Deutsch-türkische Beziehungen Auf die sanfte Tour

Zwei Jahre lang stritten die Türkei und Deutschland fast ständig miteinander. Damit soll nun Schluss sein, sagt der türkische Außenminister. Er hofft auf Annäherung und Dialog – ohne von eigenen Positionen abzurücken

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Der Chefdiplomat der Türkei hofft für 2018 auf bessere Ergebnisse bei der Zusammenarbeit mit Deutschland. Quelle: dpa

Antalya Wenn in den vergangen zwei Jahren von den deutsch-türkischen Beziehungen die Rede war, dann oft im Zusammenhang mit Streits oder einem „neuen Tiefpunkt“ im Verhältnis zwischen Ankara und Berlin. Egal welche Seite man danach gefragt hatte: Schuld waren immer die anderen. Doch jetzt hofft die türkische Regierung auf bessere Beziehungen in diesem Jahr.

„Wir wollen alles tun für eine bessere Atmosphäre“, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Mittwoch im Gespräch mit deutschen Journalisten in seinem Wahlkreis im südtürkischen Antalya. Er erwarte außerdem eine Ausweitung der Zollunion, über die die Europäische Union und der EU-Beitrittskandidat Türkei den gegenseitigen Handel erleichtern wollen. Dabei stellte Ankaras Chefdiplomat klar: „Wir beugen uns niemals einer Nation, nur weil wir wirtschaftlich von ihr abhängig sind.“
Die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland waren für mindestens zwei Jahre gefangen in einem Strudel bilateraler Streits. Die Liste der Ereignisse ist lang. Sie reicht vom „Schmähgedicht“ des Komikers Jan Böhmermann über den Abzug von Bundeswehrsoldaten aus dem türkischen Incirlik bis hin zu den Nazi-Vergleichen des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan. Der Konflikt wurde zudem genährt von den Auftrittsverboten für türkische Politiker in Deutschland, der Kritik am besonders harten Vorgehen gegen mutmaßliche Putschisten in der Türkei und der Drohung von Kanzlerin Merkel im Wahlkampf, sich für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einzusetzen.

Doch jetzt soll alles besser werden. Der hart geführte Bundestagswahlkampf ist vorbei. Gleichzeitig hat die türkische Regierungspartei AKP mit einem umfangreichen Verfassungsreferendum im April 2017 ein für sie wichtiges Etappenziel erreicht. „Ich hoffe, dass wir in diesem Jahr bessere Ergebnisse bei der Zusammenarbeit erreichen“, erklärte Ankaras Außenminister Cavusoglu. Dann würde sich auch die Rhetorik entspannen.

So wolle der türkische Präsident Erdogan Kanzlerin Merkel nach der Bildung einer neuen Bundesregierung in die Türkei einladen oder selber nach Deutschland reisen. „Wir sollten den Dialog aufrechterhalten“, sagte Cavusoglu am Mittwoch. Erdogan habe zuletzt mehrfach mit Merkel und mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier telefoniert. „Wenn Deutschland eine neue Regierung bildet, wird Präsident Erdogan entweder Frau Bundeskanzlerin in die Türkei einladen, oder Präsident Erdogan kann nach Deutschland kommen“, erklärte Cavusoglu.

Sanfte Töne, doch was ist dran? Wenn der türkische Chefdiplomat in den vergangenen zwei Jahren mit seinen deutschen Amtskollegen – erst Frank-Walter Steinmeier, dann dessen Nachfolger Sigmar Gabriel – zusammentraf, blieb hinterher der Eindruck, beide Seiten wollten sich keinen Schritt aufeinander zubewegen. Etwa beim Fall Deniz Yücel. Der Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“, der die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft besitzt, sitzt seit Februar 2017 in türkischer Untersuchungshaft. Er soll Terrorgruppen unterstützt haben.

Inzwischen sieht es so aus, als könnte Yücel in Kürze freikommen. Das türkische Verfassungsgericht könnte in den nächsten Tagen entscheiden, ob eine Untersuchungshaft für den Journalisten weiter nötig ist. Cavusoglu erklärt dazu zwar nur, er könne als Vertreter der Regierung keinen Einfluss auf die Arbeit der Justiz nehmen.

