Chinas Kampf gegen die Kapitalflucht Wenn plötzlich 69 Milliarden Dollar fehlen

Kehrtwende mit kalten Füßen: Aus China fließt rasant extrem viel Kapital ab. Eine Gruppe mächtiger Behörden will die globale Shopping-Tour von chinesischen Firmen nun ausbremsen. Das hat Konsequenzen für den Westen.

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Chinas Behörden wollen den Auslandsinvestitionen einen Riegel vorschieben. Quelle: Reuters

Peking Der Kampf gegen die Kapitalflucht wird zur Chefsache in China. Seit Wochen wurde über eine neue Aktionsgruppe mächtiger Behörden spekuliert, nun trat die „Vierergruppe“ lautstark an die Öffentlichkeit. In einem über die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua lancierten Beitrag verteidigte die Gruppe in der Nacht auf Mittwoch ein entschiedenes Vorgehen gegen unkontrollierte Auslandsinvestitionen.

Chinesische Investoren zeigten ein „irrationales Vorgehen“, wenn sie viel Kapital in Branchen fern von ihren Kerngeschäft investierten, kritisierte die Gruppe aus dem Staatsrat in Peking, Chinas höchster Wirtschaftsplanungsbehörde (NDRC), dem Handelsministerium und dem Devisenamt Safe. Dazu zählten Ausgaben für Immobilen, Hotels, Unterhaltungs- und Sportindustrie. „Wir empfehlen Firmen, umsichtige Entscheidungen zu treffen“, forderten die Behörden. Es sei die Aufgabe der Regierung, die Risiken von Auslandsinvestitionen zu minimieren.

Es ist das erste Mal, dass die Gruppe sich öffentlich so deutlich positioniert. Seit Wochen war über die Details der neuen Regeln spekuliert worden. „Das offizielle Statement sowie Einzelberichte signalisieren einen Politikwandel. Die Kapitalkontrollen werden erweitert. Das wird internationale Geschäfte schwieriger machen – zumindest in der nächsten Zeit“, vermutete Brian Jackson vom Analysehaus IHS.

Die Aussagen der Vierergruppe kamen nur Stunden bevor die chinesische Zentralbank ihre monatlichen Zahlen veröffentlichte, aus denen sich die Entwicklung der Devisenreserven ableiten lässt. Kein Land der Welt hat einen so großen Schatz in Fremdwährungen angehäuft wie die Volksrepublik. Doch auch in keinem Land der Welt schmelzen die Devisenreserven so schnell dahin wie in China. Im November betrug der Rückgang rund 69 Milliarden Dollar, wie die Finanzagentur Bloomberg ausrechnete.

So viel Geld war seit Januar nicht mehr in einem Monat abgeflossen. Zwar bringt es Peking damit noch immer auf stolze 3,05 Billionen US-Dollar an Währungsreserven, das ist jedoch rund ein Viertel weniger als zum Höchststand im Jahr 2014. Die chinesische Zentralbank verkauft schrittweise ihre Reserven, um den Wechselkurs der chinesischen Währung zu stützen. Seit Jahresanfang hat der Yuan mehr als sechs Prozent an Wert im Verhältnis zum US-Dollar verloren. 2016 könnte das schwächste Jahr für die chinesische Währung werden, seit Peking 2005 die Bindung an den US-Dollar aufgegeben hat.

Seit dem Ende der 1990er-Jahre hatte Peking die Unternehmen des Landes aufgefordert, sich stärker zu internationalisieren. Innerhalb der vergangen zehn Jahre waren viele Hürden abgebaut worden, die Investitionen in anderen Ländern erschwert hatten. Doch nun hat die Vierergruppe um den Staatsrat die Liberalisierungsschritte zurückgedreht und Genehmigungspflichten erneut eingeführt. Investitionen im Ausland müssen vorher von Behörden abgesegnet werden – zunächst bis zum September 2017.


Gefahr für die Banken

Über Jahre war es die Volksrepublik gewohnt, dass wesentlich mehr Geld nach China kam als abfloss. Doch dieser Trend hat sich 2014 gedreht. Im vergangenen Jahr wurde Kapital im Wert von 526 Milliarden Dollar aus China abgezogen. In diesem Jahr könnte die Kapitalflucht noch viel dramatischer ausfallen, schätzt die französische Bank Natixis SA und erwartet einen Abfluss von rund 900 Milliarden Dollar.

Peking müsse einsehen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Regierung die Finanztransaktionen bis ins kleinste Detail steuern konnte, forderte Finanzprofessor Christopher Balding von der HSBC Business School in Shenzhen. „Chinesen, die ihr Geld in Immobilien in Vancouver oder Sydney angelegt haben, werden das Kapital so schnell nicht wieder zurück nach China bringen“, schrieb Balding in einer Analyse für Bloomberg.

Doch die neuen Regeln der Vierergruppe treffen nicht nur Chinesen, die ihr Geld im Ausland anlegen wollen. Auch ausländische Banken wurden informiert, dass sie künftig Auslandsüberweisungen ab einer Höhe von fünf Millionen Dollar dem Devisenamt vorlegen müssen.

Das könnte viele deutsche Firmen treffen, die nun noch schwerer an Geld aus ihren Gesellschaften in China kommen. „Die Behörden haben vermutlich nicht mal das Personal, um die große Zahl an Transaktionen zu prüfen“, vermutete Balding. Zudem könnten die Regeln von Überweisungen auch auf Transaktionen mit Gütern und Dienstleistungen erweitert werden, spekulierte Balding.

Das Problem bestehe nicht darin, dass Kapital aus China abfließe. Die wahren Gefahren entstünden dadurch, dass der Kapitalabfluss bestehende Probleme in Chinas Finanzsystem verschlimmere. Der schnelle Abzug von Geld könne Chinas Banken in große Schwierigkeiten bringen, die faule Kredite angehäuft hatten. „Die Regierung muss die lange ausstehenden Probleme angehen“, fordert Balding.

Seit einem Jahr kündige Peking an, gegen die wachsenden Schulden vorgehen zu wollen. Trotzdem wachse der Schuldenstand noch doppelt so schnell wie das Wirtschaftswachstum. Baldings Einschätzung: „Wenn das Finanzsystem nicht in einer so schlechten Verfassung wäre, dann wären die Risiken durch einen fallenden Yuan deutlich geringer.“

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