Die größte US-Steuerreform seit mehr als 30 Jahren setzt die deutsche Politik unter Handlungsdruck. Das Prestige-Projekt von US-Präsident Donald Trump nahm am Mittwoch im Repräsentantenhaus in einem erneuten Votum die letzte Hürde, da ein Verfahrensfehler eine zweite Abstimmung notwendig machte. Der Senat hatte bereits grünes Licht gegeben. In Deutschland zeigte sich das Bundeswirtschaftsministerium zwar erleichtert, dass die Reform die befürchtete Importsteuer offenbar nicht enthält. Das Finanzministerium warnte indes vor möglichen Auswirkungen auf die Handelsströme. Obwohl der Standort Deutschland nach Einschätzung von Experten unter Zugzwang gerät, bergen die US-Vorschriften für Exportfirmen mit Ablegern in Amerika auch viele Vorteile.
Trumps Steuer-Weihnachtsgeschenk - zu Lasten deutscher Jobs?
Das Paket umfasst Steuersenkungen im Umfang von knapp 1,5 Billionen Dollar (1,27 Billionen Euro). Zu den Kernpunkten gehört eine massive Senkung der Unternehmensteuern von derzeit 35 auf 21 Prozent. Auch die meisten übrigen Steuerzahler können davon ausgehen, dass sie zumindest vorübergehend weniger Geld an den Fiskus abführen müssen. Allerdings profitierten die Reichen entgegen Trumps Ankündigungen deutlich stärker als die Ärmeren und die Mittelschicht, so die Kritik der oppositionellen Demokraten.
Derzeit sind die Steuern für Firmen sehr hoch. Bei einer Senkung auf 21 Prozent läge die größte Volkswirtschaft der Welt knapp unterhalb des Durchschnitts der meisten Wettbewerber (23 Prozent). Innerhalb der EU gibt es Länder, die ihren Unternehmen noch geringere Steuern ermöglichen - darunter Großbritannien und Irland. Die USA lägen nur knapp unter dem EU-Durchschnitt von etwas mehr als 22 Prozent.
Die Risiken sind groß. Die ohnehin riesige Schuldenlast wird durch die enormen Entlastungen von Unternehmen und dadurch bedingte Mindereinnahmen des Staates noch größer. Kritiker merken an, künftige Generationen von Steuerzahlern hätten die Rechnung zu bezahlen. Zuletzt hatte Notenbank-Chefin Janet Yellen ihre Sorgen zum Ausdruck gebracht.
Es droht ferner ein Überhitzen der ohnehin fast auf voller Kapazität fahrenden US-Wirtschaft. Die Anreize könnten verpuffen, weil die Unternehmen sich entscheiden könnten, nicht in die reife heimische Ökonomie zu investieren, sondern anderswo. Viele Ökonomen sprechen deshalb von einer Reform zur «Unzeit», die Trump aus politischen Gründen habe durchboxen wollen.
Sie warnen vor einem «Unterbietungswettbewerb» bei Steuern. Große Sorge hatte außerdem vor allem eine zunächst angedachte Steuer von 20 Prozent auf Zahlungen an Konzernteile außerhalb der USA ausgelöst - eine Art Sonderabgabe. Peter Altmaier (CDU) und vier weitere europäische Finanzminister hatten sogar einen Brief an ihren US-Kollegen geschrieben. Es geht um eine Regelung namens «excise tax», die das Repräsentantenhaus gefordert hatte. Dies würde etwa Autokonzerne mit Produktionsstandorten in den USA treffen, weil sie viele Teile für die Montage etwa aus Deutschland einführen. Allerdings war die «excise tax» schon im Kompromisspapier mit dem Senat nicht mehr enthalten, hieß es etwa aus dem Bundesfinanzministerium sowie aus deutschen Wirtschaftsverbänden.
Das befürchten viele Politiker in Europa, unabhängig von Parteigrenzen, aber auch Wirtschaftsverbände und Ökonomen. Auch ohne eine Sondersteuer auf konzerninterne Zahlungen drohten teilweise große Nachteile für die deutsche Wirtschaft. Die größte Sorge: Durch die Senkung der Unternehmensteuern könnten Investitionen in die USA verlagert werden - und in Deutschland sinken. Dies könnte am Ende auf Kosten deutscher Jobs gehen. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, bezeichnete die US-Reform bereits als «absolute Kampfansage».
Zwar könnten von einer Belebung der US-Konjunktur durch eine Steuerreform indirekt auch deutsche Unternehmen profitieren, denn die USA importieren viele deutsche Produkte. Allerdings: Eine Senkung der US-Unternehmensteuern schaffe Anreize für deutsche Unternehmen, profitable Investitionen in die USA selbst zu verlagern, sagte der Chef des Wirtschaftsforschungs-Instituts Ifo, Clemens Fuest: «Das ist aber schlecht für Deutschland, wir wollen diese Investitionen hier, wir brauchen die Arbeitsplätze und das Steueraufkommen.»
