Wer beim Weltwirtschaftsgipfel den offiziellen Diskussionen folgt, erliegt manchmal dem Eindruck, die hohen Berge und Absperrungen rund um den Tagungsort würden neben Verkehr und Eindringlingen auch den Nachrichtenstrom von dem Graubündner Bergidyll fernhalten. Während weltweit die Märkte einem wenig geordneten Chaos gleichen, reden Ökonomen, Unternehmer und Politiker in Davos am liebsten über den „long term“, die mittel- und langfristigen Aussichten für die Weltwirtschaft.
Und die seien gut. Sicher. Ganz sicher. Allenfalls der Ölpreis stört die gute Gipfelstimmung ein wenig, aber auch nicht viel. Insbesondere in China will so recht niemand Anlass zur Sorge erkennen. Da ist etwa Christine Lagarde, als Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), so etwas wie die mächtigste Wächterin über die Entwicklung der Weltwirtschaft.
Die fünf großen Gefahren für Chinas Wirtschaftswachstum
Seit Jahren schießen die Immobilienpreise in Chinas Großstädten in ungeahnte Höhen - seit Monaten mehren sich jedoch Zeichen für einen Kollaps.
Neben den trägen Staatsbanken hat sich in China ein großer Markt von nicht-registrierten Geldinstituten etabliert, die der Staat bislang nicht kontrollieren kann.
Banken haben ohne genaue Prüfung Firmen immense Kredite für unproduktive und verschwenderische Investitionen gegeben.
Mit Subventionen der Regierung haben viele Branchen gewaltige Überkapazitäten aufgebaut, beispielsweise die Solarindustrie. Aber sie werden ihre Produkte nicht los.
Chinas Wirtschaft hängt vom Export ab. Geraten wichtige Abnehmerländer in Krisen, hat auch China Probleme.
Sie nimmt in Davos an einer verwirrenden Vielzahl an Gesprächen teil und ist doch die Ruhe selbst: „Wir sehen in China Veränderungsprozesse in vielen Bereichen auf einmal. Das ist erstmal normal“, sagt sie. Was derzeit für so viel Unsicherheit sorge, sei vor allem ein Kommunikationsproblem: Die Märkte wissen nicht, was Chinas Verantwortliche vorhaben, und das macht sie nervös. Durch richtige Politik lasse sich das aber meistern. Lagarde: „Wir rechnen mit 6,5 Prozent Wachstum in diesem Jahr in China.“
Kein Grund für Dauerkrise
Dass die chinesischen Funktionäre bei ihrem ständigen Schwanken zwischen Markt und Staat in den vergangenen Wochen diese „richtige Politik“ nicht aus den Augen verloren haben, ist in Davos Mehrheitsmeinung. Gary Cohn, Präsident und COO der Investmentbank Goldman Sachs, sagt: „Ich muss daran erinnern, dass die chinesischen Markteingriffe sich nicht sehr fundamental von solchen Schritten unterscheiden, die auch westlichen Staaten immer mal wieder an den Märkten unternommen haben.“ „Es ist schon verblüffend, dass die Menschen immer sagen, das Wachstum in China bräche ein – auf 6,8 Prozent“, sagt Lagarde.
Das sind die wettbewerbsfähigsten Länder der Welt
Während Deutschland im Vorjahr noch auf Rang sechs lag, schafft es die Bundesrepublik in diesem Jahr nur noch auf den zehnten Platz. Der mitteleuropäische Staat steht 2015 vor vielen Herausforderungen. Dazu gehört der Druck, die Energiewende zu meistern, die digitale Transformation der Industrie voranzutreiben und private und öffentliche Investitionen zu fördern.
Bauen kann Deutschland auf seine hoch qualifizierten Arbeitskräfte und eine Politik der Stabilität und Vorhersehbarkeit.
Schweden fällt im Vergleich zu 2014 um vier Ränge von Platz fünf auf Platz neun. Das nordeuropäische Königreich kann besonders mit qualifizierten Arbeitskräften, den stabilen politischen Verhältnissen, einem wirksamen Rechtssystem und einem starken Fokus auf Forschung und Entwicklung glänzen. Auch das Bildungsniveau ist sehr hoch und die Infrastruktur sehr verlässlich.
