Die Meisterflüsterer Der Chefökonom von Google

Hal Varian ist die graue Eminenz bei Google. Als Chefökonom berät er die Führung des weltweit mächtigsten Internet-Konzerns – auch in strategischen Fragen.

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Hal Varian Quelle: CC

Hal Varian hätte seine Karriere als Wissenschaftler relativ stressfrei an einer renommierten Universität ausklingen lassen können. Der Mann hat zwei bekannte volkswirtschaftliche Lehrbücher verfasst und immerhin in Stanford, Berkeley, Oxford und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) gelehrt. Zu seinen Studenten zählten Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman, der ehemalige US-Finanzminister Larry Summers und Ben Bernanke, der langjährige Chef der Notenbank Fed.

Doch Varian hat es in die Privatwirtschaft gezogen. Mehr noch: Der Experte für Mikro- und Informationsökonomie ist wohl der einzige Wirtschaftsprofessor, der einen Konzern von Weltrang mit aufgebaut hat und immer noch prägt. Als Chefökonom von Google ist der 68-Jährige seit 2007 für die Unternehmensgründer Larry Page und Sergey Brin sowie für Verwaltungsratschef Eric Schmidt der wichtigste Ratgeber in wirtschaftlichen und politischen Fragen.

Das ist Googles neues Hauptquartier
Google plant ein futuristisches Hauptquartier in Kalifornien unter gigantischen Glasdächern. Die zentrale Idee des Projekts sei Büroraum, den man frei umgestalten könne, erklärte der Internet-Konzern in einem Blogeintrag. Quelle: REUTERS
Innerhalb der langgezogenen Glaskuppeln sollen mehrstöckige Büroflächen nach Belieben umgebaut werden können – etwa wenn Teams für neue Produkte gebildet werden. Die Federführung bei dem Projekt haben der dänische Architekt Bjarke Ingels und der Brite Thomas Heatherwick. Quelle: REUTERS
Google wurde von den Gründern Larry Page und Sergey Brin einst in einer kalifornischen Garage gestartet. Aktuell sind die Google-Büros auf mehrere Gebäude-Komplexe in Mountain View verteilt, die früher von anderen Technologiefirmen genutzt wurden. Quelle: dpa
Wenn die nötigen Genehmigungen erteilt werden, sollen die ersten neuen Gebäude von Google am heutigen Sitz in Mountain View voraussichtlich zum Jahr 2020 fertig sein. Allerdings gibt es im Stadtrat von Mountain View einige Vorbehalte. So sagte ein Mitglied dem US-Sender ABC, man müsse die Folgen für den bereits starken Verkehr berücksichtigen und etwas gegen den Wohnraum-Mangel tun. Quelle: REUTERS
Google ist damit das nächste Schwergewicht der Online-Wirtschaft, das sich ein ambitioniertes neues Hauptquartier geben will. Apple baut bereits an einem riesigen kreisförmigen Gebäude in Cupertino, das Ende 2016 bezugsfertig sein soll. Quelle: REUTERS
Der Online-Händler Amazon plant in Seattle eine Zentrale in großen Glassphären, für das Entwürfe von dem renommierten Architekturbüro NBBJ stammen. Für Facebook entwarf der Stararchitekt Frank Gehry ein Haus mit bepflanztem Dach. (Foto: NBBJ) Quelle: dpa

Die Zusammenarbeit zwischen Varian und Google begann 2002. Das Unternehmen heuerte den Experten für Auktionsmodelle zunächst als Berater an. Das aufstrebende Start-up Google war damals mit rund 300 Mitarbeitern noch relativ klein. Aber es hatte neben seiner bereits bekannten Suchmaschine eine vielversprechende Geschäftsidee namens Adwords, die den Berkeley-Professor faszinierte – und die er fortan weiterentwickelte.

