomische System ist das in China aber schlicht unmöglich.“ Es fordere die Börsenteilnehmer praktisch zum Glücksspiel auf.

Doch die chinesische Regierung hat aktuell größere Sorgen als die Spiellust seines Volkes. Denn eine weitere Folge des jahrzehntelangen Wirtschaftsbooms: In rund 80 Prozent der 300 größten Städte liegt die Luftverschmutzung weit über den offiziell empfohlenen Werten. Vielerorts hängt die meiste Zeit des Jahres eine dichte Smogwolke über der Stadt. Viele Menschen wollen das in China nicht mehr hinnehmen. Sie haben Angst vor den gesundheitlichen Folgen, auch durch die Verunreinigung von Lebensmitteln und dem Trinkwasser. Peking wiederum hat die hohen Gesundheitskosten im Blick, die in den kommenden Jahrzehnten auf das Land zu kommen könnten.

Deshalb ist dem Thema Umweltschutz dieses Mal viel Platz im Fünf-Jahres-Plan eingeräumt worden. Bis Ende 2020 will das Land Kohlekraftwerke modernisieren und die erneuerbaren Energien ausbauen. Elektrizität und Erdgas soll Kohle so schnell wie möglich ersetzen. Die Energieeffizienz von Neufahrzeugen soll erhöht, Millionen schmutzige Autos von der Straße verband und der Kauf von Elektroautos gefördert werden. Ziel ist zudem die Verbesserung der Energieintensität um 15 Prozent.

An diesen Märkten kracht es
Mit Chinas Aktienmarkt fing alles an: Jahrelang propagierte die Regierung in Peking den Einstieg in Aktien – ganz offiziell in den Staatsmedien. Der kleine Mann sollte an der Börse investieren und den chinesischen Unternehmen zu Kapital verhelfen. Doch mit dem stagnierenden Wirtschaftswachstum kamen Zweifel auf. Die Börsen in Schanghai und Shenzhen brachen innerhalb weniger Wochen drastisch ein. Und das Virus China begann, sich auszubreiten. Quelle: dpa
So zog Chinas Schwäche zum Beispiel auch das deutsche Aktienbarometer nach unten. Viele exportorientierte Dax-Unternehmen, vor allem die Autobauer, haben gelitten. Weil am Donnerstag die USA zusätzlich mit guten Konjunkturdaten aufwarten konnten und die Zinswende damit näher zu rücken scheint, ließ der Leitindex am Freitag weiter Federn. Zum Handelsschluss notierte er gut 300 Punkte tiefer bei 10.124 Punkten. Auf Wochensicht verlor der Dax knapp acht Prozent oder 861 Punkte. Quelle: REUTERS
Die voraussichtlich schlimmste Woche des Jahres für Aktien hat am Freitag auch die Wall Street nicht verschont. Nach enttäuschenden Konjunkturdaten aus China lagen die wichtigsten Indizes in New York zur Eröffnung deutlich im Minus. Der Dow-Jones-Index lag mit 16.815 Punkten ein Prozent im Minus. Der breiter gefasste S&P-500 tendierte mit 2.016 Zählern ebenfalls fast ein Prozent tiefer. Quelle: AP
Nicht nur an den Börsen, auch bei den Währungen ging es zuletzt deutlich bergab. Anfang der Woche gab die chinesische Zentralbank überraschend den Yuan-Wechselkurs frei – woraufhin dieser um mehrere Prozent nach unten rauschte. Auch in den Folgetagen konnte die Regierung den Kurs nur mit Mühe über Devisenverkäufe stabilisieren. Grundsätzlich will Peking daran festhalten, den Referenzkurs für den Wechselkurs nach Angebot und Nachfrage zu bestimmen. Quelle: dpa
Nicht nur der Yuan, auch die Schwellenländerwährungen allgemein haben in dieser Woche stark gelitten. Die türkische Lira, zum Beispiel, erreichte einen historischen Tiefstand nach dem anderen. Der Grund: Investoren ziehen ihr Geld aus den Schwellenländern ab und investieren es eher wieder im Dollar und Euro-Raum. Viele Schwellenländer hängen am Tropf Chinas. Das Vertrauen der Investoren schwindet daher. Quelle: REUTERS
Nach unten ging es diese Woche auch für den Ölpreis. Zuletzt kostete ein Barrel Brent noch 45,90 Dollar, ein Barrell der Sorte WTI noch knapp über 40 Dollar. Experten gehen längst davon aus, dass der Preisverfall weitergeht. Der Grund: Die USA hat durch die Schieferölförderung in nur vier Jahren die eigene Ölproduktion nahezu verdoppelt. Das dadurch steigende Angebot will und kann die Opec auch mittelfristig durch eigene Produktionskürzungen nicht kompensieren. Quelle: dpa
Doch nicht nur der Ölpreis leidet: Auch die Aktien der großen Ölunternehmen Exxon Mobil, Chevron, Royal Dutch Shell und Petrochina sind zuletzt deutlich eingebrochen. Experten warnen Anleger derzeit vor einem Wiedereinstieg. Quelle: dpa

Außerdem sollen bestehende Gesetze stärker durchgesetzt werden. Schon heute hat China ein strenges Umweltrecht. Das wird aber durch Missachtung und Korruption kaum umgesetzt. Dafür fand Ministerpräsident Li Keqiang nun vorm Parlament zum ersten Mal klare Worte. Wer mehr Schadstoffe ausstößt als erlaubt, müsse in Zukunft mit einer „harten Strafe“ rechnen. Und ergänzte, in Richtung der Abgeordneten, dass ebenfalls jeder zur Verantwortung gezogen werde, der von den Verstößen wisse und diese zulasse.

In den Zielen der chinesischen Umweltpolitik steckt aber auch das grundsätzliche Dilemma Pekings. Es soll zwar weiter aufwärtsgehen – laut Li um mindestens 6,5 Prozent pro Jahr. Gleichzeitig müssten Industrien aber zurückgefahren werden, will die Regierung die Umweltsituation in den Griff bekommen. Dafür fehlt ihr aber die Zeit. 

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