Der Fall Reza Zarrab Erdogans tickende Zeitbombe

Der Streit zwischen der Türkei und den USA hat vor allem mit einem Mann zu tun: Reza Zarrab. Er soll Iran-Sanktionen im Sinne der türkischen Regierung umgangen haben. Wenn er aussagt, könnte es für Erdogan eng werden.

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Reza Zarrab: Recep Tayyip Erdogans tickende Zeitbombe Quelle: dpa

Es handelt sich um die größte Krise zwischen den USA und der Türkei. Washington hatte am Sonntag die Vergabe von Kurzzeit-Visa an türkische Staatsbürger eingefroren, nachdem in Istanbul ein türkischer Angestellter des US-Konsulats unter Terrorvorwürfen festgenommen worden war. Kurze Zeit später zog das türkische Außenministerium nach und fror seinerseits die Visavergabe für Amerikaner ein.

Der vorläufige Höhepunkt in der kriselnden Beziehung zwischen den beiden Ländern. Es gibt viele Ursachen für den plötzlichen gegenseitigen Liebesentzug: zum Beispiel die Unterstützung kurdischer Milizen in Syrien durch die Amerikaner oder die dringende Aufforderung Ankaras, den mutmaßlichen Drahtzieher des Putschversuchs, Fethullah Gülen auszuliefern. Der Startpunkt der bilateralen Kabale ist jedoch eindeutig auszumachen: die Festnahme von Reza Zarrab in den USA, im März 2016.

Dem Mann mit drei Pässen (türkisch, iranisch, aserbaidschanisch) wird vorgeworfen, im großen Stil gegen die Iran-Sanktionen verstoßen zu haben. Der Fall reicht bis in die türkische Regierung – und möglicherweise bis zu Erdogan selbst. Diesen Monat ist seine Anhörung in den USA geplant. Sollte er aussagen, käme der türkische Ministerpräsident in die Bredouille.

Es handele sich „um den größten politischen Skandal in der Geschichte der Türkischen Republik“, befand der türkische Kolumnist Mustafa Akyol. Es begann am 17. Dezember 2013. Damals nahm die türkische Polizei im Rahmen von Anti-Korruptions-Ermittlungen 52 Personen fest. Dazu gehörten die Söhne von drei Regierungsministern. Im Zentrum der Operation steht Reza Zarrab, der beschuldigt wurde, drei Minister mit 66 Millionen Dollar bestochen zu haben.

Als die Polizei das Haus des Generaldirektors von Halkbank, einer staatlichen Bank, durchsuchte, fanden sie 4,5 Millionen US-Dollar Bargeld in Schuhkartons. Im Haus des Sohns des Innenministers fanden sie Safes, eine Geldzählmaschine und fast 1,5 Millionen Dollar, Euro und Türkische Lira in bar. Der Halkbank-Direktor erklärte, das Geld sei für wohltätige Zwecke verwahrt worden.

Die Regierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan reagierte sofort. Drei Minister traten zurück, ein vierter wurde ersetzt. Eine zweite Polizeioperation, die Erdogans Sohn Bilal betroffen hätte, wurde untersagt. Die Staatsanwaltschaft und der Polizeichef von Istanbul wurden abgesetzt und gerichtlich verklagt. Die Anklage wurde fallengelassen, das beschlagnahmte Geld wurde mit Zinsen zurückgegeben, und eine parlamentarische Kommission, in der die regierende AKP eine Mehrheit hatte, stimmte gegen den Prozess gegen die vier Minister.

Angriff ist die beste Verteidigung


Erdogan behauptete, die Antikorruptionsoperationen seien „eine Verschwörung“ gegen die Regierung und „ein Umsturz der Justiz“, der von der Gülen-Bewegung inszeniert worden sei. Die Bewegung des islamischen Predigers, der seit 1999 im Exil in den USA lebt, wird inzwischen für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich gemacht. Im Laufe des folgenden Jahres wurden als Auftakt für die Säuberungen, die seit dem Putschversuch in der Türkei stattgefunden haben, bereits 40.000 Polizisten und 4000 Richter und Staatsanwälte entweder versetzt oder abgesetzt.