Das Programm vermarktet die Begriffe, die Google-Nutzer in die Suchmaschine eingeben, die damit ihre Interessen und Kaufabsichten offenbaren. Adwords verkauft den Anzeigenplatz neben den Suchresultaten an Werbetreibende. Allerdings nicht klassisch zu Festpreisen, sondern per Versteigerung. Potenziell besonders umsatzträchtige Begriffe wie „Lebensversicherung“ erzielten in Spitzenzeiten schon mal bis zu 80 Dollar pro Klick auf die jeweilige Anzeige am Seitenrand. Neben Adsense, das Werbung auf anderen Web-Seiten platziert, ist Adwords der ökonomische Grundpfeiler des Milliardenimperiums von Google geworden. Varian gilt als einer seiner Architekten.

Wo Google seine Finger im Spiel hat
Google GlassEines der spannendsten Projekte des Suchmaschinen-Anbieters ist sicherlich Google Glass. Mit der Datenbrille ist es möglich E-Mails abzufragen, im Internet zu surfen, zu fotografieren und zu filmen. 2013 hat das Unternehmen erste Datenbrillen an Webentwickler und Geschäftspartner verkauft, mittlerweile ist die Brille frei verfügbar. Quelle: dpa
Online-MusikdienstGoogle stärkt sein Musikgeschäft mit dem Kauf des Streaming-Dienstes Songza, der passende Lieder für verschiedene Situationen zusammenstellt. Nutzer der Songza-App können zum Beispiel zwischen „Musik zum Singen unter der Dusche“, zum Autofahren oder zum Joggen entscheiden. Solche Song-Listen werden von Songza-Mitarbeitern zusammengestellt, es gibt Angebote für verschiedene Tageszeiten und Stilrichtungen. Zugleich kann sich auch die Software hinter dem Dienst an den Musikgeschmack der Nutzer anpassen. Die Musikauswahl kann über Daten aus dem Netz auch das aktuelle Wetter am Standort des Nutzers abgestimmt werden. Google nannte bei Bekanntgabe des Deals am Dienstag keinen Kaufpreis. Nach Informationen der „New York Times“ waren es mehr als 39 Millionen Dollar. Songza ist bisher nur in Nordamerika verfügbar und hatte Ende vergangenen Jahres 5,5 Millionen Nutzer. Der kostenlose und werbefinanzierte Dienst werden zunächst unverändert weiter betrieben, erklärte Google. Mit der Zeit werde man nach Wegen suchen, wie die Musikplattform Google Play Music von Songza profitieren könnte. Quelle: Screenshot
SatellitentechnikGoogle stärkt seine digitalen Kartendienste mit dem Kauf des Satelliten-Spezialisten Skybox Imaging, der Bilder aus dem All in hoher Auflösung erstellt. Der Preis liegt bei 500 Millionen Dollar in bar, wie der Internet-Konzern mitteilte. Skybox bietet seinen Kunden das Beobachten gewünschter Gebiete mit detailreichen Fotos und 90 Sekunden langen Videos an. Als Dienstleistungen nennt Skybox zum Beispiel die Überwachung von Feldern auf Schädlingsbefall und die Aufsicht über Energie-Pipelines. Auch die Auswertung der Container-Bewegungen in Häfen, der Aktivität auf Flughäfen oder der Bestände auf Parkplätzen von Autohändlern ist möglich. Die Satelliten von Skybox sollen helfen, die Google-Karten auf aktuellem Stand zu halten, erklärte der Internet-Konzern am Dienstag. Außerdem hoffe Google, damit die Versorgung mit Internet-Zugängen und die Hilfe bei Unglücken und Naturkatastrophen zu verbessern. Google ist selbst bei der Entwicklung digitaler Satellitenkarten mit seinem Projekt Google Earth weit vorangekommen. Etablierte Anbieter wie DigitalGlobe oder GeoEye haben den Erdball erfasst, Skybox verspricht jedoch frischere Bilder auf Bestellung. Skybox ist einer von mehreren neuen Anbietern, die von drastisch gesunkenen Kosten für Entwicklung und Herstellung von Satelliten profitieren wollen. Sie packen ihre Technik in deutlich kleinere Satelliten als man sie früher baute. Skybox will über die Jahre rund zwei Dutzend Satelliten ins All bringen, steht bei dem Plan aber erst am Anfang. Die Skybox-Satelliten sind nach bisherigen Berichten rund 100 Kilogramm schwer. Das macht es auch günstiger, sie ins All zu bringen als früher. Die Kosten pro Satellit werden auf rund 25 bis 50 Millionen Dollar geschätzt. Quelle: Screenshot