Auch Dänemark konnte sich im Vergleich zum Vorjahr verbessern, von Platz neun geht es hoch auf Platz acht. Gut schneidet das nordeuropäische Königreich bei Managementpraktiken, Gesundheit und Umwelt sowie Arbeitsstandards ab. Auf dem ersten Rang landet Dänemark in der Kategorie der Regierungseffizienz gleich fünf Mal, denn es zeichnet sich nicht nur durch eine besonders große Rechtstaatlichkeit aus, sondern auch dadurch, dass Bestechung und Korruption kaum eine Chance haben.
Norwegen kann im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von drei Plätzen verzeichnen und landet damit auf dem siebten Platz. Die skandinavische Halbinsel kann vor allem mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aufwarten, mit denen sie im internationalen Vergleich auf Platz eins landet. Weitere Faktoren, mit denen Norwegen punkten kann, sind im Bereich der Regierungseffizienz zu finden. Chancengleichheit, Transparenz sowie Rechtstaatlichkeit sind nur einige der besonders effektiven Maßnahmen der öffentlichen Hand.
Für Luxemburg ging es von Platz elf im Jahr 2014 hoch auf Platz sechs. Sehr gut schneidet das Großherzogtum im Bereich der politischen Stabilität, der wettbewerbsfähigen Besteuerung, des unternehmerfreundlichen Umfeldes und der qualifizierten Arbeitskräfte ab.
Kanada hat es in diesem Jahr auf Platz fünf geschafft. Im Vorjahr landete der nordamerikanische Staat noch auf Platz sieben des IMD World Competitiveness Ranking. Die gute Platzierung hat Kanada vor allem der Stabilität und Vorhersehbarkeit in der Politik, dem hohen Bildungsniveau, qualifizierten Arbeitskräften und einem wirksamen Rechtssystem zu verdanken. Ganz gut schneidet Kanada auch aufgrund einer unternehmerfreundlichen Umgebung und einer offenen und positiven Haltung ab.
Der vierte Platz geht in diesem Jahr an die Schweiz. Unternehmen aus aller Welt wissen vor allem die sehr gute Infrastruktur des kleinen Alpenstaates zu schätzen. Die hohe Bildung und der Umweltschutz landen gar im Vergleich zu 2014 nicht mehr nur auf Platz drei, sondern gleich auf der Eins. Auch die robuste Wirtschaft, Arbeitsstandards, geringe Entlassungs- sowie Kapitalkosten sind im internationalen Vergleich so gut wie unschlagbar.
Unter die ersten drei schafft es in diesem - wie auch schon im vergangenen Jahr - der Insel- und Stadtstaat Singapur. Besonders punkten konnte das asiatische Land bei Unternehmen in diesem Jahr mit seinem institutionellen Rahmen, der im weltweiten Vergleich auf Rang eins landet. Außerdem liegt Singapur bei der technologischen Infrastruktur sowie der Bildung ganz weit vorne.
Platz zwei geht an die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong. Im Vergleich zum Vorjahr hat die chinesische Metropole zwei Plätze gut gemacht. Unternehmen aus aller Welt schätzen Hongkong insbesondere aufgrund der betriebswirtschaftlichen Gesetzgebung, der Managementpraktiken, der unternehmerischen Einstellungen und Werte und der technologischen Infrastruktur. Ganz gut steht Hongkong auch bei internationalen Investitionen, der Fiskalpolitik und bei den Betriebsfinanzen da.
Die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft der Welt sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Das hat das IMD World Competitiveness Center in seiner aktuellen Vergleichsstudie bekannt gegeben.
Besonders attraktiv finden Firmen in den USA - laut Ranking - die dynamische Wirtschaft (66,2 Prozent), den guten Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten (55,1 Prozent), den starken Fokus auf Forschung und Entwicklung (49,3 Prozent) sowie das unternehmensfreundliche Umfeld (43,4 Prozent).
Punkten können die USA zudem als attraktiver Forschungsstandort. Nachholbedarf gibt es im Bereich der Schulbildung.
