Gäbe es einen Weltmeistertitel in der schaurigen Disziplin der Militärparaden, müsste der Pokal ohne Zweifel an China gehen. Kein Land der Erde treibt so viel Aufwand und steckt so viel Energie ins Detail, um die Macht seiner zivilen Regierung über die Streitkräfte zu demonstrieren.
Wenn die Hundert- und Tausendschaften des Heers, der Luftwaffe und der Marine von Chinas Volksbefreiungsarmee, gefolgt von schwerstem Gerät, über Pekings zentrale Prachtstraße Changan Dajie exerzieren und auf Höhe des Tors vor dem Platz des Himmlischen Friedens die Augen ruckartig nach rechts richten, um den dort platzierten höchsten Funktionären ihren Respekt zu erweisen, lässt dieses beispiellose Spektakel Truppenaufmärsche in anderen Ländern der Erde wie harmlose Karnevalsumzüge erscheinen – sei es die niedliche Choreographie der britischen Welsh Guards zum Geburtstag der Queen oder Frankreichs jährliches Panzerballett auf den Pariser Boulevards.
Selbst Moskaus und Pjöngjangs Militaristen schielen unter ihren gigantischen Schirmmützen neidisch nach Peking herüber, weil Chinas Paraden nicht nur größer ausfallen, sondern den Soldaten auch so unwiderstehlich perfekt gelingen.
Was hinter dem Perfektionismus steckt
Der chinesische Paradenperfektionismus ist kein Zufall. Der wohl wichtigste Grund für das Phänomen liegt in der chinesischen Verfassung, oder besser gesagt in den Lücken derselben. Denn dem politischen Rahmenwerk fehlen klare Regeln für die Übergabe der Macht beim Wechsel von einer alten zu einer neuen Regierung.
Die Macht wird nicht geordnet übergeben, sondern vererbt oder erkämpft. Hat eine neue Führungsgeneration offiziell die Posten des Staatspräsidenten und Regierungschefs bezogen, bedeutet das noch gar nichts, solange die Altvorderen hinter den Kulissen die Strippen ziehen. Erst, wenn der neue Präsident eine gigantische Militärparade abnehmen darf, hat er die Macht wirklich erobert.
Das ist Chinas Staatspräsident Xi Jinping heute gelungen, rund zwei Jahre nach seinem Amtsantritt.
Natürlich findet die Parade auch ein außenpolitisches Echo – kein Wunder angesichts der angsteinflößenden Langstreckenwaffen, die Peking da vorgeführt hat. Doch der politische Zweck des Rituals liegt weniger in der Außenpolitik, sondern soll vor allem die innenpolitische Machtübergabe symbolisieren.
Aufatmen nach der Parade
Lange mussten Xis Funktionäre nach einem passenden Datum suchen, das einen Aufmarsch dieses Kalibers rechtfertigen konnte. Normalerweise sind das die runden Geburtstage der Volksrepublik China, von denen der nächste allerdings erst am 1. Oktober 2019 ansteht. Auch ein glattes Gründungsjubiläum der Kommunistischen Partei Chinas war nicht in Sicht. Daher fiel die etwas ungewöhnliche Wahl auf die Kapitulation von Chinas Todfeind Japan nach dem Zweiten Weltkrieg vor 70 Jahren.
Bevor er die Formationen an sich vorbeiziehen ließ, hat Xi die kilometerlangen Reihen mit der Staatskarosse chinesischer Produktion (Rote Fahne) abgefahren. Aus dem geöffneten Dach rief er den Soldaten immer wieder zu: „Genossen, Danke für Euren Einsatz.“ Und wie immer bei diesem Anlass schallte es aus tausend Kehlen zuverlässig zurück: „Wir dienen dem Volk!“ Diese ritualisierte Respektsdemonstration durfte zuletzt Xis Vorgänger Hu Jintao beim 60. Parteigeburtstag im Jahr 2009 über sich ergehen lassen. Hu war damals schon rund sechs Jahre im Amt.
So benehmen Sie sich in China richtig
Der Händedruck sollte nicht zu kräftig, sondern locker bis weich sein. Nicht die Dame wird zuerst begrüßt, sondern der Ranghöchste.
Wenn Sie Leute vorstellen: Niemals mit dem Zeigefinger auf jemanden zeigen – das gilt als extrem unhöflich! Besser ist es, die ganze Handfläche zu benutzen.
Reis wird immer zuletzt gereicht. Zum Essen wird die Schale dicht an den Mund geführt, der Reis mit Stäbchen geschaufelt. Nie mit den Essstäbchen gegen die Schale tippen – dies wird mit dem in Ostasien traditionellen Zeichen der Bettler assoziiert. Absolut tabu ist es auch, die Stäbchen in den Reis zu stecken. Dies findet nur bei Trauerzeremonien statt.
Nudeln werden ebenfalls mit Stäbchen zum Mund geführt und schlürfend eingesaugt. Schlürfgeräusche sind durchaus erwünscht, als Zeichen dafür, dass es einem schmeckt.
Chinesen werden bei einer Einladung aus Höflichkeit zurückhaltend essen. Sie wollen wiederholt zum Essen aufgefordert werden.
Meist werden Schnaps, Bier oder Wein zum Essen gereicht und die Gläser randvoll gegossen. Das Personal schenkt immer neu nach – ansonsten der Mann der Frau und der Ranghöhere dem Rangniederen.
