Deutsch-russisches Forum Heimliches Werben in St. Petersburg

Dialog statt Schuldzuweisungen – dafür wirbt der deutsche Delegationsleiter Ronald Pofalla. Doch dann hagelt es beim „Petersburger Dialog“ Kritik an Russland. Deutsche Wirtschaftsvertreter sind unzufrieden.

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In der früheren Zarenmetropole tagt das deutsch-russische Diskussionsforum „Petersburger Dialog“. Quelle: dpa

St. Petersburg Als „Fenster nach Europa“ bezeichnete Alexander Puschkin einst St. Petersburg. Puschkins Worte waren eine beliebte Metapher beim deutsch-russische Forum „Petersburger Dialog“, das am Donnerstag in der früheren Zarenhauptstadt begonnen hat. Mit der Metapher wurde nicht nur St. Petersburg, sondern auch der Petersburger Dialog beschrieben. Bei dem Forum geht es unter anderem um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland.

Der deutsche Delegationsleiter Ronald Pofalla nutzte den Begriff „Fenster nach Europa“, um die Bedeutung der Veranstaltung für die Verständigung vom Deutschen und Russen hervorzuheben. Auch Olaf Scholz, Bürgermeister der Petersburger Partnerstadt Hamburg, verwendete den Begriff.

„Dialog bringt mehr, als wechselseitig mit dem Finger aufeinander zu zeigen“ – eben dafür sei der Petersburger Dialog ein Zeichen, sagte Pofalla, der frühere Kanzleramtsminister, in seiner Eröffnungsrede. Deutschland hatte den 2001 gegründeten Petersburger Dialog 2014 wegen der russischen Einverleibung der ukrainischen Halbinsel Krim ausgesetzt und 2015 wieder aufgenommen.

Trotz Pofallas Eingangsworten wurde in St. Petersburg auch Kritik geübt: Während die deutsche Seite die Krim-Annexion, den Ostukraine-Konflikt und das sogenannte „NGO-Agentengesetz“ in Russland zur Sprache brachten, hielt die russische Politik dem Westen die Krisen in Irak, Libyen und Syrien vor.

Beim Agentengesetz – das eine stärkere Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen vorsieht und die Organisationen als „Agenten“ brandmarkt – sieht sich Russland in bester demokratischer Tradition. Schließlich würden auch in den USA aus dem Ausland finanzierte NGO als „foreign agent“ bezeichnet, erklärte Petersburgs Gouverneur Georgi Poltawtschenko – ohne mit der Wimper zu zucken.

Der russische Co-Vorsitzende des Petersburger Dialogs Viktor Subkow reagierte auf Nachfragen von Journalisten, ob das Agentengesetz geändert werde, dünnhäutig: Das Gesetz habe Bestand und „alle haben sich an das Gesetz zu halten“, sagte der Ex-Premier, Gazprom-Aufsichtsratschef und enger Vertrauter von Präsident Wladimir Putin. Kritik am Vorgehen gegen die eigene Zivilgesellschaft hat sich Moskau stets verbeten, auch wenn der „Petersburger Dialog“ vor 15 Jahren von Putin und dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder vor allem als Austauschplattform der Zivilgesellschaften gegründet wurde – mit den Regierungskonsultationen als parallele Politikveranstaltung.


Verwunderung über die deutliche Kritik der Deutschen

Wann die Regierungskonsultationen wieder aufgenommen werden, steht derzeit in den Sternen und auch die Annäherungsversuche in Petersburg erinnern eher an ein unsicheres Tapsen in der Dunkelheit als an energische Schritte. Wenn es sich um das neuerliche Liebeswerben zweier – wie stets betont wird – „Partner“ handelt, dann ist es ein verstecktes, beinahe heimliches. Immer mit der Angst verbunden, bei einer Berührung in flagranti erwischt zu werden.

Johannes Voßwinkel, Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung zeigte sich „überrascht, wie deutlich“ die deutsche Delegation ihre Kritik geäußert habe. Worüber sich die Bürgerrechtler freuen, ist für manche Wirtschaftsvertreter zu einseitig: „Wenn wir sagen, Russland hat Einfluss auf die Separatisten und soll den nutzen, um den Minsker Prozess voranzutreiben, dann fehlt mir der zweite Halbsatz: Wir, Deutschland und die EU, nutzen unseren Einfluss auf Kiew, damit das Abkommen von der ukrainischen Seite umgesetzt wird“, sagte Burkhard Dahmen, Geschäftsführer der SMS Group GmbH, dem Handelsblatt.

In der Wirtschaft sind die Bestrebungen auf eine Einigung wohl am höchsten. Die ökonomischen Zwänge sind groß: Die Sanktionen sind für die Russen – allen Beteuerungen, mit den Restriktionen leben zu können, zum Trotz – eine große Belastung, die Investitionen erschweren. Von einst 80 Milliarden Euro Umsatz im bilateralen Handel seien nur noch 50 Prozent übrig, klagte Subkow. Unter den Rückgängen leiden die deutschen Unternehmen ebenso. Dahmen betont daher die Unterstützung des Ostausschusses für die Politik Frank-Walter Steinmeiers nach einem schrittweisen Ausstieg aus den Sanktionen.

Potenzial in der Kooperation sieht Daman bei der digitalen Transformation der Wirtschaft. „Bei so einem Zukunftsthema können wir zusammenarbeiten, ohne stets in die Vergangenheit blicken zu müssen“, meint er. Initiativen zur Zusammenarbeit, die Probleme der Vergangenheit ausklammern, gibt es auch in anderen Bereichen. In der Kultur wird über einen gemeinsamen Wiederaufbau der syrischen Stadt Palmyra diskutiert, in der Politik über gemeinsame Lösungsansätze bei der Migrationspolitik, die nach Angaben des russischen Politologen Wjatscheslaw Nikonow nach dem Nizza-Anschlag erneut überdacht werden muss.

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