Sie sieht auch bei den Daten keinen Grund für Dauerkrise. Mit Blick auf die Sorge um die Schwankungen der chinesischen Währung sagt Lagarde: „Man darf den Renminbi nicht nur gegen den Dollar laufen lassen sondern muss ihn mit dem IWF-Währungskorb und den Währungen von Chinas Handelspartnern vergleichen. Dann ist er relativ stabil.“ Zudem die anwesenden Chinesen sich bemühen, die Unsicherheiten in den größeren Kontext zu stellen.
Die ständigen Eingriffe von Staat und Notenbank in den Kurs des Renmibi? Das zeitweilige Aussetzen des Aktienhandels? Die Ängste vor einer Schulden- wie Kapazitätsblase, insbesondere, bei den Staatsunternehmen? Alles nicht so schlimm – oder angeblich so geplant. Das ist die Haltung vieler Chinesen. Zhang Xin, Chefin von Soho China, sagt: „Es gibt eine totale Entkopplung von Aktienmarkt und Realwirtschaft in diesen Tagen.“ Und Fang Xinghai, Generalmanager in der chinesischen Wirtschaftsplanungsbehörde (Central Leading Group for Financial and Economic Affairs, sagt: „Es gibt eine Strategie in China und die ist richtig: Nämlich den Verbrauchern mehr Geld zu verschaffen, damit sie den Konsum ankurbeln.“ Das verursache eben „Anpassungsschwierigkeiten.“
Drei Schritte zur Lösung des China-Problems
Dass das Teil der Reform und nicht Teil deren Rückdrehung sei, sagt auch Jian Jianging, Chairman der ICBC-Bank. „China hat einen Punkt erreicht, an dem es die Reformen nicht mehr zurückdrehen kann. Es muss aber sein Geschäftsmodell nun ändern, um als Volkswirtschaft auch die nächste Entwicklungsstufe erreichen zu können.“
Das Problem ist vermutlich: Was Chinesen unter Anpassung verstehen, kann den Rest der Welt trotzdem gefährden. Ray Dalio, Chairman von Bridgewater, rechnet damit, dass die Anpassungsphase „drei Jahre dauern und natürlich Auswirkungen auf den Rest der Welt haben wird.“
„Die Welt normalisiert sich“, findet der ehemalige Bundesbankchef Axel Weber, heute Verwaltungsratschef der Schweizer Großbank UBS. Er sei sehr optimistisch was China angehe. „Es ist eine harte Angleichung derzeit, aber eine, die in die richtige Richtung führt.“ China habe bereits große Schritte auf dem Weg von der Schwerindustrie- zur Dienstleistungswirtschaft geschafft – davon profitiere am Ende China und die Welt. Um seine Zuversicht zu unterstreichen, ergänzt er: „Wir werden unsere Arbeitsplätze in den nächsten fünf Jahren in China verdoppeln.“
Diese 10 Länder werden die weltbesten Talente anwerben
Finnland
Wenig überraschend ist es bei dem Pisa-Dauersieger aus dem hohen Norden das Bildungssystem, das das Land in den Augen der Studien-Autoren zur Weltspitze gehören lässt.
Kanada
Ein herausragendes Bildungssystem sorgt in dem Land dafür, dass sowohl für Einwanderer wie für ursprüngliche Kanadier die soziale Mobilität besonders hoch ist.
Norwegen
Wie bei allen Skandinaviern sorgen auch bei Norwegen vorbildliche soziale Durchlässigkeit und eine hervorragende Gleichstellung der Geschlechter für einen vorderen Platz.
Großbritannien
Das Königreich ist aus zwei Punkten interessant: Zum einen, weil es bei keinem der untersuchten Punkte außerordentlich gut ist, sondern eher durch konstante Unauffälligkeit auffällt. Zum anderen, weil es dem Land besser gelingt, junge Talente von außen anzulocken, als dem eigenen Nachwuchs besonders attraktive Entwicklungschancen zu bieten. Das Königreich ist gut im integrieren von ausländischen Talenten, aber schlecht bei der Durchlässigkeit des eigenen Bildungssystems.
Schweden
Nahezu Gleichberechtigung, gute soziale Durchlässigkeit und hohe Aufgeschlossenheit und Fremdsprachenkompetenz der Bevölkerung, sind die Werte, die Schweden weit nach oben in dem Ranking spülen.