Der Europaabgeordnete Sven Giegold von den Grünen sagte: «Der Steuerwettbewerb wird fulminant angeheizt.» Dies liegt aber auch daran, dass die USA eine neue Methodik zur Steuererhebung anwenden wollen, die mit den mühsam international vereinbarten Grundsätzen - etwa bei den G20 - nur schwer vereinbar ist.
Die deutsche Industrie hat sich schon klar positioniert: Wenn die USA die Steuern für Unternehmen senken, müsse Deutschland nachziehen. Sprich: Auch hier solle dann die Last verringert werden. Hierzulande liegen die Unternehmensteuern derzeit bei mehr als 30 Prozent. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, forderte, Deutschland werde die Steuerbelastungen seiner Wirtschaft überprüfen müssen. Die letzte umfassende Reform der Unternehmensbesteuerung liege schon zehn Jahre zurück. BDI-Präsident Kempf sagte: «Steuerpolitik ist immer auch Standortpolitik.»
"Mit dieser Steuerreform folgen die USA dem internationalen Trend zu sinkenden Steuersätzen", sagte der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest. "Das verschärft den Wettbewerb um die Ansiedlung von Investitionen und Arbeitsplätzen." Die Industrie warnte vor der Abwanderung deutscher Firmen nach Übersee. "Das Gesetzespaket in den USA enthält mit verbesserten Abschreibungsregelungen und Verschärfungen für grenzüberschreitend tätige Unternehmen erhebliche Anreize, Konzernfunktionen und Investitionen in die USA zu verlagern", sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang. Firmen, die in den USA tätig sind, werden nach Ansicht der Deutsche Industrie- und Handelskammertag spürbar entlastet. Die Steuerreform mache letztlich den Standort USA attraktiver, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier der Nachrichtenagentur Reuters.
Der US-Körperschaftsteuersatz soll von 35 auf 21 Prozent sinken und liegt damit deutlich unter den etwa 25 Prozent, die Unternehmen in den OECD-Industriestaaten durchschnittlich auf ihre Gewinne zahlen. Nicht eingerechnet sind weitere Abgaben, so dass Experten zufolge die Steuerlast für Firmen in den USA bei 25 Prozent liegt. In Deutschland sind 15 Prozent Körperschaftsteuer fällig, wozu rund 14 Prozent Gewerbesteuer und der Solidaritätszuschlag kommen.
Die deutsche Wirtschaft forderte bereits, den Soli möglichst bald abzuschaffen, um die Steuerlast zu mildern und gegenüber den USA nicht ins Hintertreffen zu geraten. Union und SPD, die am Mittwoch den Zeitplan für Sondierungen über eine mögliche große Koalition berieten, haben im Wahlkampf unterschiedliche Konzepte zur Abschaffung des Solis vertreten. Auch bei der Einkommensteuer wollen beide Seiten die Mitte der Gesellschaft entlasten. Bei der Gegenfinanzierung gibt es aber Unterschiede.
Das Wirtschaftsministerium äußerte sich erleichtert, dass die sogenannte Excise Tax, eine Art Importsteuer, im endgültigen Gesetzentwurf wohl nicht mehr enthalten ist. Das Finanzministerium wollte indes noch keine Entwarnung geben und verwies auf eine Regelung, die eine Mindeststeuer für den Transfer von Leistungen von US-Unternehmen an Firmen im Ausland vorsieht. Bundesfinanzminister Peter Altmaier und vier seiner EU-Kollegen hatten in einem Brief an US-Ressortchef Steven Mnuchin unter anderem diese Mindestabgabe (BEAT) kritisiert.
DIHK-Experte Treier warnte vor einer solchen Besteuerung in Höhe von zehn Prozent, wenn die Wertschöpfung nicht in den USA stattfinde. In Berlin wird bereits geargwöhnt, dass die Vorschrift gegen das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und den USA sowie Regeln der Welthandelsorganisation WTO verstoßen könnte.
Der Gesetzgebungsprozess verzögerte sich, weil das Repräsentantenhaus erneut abstimmen musste. Nach dem ersten Votum machten die Demokraten im Senat Formfehler geltend, da die Gesetzestexte beider Kongresskammern nicht identisch waren. Auch die zweite Entscheidung im Repräsentantenhaus entschieden die Republikaner mit 224 gegen 201 Stimmen für sich. Trump will das Gesetz noch im Tagesverlauf unterzeichnen. Der Senat stimmte mit 51 zu 48 Stimmen für die Reform.
Die Reform ist der bislang größte Erfolg Trumps seit seinem Amtsantritt vor elf Monaten. Er warb mit dem Versprechen, viele Bürger und Unternehmen stark zu entlasten und die rund laufende Wirtschaft stärker anzukurbeln. Die Reform könnte den US-Schuldenberg von aktuell 20 Billionen Dollar binnen zehn Jahren um weitere 1,4 Billionen ansteigen lassen. Das wären im Schnitt mehr als zehn Milliarden Dollar im Monat.
Die Demokraten haben die Pläne geschlossen abgelehnt, weil sie darin Geschenke für Unternehmen und Reiche sehen, während die Staatsschulden aufgebläht werden. Gründlich überholt wurde das US-Steuersystem zuletzt 1986 unter Präsident Ronald Reagan, was einen Wirtschaftsboom nach sich zog.