SatellitentechnikErst im April 2014 hatte Google den Hersteller von Solardrohnen Titan Aerospace gekauft. Mit dem Kauf will Google seine Pläne vorantreiben, drahtloses Internet auch in abgelegenste Teile der Welt zu bringen. Über den Kaufpreis für das US-Unternehmen, das 20 Mitarbeiter beschäftigt, wurde nichts bekannt. Titan entwickelt solarbetriebene Satelliten. Sie sollen 2015 erstmals kommerziell in Betrieb genommen werden. Die Drohnen fliegen in rund 20 Kilometern Höhe und können dort fünf Jahre bleiben. Ihre Spannweite ist mit 50 Metern etwas kürzer als die einer Boeing 777. Medienberichten zufolge war auch Facebook an Titan interessiert. Quelle: AP
Sicherheits-GadgetsGoogle hat die Firma SlickLogin gekauft, die eine innovative Art erfunden hat, herkömmliche Passwörter mit einer zweiten Sicherheitsstufe zu ergänzen. Das israelische Start-up setzt dabei auf Ultraschall-Töne, die zwischen Smartphone und PC eines Nutzers ausgetauscht werden. SlickLogin gab die Übernahme am Sonntag bekannt, eine Preis wurde nicht genannt. Nach Informationen des Technologieblogs „Geektime“, das als erstes von dem Deal berichtet hatte, geht es um einige Millionen Dollar. Derzeit setzt Google als zweite Zugangsstufe zusätzlich zum Passwort Zahlencodes ein, die über eine App auf das Smartphone geschickt werden. Der Vorteil des von SlickLogin entwickelten Systems ist, dass die Authentifizierung automatisch laufen kann, ohne dass der Nutzer sich darum kümmern muss. SlickLogin hatte das Ultraschall-Konzept im vergangenen September vorgestellt und befand sich bis zuletzt noch in einer geschlossenen Test-Phase. Nach Informationen von „Geektime“ bestand die Firma immer noch aus den drei Gründungsmitgliedern. Quelle: WirtschaftsWoche Online
Autonome AutosNicht nur große Automobilkonzerne, auch Google forscht mit viel Aufwand an selbstfahrenden Pkw. Dafür entwickelt der Konzern selbst die Software, die das Auto steuert. Dabei will der Konzern wohl sogar eigene Fahrzeuge auf den Markt bringen, die als autonome Taxen am Straßenverkehr teilhaben sollen. Für die Produktion der Autos gab es bereits Gespräche mit dem deutschen Zulieferer Continental und dem Fertiger Magna. Quelle: dpa
Medizinische GadgetsGoogles geheime Forschungsabteilung Google X hat ihre nächste Erfindung öffentlich gemacht. Es ist eine digitale Kontaktlinse für Diabetiker, die Blutzucker-Werte kontrolliert. Google X soll für den Internet-Konzern die Grenzen des Möglichen austesten. Die Entwickler aus dem Forschungslabor testen laut einem Blogeintrag Prototypen einer Kontaktlinse, bei der zwischen zwei Schichten ein Sensor sowie ein Miniatur-Funkchip integriert sind. Die Linse messe die Glucose-Werte in der Tränen-Flüssigkeit jede Sekunde. Der Prototyp sei in mehreren klinischen Forschungsstudien erprobt worden. Die Kontaktlinse solle die Daten an eine begleitende Smartphone-App funken. Chip und Sensor seien so winzig wie Glitzer-Partikel und die Antenne dünner als das menschliche Haar. Er werde auch erwogen, für Warnsignale Mikro-LEDs direkt in die Linse zu integrieren, hieß es. Es sei noch viel Arbeit zu tun bis die Kontaktlinse als fertiges Produkt auf den Markt komme, schränkten die Entwickler ein. Google wolle sich dafür in dem Bereich erfahrene Partner suchen, die Zugang zu der Technologie bekämen. An dem Projekt arbeitet federführend der Forscher Babak Parviz mit, der schon an den Anfängen der Datenbrille Google Glass stand. Er hatte bereits 2009 demonstriert, wie man Kontaktlinsen mit LEDs versehen kann. Quelle: dpa

