Chinas Perlflussdelta Hightech statt Billigfabriken

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Die 1,5-Millionen-Einwohner-Stadt ist die Kapitale der Sportartikelbranche, weltweit werden hier die meisten Turnschuhe, Lederbälle und Jogginghosen produziert. Um gerade mal 0,6 Prozent ist die Wirtschaft hier zwischen Januar und Juli gewachsen, nach durchschnittlich 18 Prozent jährlich in den vergangenen 30 Jahren. Die Schuhexporte fielen um 60 Prozent, die Ausfuhr von Elektronikprodukten um 31 Prozent, die Spielzeugexporte um 23 Prozent.

Nach vier Stunden fährt der Zug schließlich in den Hauptbahnhof von Guangzhou ein, die vier Managerinnen klappen ihre Laptops zu und verlassen den Bahnhof in Richtung Taxistand. Auf dem Bahnhofsvorplatz steht Zhang Cunfa. Der 36-jährige Bauarbeiter wartet auf den Zug nach Wang’an, einem Städtchen in der Provinz Sichuan. Zhang muss dort eine Behördenangelegenheit erledigen und will dann schnell wieder zurückkommen.

Neun Millionen Einwohner in Guangzhou

Im Gegensatz zu vielen anderen hat Zhang noch einen Job. Seit er 20 ist, arbeitet er auf den Baustellen von Guangzhou, um Büroräume, Fabrikhallen und Wohnungen für die schnell wachsende Stadt hochzuziehen. Neun Millionen Einwohner leben heute hier, und Jobs gab es reichlich. „Seit der Krise ist es aber nicht mehr so einfach“, erzählt er. Einige seiner Freunde haben ihre Stellen verloren.

Weil er fleißig ist, werden sie ihn wohl nicht so schnell feuern. Manchmal arbeitet er zwei Schichten am Tag, dann kommt er auf umgerechnet 450 Euro im Monat, von denen er einen Großteil auf die Seite legt. „Kein schlechtes Leben“, findet Zhang. In Sichuan verdienen die meisten nicht mehr als 60 bis 80 Euro im Monat.

In seiner Heimatstadt Wang’an warten seine Frau, die in einer Fleischfabrik arbeitet, und ein neunjähriger Sohn. Mit dem zusätzlichen Geld, das er nach Hause schickt, kann die Familie gut leben. „In ein paar Jahren haben wir genug gespart und kaufen uns ein Haus“, sagt Zhang. Dann will er in die Heimat zurück.

Mit diesen Überweisungen tragen Chinas Wanderarbeiter den Wohlstand von der Ostküste ins Hinterland. Diesem Transfer droht jedoch Gefahr. Durch die Krise haben bis zu 35 Millionen der 130 Millionen Wanderarbeiter ihre Jobs verloren, viele Millionen davon allein im Perlflussdelta. Ein Großteil kam nach dem chinesischen Neujahrsfest im Februar nicht mehr zurück, viele vagabundieren aber auch durch die Provinz, die Polizei klagt über steigende Kriminalität. Die öffentlichen Proteste nehmen zu, nicht nur von Arbeitern, die gegen Fabrikschließungen demonstrieren oder weil ihnen Lohnzahlungen verweigert wurden.

Von Immobilienfirma betrogen

Auf dem Weg zu einem Betrieb in Guangzhou hält der Fahrer plötzlich an einer Brücke, die über den Perlfluss führt. Passanten gaffen nach oben, Polizei, Presse und Fernsehen sind angerückt. Auf dem Brückenaufbau in rund 40 Meter Höhe steht ein Mann, schreit unverständliche Worte, schmeißt Flugblätter. Er droht, von der Brücke zu springen, lässt sich aber davon abhalten. Der Grund seiner Aktion: Beim Kauf einer Wohnung habe ihn ein lokaler Immobilienentwickler betrogen. Die Brücke war in jüngster Zeit schon häufiger Ort für solche Protestaktionen, erzählen Passanten, alle paar Tage klettere jemand nach oben, häufig sind es Opfer der Krise, die auf Missstände aufmerksam machen wollen.

Aber nicht allein die Wirtschaftskrise im Westen untergräbt die Exportwirtschaft im Perlflussdelta. Viele der von Hongkong-Chinesen, Taiwanern und Koreanern hochgezogen Fabriken hatten nur schmale Gewinnmargen. Die Unternehmen mussten hohe Stückzahlen produzieren, um auf Minirenditen zu kommen. Meist importieren sie Einzelteile, die hier nur zusammengebaut und dann in den Westen reexportiert wurden. Wertschöpfung war damit kaum verbunden.

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