Bei der Aufforderung „Ganbei“ („Das Glas trocknen“) trinken alle ihr Glas in einem Zug aus. Dazu erhebt sich die Runde.
Gastgeschenke werden erwartet. Diese sollten generell qualitativ hochwertig sein und dürfen auch einen Bezug zum Herkunftsland haben, etwa hochwertige Bildbände, Bierkrüge, Porzellanteller. Auch lokale Alkoholspezialitäten sind gerne gesehen, zudem Obstkörbe (beliebt sind etwa Orangen und Äpfel, die für Glück und Sicherheit stehen)
Es gibt allerdings auch einige Dinge, auf die als Geschenk unbedingt verzichtet werden sollte. Dazu gehören etwa Uhren (symbolisieren die ablaufende Lebenszeit), Taschentücher (Symbol für einen endgültigen Abschied), Schnittblumen (typisches Mitbringsel zur Beerdigung, insbesondere, wenn weiße Blüten eingebunden sind) oder Regenschirme (das chinesische Wort für „Regenschirm“ (伞 sǎn) klingt wie das Wort für „Aufbrechen“ (散 sàn)).
Sie sollten auf Geschäftsreise möglichst nicht in einem Hotel mittlerer Kategorie absteigen. Status und Prestige sind in China extrem wichtig. Chinesen fragen beim ersten Meeting gerne, in welchem Hotel man wohnt.
Formale Kleidung – dunkler Anzug und Krawatte – sind im Geschäftsalltag ein Muss. Wer Jeans und Krawatte trägt, wird nicht ernst genommen. Ebenso sind schrille Farben tabu. Für Frauen gelten in China inzwischen westliche Konventionen: Standard ist der dunkle Hosenanzug.
Direkte und offene Kritik ist in China tabu. Jemand unverhohlen zu korrigieren, ihm gar deutlich zu widersprechen, ist eine Beleidigung und führt zum Gesichtsverlust, die die Geschäftsbeziehung nachhaltig belasten, sogar zerstören kann.
Beim Kennenlernen sind persönliche Fragen nach Familienstand, Kindern, sogar nach Höhe des Gehalts üblich. Nicht ausweichend antworten! Wer zudem über die Bundesliga Bescheid weiß, genießt hohes Ansehen: Europäischer Fußball ist bei Chinesen beliebt. Tabu sind die Themenbereiche Politik, Missstände, Umweltverschmutzung und Menschenrechte.
Am Beginn steht ein ausgedehntes Essen, während dem Gespräche über Geschäftliches tabu sind. Das entscheidende Thema kommt zum Schluss. Sollte es mal haken, auf keinen Fall aus der Haut fahren! Das bedeutet Gesichtsverlust. Besser freundlich bleiben und beteuern, dass man am Abschluss interessiert sei. Oft kommt dann nach wenigen Tagen ein Anruf, der Entgegenkommen zeigt.
Ähnlich wie bei uns in Deutschland die Zahl 13, gibt es auch in China Zahlen, die den Ruf genießen Unglück zu bringen. So kann die Zahl 4 auf Chinesisch auch „Tod“ bedeuten.
So sollte man bei offiziellen Veranstaltungen unbedingt darauf achten, dass in der Anzahl der Gäste keine 4 vorkommt. Ebenso gilt, an wichtigen Tagen (etwa einer Vertragsunterschrift) darauf zu achten, dass das Datum keine 4 aufweist.
Immer viele mitnehmen, stets parat haben und stehend mit beiden Händen überreichen und genauso annehmen. Karte noch einen Moment respektvoll betrachten und dann in ein hochwertiges Etui stecken. Auf gar keinen Fall sollten Visitenkarten beiläufig angenommen und in die Hosentasche gesteckt werden, dies gilt als respektlos.
Gerne gesehen sind zweisprachige Visitenkarten, die auf einer Seite auf Chinesisch, auf der anderen Seite auf Englisch bedruckt sind.
Mit Xi dagegen hat ein echter Führungswechsel stattgefunden. Er will sich von der grauen Eminenz Jiang Zemins (Staatspräsident bis 2003) emanzipieren und anders als Hu, der die versöhnliche Doktrin von der Harmonischen Gesellschaft ausgab, eine eigene Politik verfolgen.
Mit seiner Antikorruptionskampagne bekämpft Xi daher nicht nur Vetternwirtschaft und Bestechung, sondern räumt auch Widersacher und Repräsentanten der alten Führungsgeneration aus dem Weg.
Jetzt, wo die Parade ganz im Sinne der Planer über die Bühne gegangen ist, dürfte sich der politische Stress im Land legen. Die Antikorruptionskampagne kann sich auf die wirklichen Übeltäter stürzen, um etwa die Katastrophe von Tianjin aufzuklären und künftige Tragödien dieser Art zu verhindern, statt nur politische Gegner auszuschalten. Die Nervosität der neuen Führung sollte sich nach der gelungenen Machtdemonstration legen.
Absurde Propagandakampagnen, mit denen etwa die Schuld für den Börsencrash einem Journalisten in die Schuhe geschoben wird, hat Peking jetzt hoffentlich nicht mehr nötig. Hoffentlich nutzt die Partei das Aufatmen nach der Parade für besonnene Politik. Probleme, die angepackt werden müssen, hat China genug.