Das neue EU-Ratsgebäude Der Alptraum aller Fensterputzer

Der Europäische Rat in Brüssel zieht um – in ein durchaus ungewöhnliches Gebäude. Die Bauherren sehen in dem Gebäude ein neues Wahrzeichen. Andere kritisieren den 320 Millionen Euro teuren Neubau als „vergoldeten Käfig“.

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Ein futuristischer Hingucker – und ein Alptraum für Fensterputzer. Quelle: dpa

Brüssel Ein Patchwork von 3750 holzgerahmten Fenstern um ein Herz aus Glas: Der Rat der Europäischen Union zieht zu Jahresbeginn in einen spektakulären Neubau direkt neben seinem bisherigen Sitz. „Europa“ nennt sich das Gebäude, in dem künftig auch die Staats- und Regierungschefs zu ihren Brüsseler Gipfeln zusammenkommen. Ein futuristischer Hingucker – und ein Alptraum für Fensterputzer.

Die Bauherren rühmen sich vor allem der Verschmelzung von Alt und Neu, denn ein Teil des etwa 320 Millionen Euro teuren Gebäudes integriert den dahinter liegenden, teils denkmalgeschützten Résidence Palace aus den 20er Jahren. Dort sind die Büros der Delegationen der 28 Mitgliedstaaten und des Rats-Präsidenten untergebracht.

„Die Geschichte des Gebäudes erlaubt uns in gewissem Maße einen Schritt in die Geschichte Europas“, erklärt der belgische Architekt Philippe Samyn, der „Europa“ gemeinsam mit Büros aus Italien und Großbritannien entworfen hat.

Auch die transparente Fassade mit den Minifenstern ist hochsymbolisch. Für die Holzfensterchen wurde Material von abgerissenen Gebäuden in den EU-Mitgliedstaaten recycelt. Das soll nicht nur für Nachhaltigkeit stehen, sondern auch für das Motto der Europäischen Union: In Vielfalt vereint.

Doch fällt professionellen Fensterputzern beim Anblick der vielfach unterteilten Front wohl nur ein Wort ein: „oje“. Das jedenfalls war der Kommentar von Karl Wachenfelds, Geschäftsführer einer Glasreinigungsfirma in Berlin. Er ist zwar nicht für die Reinigung des Gebäudes zuständig, kann sich den Aufwand als Fachmann aber gut vorstellen: Nur für die Außenreinigung benötige man etwa 240 Stunden – bei vier Mitarbeitern also ungefähr eineinhalb Wochen, schätzt der Spezialist. Im Vergleich zu anderen Glasbauten etwa zwei bis drei Mal länger. Das gehe natürlich ins Geld.

Vom Rat heißt es dazu nur, das Haus sei so konzipiert, dass es seltener gereinigt werden müsse. Dafür habe man ein ausgeklügeltes Wasserableitungssystem eingebaut. Doch wie sieht es in der Praxis aus? „Zwei bis drei Mal im Jahr muss man die Fassade eines so repräsentativen Gebäudes schon sauber machen – schon allein, um es zu erhalten“, ist sich Wachenfelds sicher.


Durch die Fassade schimmert ein riesiges Ei

Vom repräsentativen Äußeren ins nicht weniger imposante Innere: Durch die Fassade schimmert wie ein riesiges Ei das voluminöse Glas-Herz, in das untereinander drei unterschiedlich große Konferenzräume eingebaut wurden. Im Größten davon, mit rund 330 Plätzen, sollen die Mächtigen vom Frühjahr an tagen. Auch die regelmäßigen Ministertreffen sollen hier stattfinden. Die Konferenzräume sind ungewöhnlich bunt. Decken und Teppiche bestehen aus zahllosen Quadraten in Regenbogenfarben.

Einen Saal für die vielen Journalisten gibt es auch, doch das eigentliche Pressezentrum bleibt im bisherigen Ratsgebäude Justus Lipsius nebenan – so wie die gesamte Verwaltung des Rates. Die beiden Häuser sind mit zwei Brücken verbunden.

Doch wieso dann überhaupt ein neuer Hauptsitz? „Mehr Flexibilität und Effizienz“, sagt Rats-Generalsekretär Jeppe Tranholm-Mikkelsen. Bei mehr als 6000 unterschiedlichen Treffen im Jahr sei der zusätzliche Platz nötig. Als der aktuelle Sitz 1994 bezogen wurde, habe die EU aus zwölf Mitgliedstaaten bestanden, jetzt sind es 28. Im Rekordjahr 2015 erlebte Brüssel allein zwölf Gipfel. Durchschnittlich sind es acht bis neun pro Jahr.

Das Justus-Lipsius-Gebäude sei für eine derartige Belegung nicht konzipiert worden, sagt Tranholm-Mikkelsen. „Europa“ sei auch deshalb eine Art Symbol für die Erweiterung der Europäischen Union. 2004 fiel die Entscheidung für das Gebäude, knapp acht Jahre hat allein der Bau gedauert. Für einen symbolischen Euro überließ die belgische Regierung das Grundstück dafür der EU. Großer Kritiker des teuren Projekts war der frühere britische Premierminister David Cameron. Er nannte das Haus einen „vergoldeten Käfig“.

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