Cyberangriff durch „Wanna Cry“ Mit Microsoft leben und sterben

Die totale Abhängigkeit der Behörden vom US-Softwareriesen Microsoft könnte Europa irgendwann in eine unvorstellbare Katastrophe stürzen. Der „Wanna Cry“-Cyberangriff weckt düstere Vorahnungen. Eine Analyse.

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FILE PHOTO: An advertisement is played on a set of large screens at the Microsoft office in Cambridge, Massachusetts, U.S., on January 25, 2017. REUTERS/Brian Snyder/File Photo Quelle: Reuters

Brüssel Britische Krankenhäuser mussten Operationen absagen, Chinesen konnten ihre Tankfüllung nicht mehr bezahlen, in deutschen Bahnhöfen fielen elektronische Anzeigetafeln aus und beim US-Konzern Fedex brach ein Teil der Logistik zusammen: Die Schadsoftware „Wanna Cry“ legte weltweit rund 200.000 Computer lahm, bevor sie Freitag eher zufällig gestoppt werden konnte. Laut Europol war es der bisher gefährlichste weltweite Cyberangriff – und es wird sicher nicht der letzte sein.

Sicherheitsexperten sind sehr besorgt, dass künftige Attacken schlimmere Folgen haben könnten. Europol-Direktor Rob Wainwright warnte vor einer „eskalierenden Bedrohung“. Der IT-Riese Microsoft, dessen Software dem Angriff zum Opfer fiel, schob die Schuld den Geheimdiensten zu. Die NSA und andere müssten IT-Sicherheitslücken anzeigen, statt sie zu horten und gegebenenfalls selbst zu nutzen, schimpfte der US-Konzern.

Mit dem Finger auf andere zu zeigen, war schon immer ein beliebtes Mittel, um von sich selbst abzulenken. Denn eines ist auch klar: Entweder ist Microsoft selbst nicht in der Lage, seine Kunden hundertprozentig gegen Cyberangriffe zu schützen. Oder die Nutzer von Microsoft-Produkten kümmern sich nicht um die nötigen Sicherheits-Updates. Egal was zutrifft: In jedem Fall kann der daraus entstehende Schaden sämtliche vorstellbaren Dimensionen sprengen – auch in Europa.

Von einer vernünftigen Streuung des Cyber-Risikos kann nämlich keine Rede sein. Fast alle Regierungen, Behörden und Unternehmen in der EU haben ihre Computernetzwerke mit Microsoft-Produkten ausgestattet. Sollten Viren oder Trojaner die Betriebssysteme des Konzerns erfolgreich angreifen, dann läuft in Europa im schlimmsten Falle gar nichts mehr. Keine Verwaltung und kein Krankenhaus, kein Wasser und kein Strom. „Die totale Abhängigkeit von Microsoft macht unsere gesamte Infrastruktur sehr verwundbar“, meint Europaparlamentarier Jan Philipp Albrecht.

Der Grüne kämpft schon lange dafür, dass die EU sich endlich aus der Umarmung des IT-Riesen befreit. Alternativen gäbe es sehr wohl, so Albrecht. In Deutschland etwa biete die Nürnberger Suse Linux GmbH Betriebssysteme, die Hamburger Open-Xchange AG Office-Anwendungen an, die inzwischen problemlos mit Microsoft-Produkten Schritt halten könnten.

Doch öffentliche Verwaltungen und Unternehmen haben in aller Regel keine Lust dazu, sich von Microsoft zu trennen. Ein Wechsel erscheint ihnen zu riskant und zu kompliziert. Die wenigen, die es trotzdem wagten, kehren inzwischen sogar zu Microsoft zurück: Das Auswärtige Amt, das sich unter dem grünen Minister Joschka Fischer von Microsoft verabschiedete, kehrte 2011 unter dem liberalen Minister Guido Westerwelle zurück. Auch die Stadt München, die als einzige unter den großen deutschen Kommunen auf ein offenes Linux-System umgestellt hatte, will den Schritt jetzt wieder rückgängig machen: Münchens neuer Oberbürgermeister gilt als Microsoft-Freund.

Das Nachsehen haben die deutschen Mittelständler, die Microsoft Konkurrenz machen wollen. Sie können nicht groß werden, weil sie keine großen Kunden in Deutschland und Europa finden. Die Förderung der digitalen Wirtschaft in der EU – sowohl für die Bundesregierung als auch für die EU-Kommission politische Priorität Nummer eins – stößt hier an scheinbar unüberwindliche Grenzen.

Auch die EU-Institutionen verlassen sich in Sachen Informationstechnologie auf den amerikanischen Weltmarktführer: Die EU-Kommission und das Europaparlament nutzen selbstverständlich weiterhin Betriebssysteme und Office-Anwendungen von Microsoft. So weit es irgendwie möglich sei, habe man auf Alternativen umgestellt, etwa bei E-Mails, Tabellen oder Textverarbeitung, heißt es im Umfeld von Kommissionsvize Andrus Ansip, der für das Thema Digitalisierung zuständig ist. Auf das Betriebssystem Windows könne man aber nicht verzichten – „aus Kosten- Stabilitäts- und Kompatibilitätsgründen“, heißt es in Brüssel. Dass Microsoft mit seinem Betriebssystem in Europa fast ein Monopol habe, sei im Übrigen kein Problem – jedenfalls solange nicht, wie der Konzern dieses Monopol nicht für unfaire wettbewerbswidrige Praktiken missbrauche.

Microsoft muss sich um sein Europa-Geschäft also keine großen Sorgen machen – die um ihre Cyber-Sicherheit bedachten Bürger dafür umso mehr.

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