Aber er versicherte: „Deniz Yücel ist kein politisch motivierter Fall.“ Er fuhr fort: „Was ist mein Vorteil, wenn ich Deniz Yücel inhaftiere? Was werde ich im Gegenzug bekommen? Nichts. Es vergiftet unsere Beziehungen. Gefällt mir das? Nein. Aber ich kann nicht in die Justiz eingreifen, nur um dieses Problem loszuwerden.“


Kritik an Nazi-Vergleichen weist Cavusoglu vehement zurück

Er verwies darauf, dass Yücel nicht als Journalist akkreditiert gewesen sei. „Sein Fall hat deswegen nichts mit Journalismus, nichts mit den türkisch-deutschen Beziehungen zu tun.“ Er habe seine Regierungskollegen darum gebeten, die Ermittlungen gegen Yücel rasch zum Abschluss zu bringen.

Einerseits will Cavusoglu die Beziehungen zu Berlin kitten. Andererseits sieht er seine Regierungspartei AKP und die gesamte Türkei in der Welt benachteiligt. Bei vielen Fragen folgte auf die Antwort schnell eine Rechtfertigung und Relativierung. Das muss erlaubt sein, und doch blieb der Eindruck, dass sich die Türkei falsch verstanden fühle in der Welt.

Kritik an Nazi-Vergleichen aus Ankara an die Adresse Deutschlands wegen der Auftrittsverbote für türkische Regierungsvertreter im vergangenen Jahr wies Cavusoglu vehement zurück. „Sie haben Erdogan einen Diktator genannt, Sie haben Erdogan schwer beleidigt“, richtete Cavusoglu das Wort an die Deutschen. „Wenn Sie Erdogan und uns Diktator nennen, sollten Sie auch ähnliche Kritik von Erdogan erwarten.“

Und dass die Türkei nach dem Putschversuch im Juli 2016 den Ausnahmezustand eingeführt habe, sei doch normal. Während des Ausnahmezustands können Ermittlungsbehörden effektiver und ohne große Hürden Ermittlungen vornehmen. Gleichzeitig kann der türkische Präsident in dieser Zeit per Dekret regieren und muss neue Gesetze erst nachträglich dem Parlament vorlegen. Regelmäßig kritisieren Beobachter, Staatschef Erdogan nutze die Gelegenheit, um seine Macht zu konsolidieren.

Vorangegangen seien doch Dutzende Anschläge in dem Land mit hunderten Toten, betonte Cavusoglu. „In Frankreich und Belgien reichten einzelne wenige, wenn auch ohne Zweifel schreckliche, Anschläge, um auch dort den Ausnahmezustand auszurufen“, rechtfertigte er das Vorgehen seiner Regierungskollegen. Er hofft, dass der Ausnahmezustand Ende Januar das letzte Mal für weitere drei Monate verlängert werde. Dann hätte er in der Türkei ein Jahr und neun Monate gedauert. In Frankreich währte er insgesamt zwei Jahre und wurde durch ein umstrittenes Anti-Terror-Gesetz abgelöst.

Auch beim Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei will Cavusoglu kein Öl ins Feuer gießen. Trotzdem stellt er klar: Die Türkei habe sich an die Abmachung gehalten, für mehr als drei Millionen Schutzsuchende aufzukommen. Doch von den versprochenen drei Milliarden Euro aus Europa sind bisher erst 900 Millionen geflossen. Den Vorwurf, das Geld lande auf Erdogans Konto, bestritt Cavusoglu. Offizielle Zahlen der EU bekräftigen seine Version. Demnach sind die Gelder für konkrete Hilfsprojekte eingeplant.

Anders als in vorangegangenen Gesprächen drohte Cavusoglu jedoch diesmal nicht mit einem Ende des Flüchtlingsdeals, sollte die ebenfalls vereinbarte Visafreigabe nicht bald erteilt werden. Er erklärte lediglich, die Türkei hätte der EU noch einmal Vorschläge unterbreitet, wie man zu einer Lösung gelangen kann. Danach wolle man weitersehen.

Man kann es auch so sehen: Zwei Jahre lang hatte die Türkei versucht, mit harten Worten die eigenen Ziele zu forcieren. Jetzt versucht es Ankara auf die sanfte Tour: durch Dialog und viel Diplomatie.

Mit Material von dpa

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