Dänemark
Obwohl derzeit eher durch rechtspopulistische Eigentümelei auffallend, bescheinigen die Studien-Autoren dem skandinavischen Land eine hohe Attraktivität für die großen Talente dieser Welt. Unangefochtener Spitzenreiter ist das Land beim Thema soziale Durchlässigkeit.
USA
Das erste Nicht-Zwergenland unter den Top 10. Den USA kommt bei der vorliegenden Studie vor allem ihre beispiellose Landschaft an Elite-Universitäten zu Gute. Zudem hätten die USA es verstanden, vor allem jene Ausländer auf Dauer in den Arbeitsmarkt zu integrieren, von denen das Land profitiere.
Luxemburg
Wenn auch unter europäischen Politikern nicht mehr sonderlich beliebt, schneidet der Zwergenstaat gut ab. Begründung: Luxemburgs Arbeitsmarkt sei für Menschen aus aller Welt hervorragend geöffnet, das Wirtschaftsmodell sei nachhaltig erfolgreich.
Singapur
Der Stadtstaat überzeugt die Studien-Autoren vor allem durch die Möglichkeiten, die er Wachstumsbranchen bietet und seine Aufgeschlossenheit gegenüber Expats. Große Schwäche: Das mäßig demokratisch regierte Land schafft es nicht, die eigenen Einwohner hervorragend auszubilden. Was angesichts des Angebots an hochqualifizierten Expats womöglich ein Anreizproblem ist.
Schweiz
Das Ergebnis scheint angesichts des Werts der gesellschaftlichen „Offenheit“ zunächst paradox. Doch hier stellen die Studien-Autoren fest: Scheinbar negative Entwicklungen wie das Referendum zur Begrenzung der Einwanderung hätten bisher kaum praktische Folgen. Stattdessen beeindrucke die Schweiz durch ein sehr gutes und durchlässiges Bildungssystem, seine gute Berufsausbildung und die gute soziale Mobilität. Aufholbedarf hat das Land allein beim Thema Frauen in Führungspositionen – hier landet die Schweiz unter 109 Ländern auf Platz 76.
Von den aktuellen Turbulenzen sieht er vor allem Volkswirtschaften jenseits der Industrieländer betroffen. Das sei aber zum Teil wegen derer hohen Abhängigkeit von Rohstoffexporten vor allem nach China selbst verschuldet: „Wir sehen, dass einige Schwellenländer stark gewachsen sind, einige, wie Indien, haben es sinnvolle genutzt, andere wie Brasilien nicht.“ Europa wiederum werde sogar etwas stärker wachsen als zuletzt.
Das China-Problem, sagt auch Lagarde, lasse sich relativ zügig lösen. Und nennt drei Schritte: „China braucht 1. Klare Kommunikation. 2. Klare Ziele, 3. Eine verbindliche Umsetzung der angekündigten Reformen.“
Viel mehr Sorgen als China oder der Einbruch des Ölpreises - oder gar die Flüchtlingskrise, die ohnehin nur die Europäer wirklich umtreibt – bereitet den Ökonomen in Davos ein ganz anderes Phänomen – dass die Weltwirtschaft seit Jahren insgesamt kaum noch produktiver wird.
Der indische Notenbankpräsident Raghuram Rajan erklärt das so: „Wir haben technischen Fortschritt noch nicht monetarisiert.“ Die Effizienzgewinne, die die Internet-Technik bringt, sind bisher kaum in Investitionen in den Wohlstand von morgen umgemünzt worden, sondern werden entweder verkonsumiert oder von einigen wenigen privaten Profiteuren vereinnahmt. Wie sich das ändern lässt, das sehen viele Davos-Ökonomen und Politiker als die wirkliche entscheidende Frage.
IWF-Chefin Lagarde im übrigen gerät in Davos nur ein einziges Mal aus der Ruhe – als sie nach ihrem Ambitionen für eine zweite Amtszeit gefragt wird. Angeblich soll sie sich die Stimmen der USA, Frankreichs und Deutschlands gesichert haben. Da rutscht Madame ein wenig auf dem Stuhl und die, die sonst immer sofort eine präzise Antwort hat, sagt verlegen: „Für diese Antwort brauche ich Zeit.“