Im Gegenteil: Die Europäer und insbesondere die Deutschen können sogar Druck aufbauen. Wie der Spiegel kürzlich berichtete, bittet die Erdogan-Regierung Deutschland um Hilfe, um die schwierige wirtschaftliche Lage unter Kontrolle zu bekommen. Demnach hofft die Türkei wieder auf mehr Besucher aus Deutschland und ganz Europa, die die Binnenkonjunktur der Türkei stärken würden. Auch Kredite und Hilfszahlungen waren demnach im Gespräch.
U-Haft für Journalist sorgt für Spannungen mit Türkei
Hier muss die Bundesregierung ansetzen. Sollten die Türken Yücel nicht freilassen, müsste Berlin dem Wunsch nach mehr wirtschaftlicher Kooperation und Zusammenarbeit mit der Türkei ablehnen. Ja, die Türkei ist ein strategischer Partner. Über die Nato sind wir sogar militärische Partner. Aber wenn die Türkei die Pressefreiheit verletzt und einen deutschen Journalisten festsetzt, sind Sanktionen gegen die Türkei ein schmerzhafter aber logischer Schritt.
Manche sagen nun, Yücel sei nicht nur Deutscher, sondern auch Türke. Warum sollten wir uns also überhaupt einmischen? Es stimmt, Yücel hat zwei Pässe. Er ist der Sohn eines türkischen Einwanderers, wurde in der Nähe von Frankfurt geboren und arbeitet für eine deutsche Zeitung. Der Fall Yücel ist also keine innertürkische Angelegenheit, es ist ein deutsch-türkischer Stresstest.
Visumfreiheit: Was die EU von der Türkei verlangt
Dürfen türkische Staatsbürger irgendwann ohne Visum nach Europa reisen oder nicht? Die Antwort auf diese Frage kann nach Auffassung der EU-Kommission nur die Regierung in Ankara geben. Die Brüsseler Behörde sah in ihrem jüngsten offiziellen Bericht noch 5 der 72 Vorgaben für eine Visaliberalisierung als nicht erfüllt an.
In der Türkei wurde am 30. April eine neue Strategie dazu beschlossen. Im jüngsten Bericht stellten Experten der EU-Kommission allerdings fest, dass noch mehr getan werden müsse, um Korruption unter Parlamentariern, Richtern und Staatsanwälten zu verhindern. Dabei geht es unter anderem um Vorgaben zur Parteienfinanzierung und zur Unabhängigkeit der Justiz. Die EU weist dabei auf ein Gutachten der „Staatengruppe gegen Korruption“ (Greco) hin.
Laut der Darstellung im Fortschrittsbericht hatten die türkische Behörden bis zuletzt lediglich die Absicht erklärt, künftig enger mit den Behörden in EU-Staaten zusammenzuarbeiten, um die in der Türkei geltenden Rechtsvorschriften und Verfahren zu erklären. 2014 und 2015 wurden türkischen Statistiken zufolge 49 Auslieferungsanträge aus EU-Ländern gestellt, ein Großteil davon wurde noch nicht abschließend bearbeitet. Nur sechs Anträge wurden genehmigt.
Bei der jüngsten offiziellen Bestandsaufnahme lag der EU lediglich ein Absichtsbekundung der Türkei vor.
Ein im Frühjahr beschlossenes Gesetz entspricht nach Auffassung der EU-Kommission nicht den Anforderungen. Es sei nicht sichergestellt, dass die Datenschutzbehörde unabhängig handeln könne, lautete die Kritik. Es wurde gefordert, dass die neuen Datenschutzregeln auch für Strafverfolgungsbehörden gelten müssen.
Dies ist der umstrittenste Punkt. Die EU verlangt von der Türkei den geltenden Rechtsrahmen und die Standards zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Terrorismus zu überarbeiten. So soll unter anderem die Definition von Terrorismus enger gefasst werden, um auszuschließen, dass auch missliebige Journalisten oder politische Gegner verfolgt werden können. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat jedoch zuletzt deutlich gemacht, dass er im Gegenzug ein härteres Vorgehen gegen die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK in Europa erwartet.
Bislang hat die Bundesregierung mahnende Worte gewählt. Doch was Yücel in der Türkei erwartet, hat mit einem rechtsstaatlichen Verfahren wie wir es kennen nichts zu tun. Dass sich deutsche Diplomaten im Hintergrund um eine Lösung bemühen, ist gut und richtig. Aber im Fall Yücel braucht es nicht nur Diplomatie. Unsere Bundesregierung muss die Werte unseres Grundgesetzes offen verteidigen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Menschenrecht, das nicht verhandelbar ist. Das sollte die Kanzlerin dem türkischen Präsidenten sagen.