Daniel Barenboim "Es gibt nur eine humanistische Lösung"

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Die Organisation eines Opernhaus

Steve Davislim als Tito in Dresden während der Fotoprobe zur Oper

Das Argument der Kulturkürzer lautet: Ein kleiner Kreis von Betuchten gönnt sich ein teures Vergnügen auf Kosten der Masse.

Aber Musik ist doch nicht elitär. Die Politiker machen Musik zu etwas Elitärem. Und zwar in dem Moment, indem sie die Kinder nicht an sie heranführen. Ich bin überzeugt: Wenn man ein System fände, in dem die Kinder in den Schulen und Kindergärten auf die Musik aufmerksam gemacht würden, wäre vieles besser. Nicht jeder, der Mathe lernt, wird Einstein, nicht jeder, der Lesen lernt, wird Goethe. Aber jeder weiß, wer Einstein und Goethe sind. Würde Musik genauso behandelt, wären viel mehr Interessierte da – und die Subventionen wären kaum noch nötig. Aber die Politik denkt heute ja nur kurzfristig.

In Köln hat unlängst der Intendant der Oper gekündigt, weil ihm der Etat gekürzt wurde. Warum will die Politik die Kultur nicht mehr?

Vielleicht ist das kulturelle Niveau der Politiker nicht hoch genug? Aber man muss nicht alles schwarz malen. Das Musikangebot in Berlin ist gigantisch. Drei Opernhäuser. Das ist nicht wenig.

Manche sagen, das sei ein Opernhaus zuviel. Zumal es an einem jungem Publikum fehlt.

Die Jugend kam nie in Scharen zu Konzerten. Ich stehe seit 63 Jahren auf der Bühne. Ich habe die Jugend immer als eine Minderheit gesehen. In den 50er, 60er, 70er Jahren - und so auch heute.

An der Staatsoper sind meist nur die Vorstellungen mit Sängerstars und Ihnen als Dirigent ausverkauft. Viele Fans sichern sich jetzt schon Karten für den Wagner-Ring, den Sie im Herbst 2013 aufführen...

Barenboim (lacht): Ich habe auch nur einen Stehplatz bekommen… Aber im Ernst: Unser Beruf ist total verrückt. Wir planen jetzt schon die Saison 2016/17. Die Sänger wissen dabei oft selber nicht, was sie dann noch singen können. In vier Jahren verändert sich die Stimme. Dann können manche nicht mehr die Rollen singen, die sie heute schaffen - dafür andere, die sie heute noch nicht beherrschen. Und was mich selbst anbelangt: Woher soll ich wissen, was mich in vier Jahren interessiert?

Warum planen Sie so weit im Voraus?

Sonst bekommen wir nicht die guten Sänger, die wir für die Staatsoper Berlin verpflichten möchten. Die gehen dann an die New Yorker Met oder nach London.

Ist es denn für ein Opernhaus so schlimm, wenn nicht die Spitzenstars singen? Es kann doch nicht nur um Namen gehen.

Die großen berühmten Sänger sind nicht nur berühmt – die sind auch gut. Ein Opernhaus, das große Sänger nicht bucht, geht nicht das Risiko ein, keine berühmte Namen zu bekommen. Es geht das Risiko ein, nicht die besten Sänger zu bekommen.

Aber warten denn nicht überall unentdeckte Talente auf ihre Chance?

Das ist in der Oper abhängig vom Repertoire. Bei jungen Mozartsängern kann man das Risiko eingehen, Sänger zu buchen, die noch unbekannt sind. Ich habe viele Mozartsänger jung auf die Bühne geholt. Bei Wagner ist das anders. Die Stimmen müssen eine gewisse Reife haben. Sie können nicht für 2014 den „Siegfried“ planen und hoffen, dass Sie dann schon einen geeigneten Sänger finden werden.

Zumal es nicht eben viele herausragende Wagner-Sänger gibt zur Zeit. Woher eigentlich rührt der Mangel?

Es gibt Zyklen. Als ich in den 80er-Jahren in Bayreuth meinen ersten Ring dirigierte, gab es einen großen Mangel an Wagner-Sängern, aber viele großartige Verdi-Sänger. Heute haben wir viel mehr erstklassige Wagner-Sänger als damals, aber kaum noch hervorragende Verdi-Sänger. Luciano Pavarotti ist nicht mehr da, Placido Domingo singt keine Tenor-Rollen mehr – dafür die Bariton-Partien wunderbar. Auch die große Verdi-Sopranistin ist momentan nicht zu sehen. Aber was soll's... Das ist der übliche Zyklus, das macht mir keine Sorgen.

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