Denkfabrik

Staatskapitalismus entwickelt sich zur Wachstumsgefahr

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Die massiven staatlichen Kapitalspritzen waren erforderlich, um eine Weltwirtschaft wieder auf den rechten Weg zu bringen, die durch das massive Versagen, die internationalen Kapitalströme zu regulieren, aus der Bahn geworfen worden war. Die Befürworter freier Märkte werden sich jetzt viel mehr anstrengen müssen, um Skeptiker davon zu überzeugen, dass die reichsten Länder der Welt sich auch in Zukunft der freien Marktwirtschaft verpflichtet fühlen werden.

Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks sagen, sie hätten versucht, untergehende Banken und wichtige Unternehmen der Privatwirtschaft zu retten – um sie dann wieder freizugeben und aus eigener Kraft weiterschwimmen zu lassen. Sie beteuern, dass sie erst dann den Erfolg feiern werden, wenn keines der geretteten Unternehmen mehr auf staatliche Unterstützung angewiesen ist. Politische Entscheidungsträger in China, Russland und anderen Schwellenländern sehen ihre künftige Rolle auf der Bühne der Volkswirtschaft allerdings anders. Ihre Worte und Taten zeigen, dass sie davon überzeugt sind, dass öffentlicher Wohlstand, öffentliche Investitionen und öffentliche Unternehmen der sicherste Weg zu nachhaltigem Wachstum sind. Diese Regierungen werden weiterhin ganze Branchen bis ins Detail lenken, um nationale Interessen zu wahren und ihr politisches Ansehen im eigenen Land zu fördern. Ihr Einfluss auf die Märkte nimmt zu.

Etliche Regierungen besitzen Öl- und Gasunternehmen, die den Löwenanteil der globalen Reserven kontrollieren. Sie besitzen (oder bevorzugen) Unternehmen, die in den Sektoren Energieversorgung, Telekommunikation, Bergbau, Waffenproduktion, Automobilherstellung und Luftverkehr direkt mit westlichen Multis konkurrieren. Sie besitzen und managen Investmentportfolios (darunter auch Staatsfonds), die sich zu einer wichtigen Quelle globaler Kapitalströme entwickeln.

Staatskapitalismus ist keineswegs die Wiederauferstehung der sozialistischen Planwirtschaft in einer dem 21. Jahrhundert angepassten Variante. Es ist eine Form von bürokratisch gelenktem Kapitalismus, der sich von einer ihn praktizierenden Regierung zur ‧anderen unterscheidet. Es ist ein System, in dem der Staat die Märkte vor allem um seines politischen Vorteils willen dominiert. Wenn sich dieser Trend weiterentwickelt, wird er zu Spannungen in der internationalen Politik und zu Verwerfungen in der Weltwirtschaft führen.

Regierungen profitieren wirtschaftlich und politisch

Es gibt Zeiten, in denen Regierungen ihre Bürger vor den schlimmsten Auswüchsen unzulänglich regulierter Märkte schützen müssen – aber langfristig gibt es keine Belege dafür, dass politische Amtsträger wirtschaftliche Aktivitäten besser regulieren können als der Markt. Wenn US-Politiker vorübergehend die Verantwortung für Entscheidungen an sich reißen, wie Vermögenswerte am besten zu bewerten und Ressourcen am besten einzusetzen sind, tragen sie vorübergehend Verschwendung, Ineffizienz und Bürokratie in nationale und globale Märkte. Wenn jedoch die Regierenden in Schwellenländern ein solches System als langfristig wirkendes Instrument nutzen, um ihr politisches Überleben zu sichern, untergraben sie die Fähigkeit der Weltwirtschaft, nachhaltiges Wachstum zu erzeugen. Momentan profitieren viele Regierungen, die eine Form von Staatskapitalismus praktizieren, davon wirtschaftlich und politisch. Dies könnte etliche Staaten ermutigen, sich für künftiges Wirtschaftswachstum weniger auf wirtschaftliche Beziehungen zu den USA zu verlassen als vielmehr auf solche untereinander.

Ein solcher Trend hätte Konsequenzen für den weltweiten politischen Einfluss der Vereinigten Staaten und die langfristige Gesundheit der US-‧Wirtschaft. Mehr noch: Wird Staatskapitalismus die USA und China in einen wie auch immer gearteten direkten Konflikt treiben? Ist Staatskapitalismus nachhaltig? Wenn Politiker ihr Versprechen nicht halten, stetig Arbeitsplätze und Wohlstand für schnell wachsende Mittelschichten zu schaffen, wird der Staatskapitalismus den Weg des Kommunismus gehen? Stehen wir gar am Rande eines neuen globalen Konflikts, in dem die Verfechter der freien Marktwirtschaft gegen die Staatskapitalisten zu einer Schlacht um die Länder antreten, die sich noch nicht für die eine oder andere Richtung entschieden haben? Dies sind die Fragen, die im kommenden Jahrzehnt die internationale Politik und die globale Wirtschaft beherrschen werden.

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