Heute ist Varian neben Vint Cerf, dem Vater des Internets, eine der beiden wissenschaftlichen Koryphäen von Google. Mit seinem bescheidenen Auftreten und trockenem Humor lässt er den oft in der Schusslinie stehenden Konzern sympathisch daherkommen. Seine Erkennungsmerkmale sind die randlose Brille und der markante Seitenscheitel; mit Vorliebe tauscht er Hemd und Krawatte gegen Polo-Shirts ein.

Seine wichtigste Aufgabe bei Google ist das „nowcasting”, wie er es nennt, das Verstehen der Gegenwart, aus dem sich Zukunftsprognosen ableiten lassen. Wie das von ihm beratene Manager-Triumvirat ist Varian überzeugt, dass es für alle Phänomene von Wirtschaft und Gesellschaft kausale Zusammenhänge gibt, die man mit genügend Informationen aufdecken kann. Mit einem Team von rund 1000 Statistikern erarbeitet der Ökonom Markt- und Werbeanalysen für den Vorstand und schaut sich zum Beispiel an, wie effektiv Werbung ist, wo sie Aufmerksamkeit und Umsatz bringt und auf welche Suchwörter Marketingspezialisten setzen sollten. Varian erstellt aber auch Konzepte und Strategiepapiere zu politischen Fragen, Datenschutz und Wettbewerbsthemen. „Mein Job ist es, mir die Fragen zu stellen, die mir das Management nächsten Monat stellt“, sagte er in einem Interview mit der „FAZ“.

Varian ist ein Taktiker. Als Professor in Berkeley empfahl er seinen Studenten, unbequeme Fragen am besten zu ignorieren – vor allem, wenn der Zeitpunkt für ihre Beantwortung ungünstig ist. Und er kennt auch den Wert von Fehlinformationen – zum Beispiel als das US-Beratungsunternehmen Comscore jahrelang Googles Marktanteil im US-Suchmaschinengeschäft unterschätzte. „Aus Anti-Trust-Gründen bin ich ganz glücklich darüber“, wird Varian in einem vertraulichen Papier der Wettbewerbsbehörde FTC zitiert. Die von ihm beratene Google-Führungsriege korrigierte die Zahlen jedenfalls nicht. Manche sagen: Dass Google in den USA trotz langjähriger Untersuchungen der FTC bislang eine Monopolklage erspart blieb, verdankt der Gigant nicht zuletzt seinem Chefökonomen.

Varian ist auch für den Erwerb von Patenten für Milliardensummen verantwortlich, etwa von Handypionier Motorola. Er will diese als Druckmittel einsetzen, damit die Branche ihre Patente künftig untereinander lizenziert, anstatt sich gegenseitig zu verklagen.

Eines hat Varian allerdings nicht verhindert: Dass Google-Chef Larry Page die Bedeutung von sozialen Netzwerken lange unterschätzte – und direkt vor seiner Haustür den Konkurrenten Facebook gedeihen ließ.

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