Der Schwerpunkt der Untersuchungen galt Reza Zarrab, der unter der Mitwirkung von Regierungsministern und -beamten und gegen die US-Sanktionsrichtlinien Gold in den Iran exportiert haben soll. Nach seiner Freilassung soll er sich gerühmt haben, 200 Tonnen Gold exportiert zu haben und mit den mehr als 11 Milliarden US-Dollar, 15 Prozent des Leistungsbilanzdefizits der Türkei geschlossen zu haben.

Zarrab blieb auf freiem Fuß – bis März 2016. Der Familienvater war mit Frau und Tochter auf dem Weg ins Disneyland im US-Bundesstaat Florida, als er bei der Einreise verhaftet wurde. Warum Zarrab trotz der gegen ihn bekannten Vorwürfe in die USA einreiste, ist unklar. In einer Anklage, die der damals bekannte und gefürchtete US-Staatsanwalt Preet Bharara unterzeichnet hatte, wurde Zarrab und zwei Mitverschwörer des Verstoßes gegen US-amerikanische und internationale Sanktionen sowie Bankbetrug und Geldwäsche bezichtigt. Höchststrafe: 75 Jahre Gefängnis. Noch gefährlicher aber ist, was Zarrab im Fall eines Prozesses aussagen könnte. Die ersten Anhörungen sollen in diesem Monat beginnen. Für Erdogan und seine AKP ist der Mann eine tickende Zeitbombe.

Bis heute hält die türkische Führung an ihrer Sicht fest, nach der sie sich an Sanktionen, die die USA festgelegt haben, nicht beteiligen muss. Die Angelegenheit ist pikant: Auch deutsche Unternehmen sind bereits Opfer der amerikanischen Iran-Politik geworden. Vor zwei Jahren zahlte die Deutsche Bank insgesamt 258 Millionen Dollar. Es ging um Transaktionen für Kunden aus Syrien und Iran, gegen die Amerika Sanktionen verhängt hatte. Die US-Finanzaufsicht hatte sonst gedroht, der Bank die Lizenz auf dem lukrativen amerikanischen Markt zu entziehen. Die Commerzbank musste in einem ähnlichen Fall 1,45 Milliarden Dollar bezahlen, die französische Großbank BNP Paribas sogar neun Milliarden.

Der Fall Zarrab gestaltet sich ähnlich – bloß, dass er bis in die türkische Regierung hineinreichen könnte. Im November vergangenen Jahres wurde Zarrabs Bruder Mohammad ebenfalls angeklagt, und im März dieses Jahres wurde der stellvertretende Leiter der Halkbank am Flughafen in New York verhaftet. Der türkische Justizminister Bekir Bozdag traf sich im vergangenen Oktober mit seiner amerikanischen Amtskollegin Loretta Lynch, um sie dazu zu bringen, den Fall zu Fall zu bringen, und Erdogan hob im Mai mit Präsident Trump die Angelegenheit auf.

Im März wurde der leitende Staatsanwaltschaft Preet Bharara überraschend von Präsident Trump entlassen, nachdem er sich geweigert hatte, seinen Posten von sich aus niederzulegen. Ein US-Richter äußerte damals Bedenken wegen politischer Einmischung. Bozdag, inzwischen stellvertretender Premierminister, beschuldigt nun die US-Justiz, ein Werkzeug der Gülen-Bewegung zu sein; eine Behauptung, die die Sprecherin des Außenministeriums Heather Nauert als „absurd“ abgetan hat.

Sollte Zarrab gegen Erdogan aussagen, müsste der türkische Staatschef sich im eigenen Land erneut rechtfertigen. Das könnte ihn und seiner AKP bei den wichtigen Kommunal- und Präsidentschaftswahlen in anderthalb Jahren Stimmen kosten. Erdogan scheint daher die Strategie „Angriff ist die beste Verteidigung“ zu bevorzugen: Er erhöht seinerseits die diplomatischen Spannungen mit Washington. Die Festnahmen US-amerikanischer Konsulatsmitarbeiter in Istanbul, die in der Schwebe liegende Auslieferung Gülens und die Unterstützung der PKK-Schwestergruppen in Syrien kommen dem türkischen Staatschef dabei ungemein gelegen.

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